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Coronakrise: Aufenthaltstitel und Studium in Gefahr?

Seit dem Ausbruch der Pandemie verlieren auch Studierende aus sogenannten Drittländern ihre Jobs. Ihr Studium und damit ihr Aufenthaltstitel könnten auf der Kippe stehen. Kredite aufzunehmen ist schwer möglich, Soforthilfen gibt es nicht. Im öffentlichen Diskurs sind sie kaum sichtbar. Wie sich ein Betroffener durch die Krise schlägt und was der Bund Ausländischer Studierender (BAS) zur Situation sagt, lest ihr hier.

„Seit eineinhalb Monaten habe ich keine Arbeit mehr. Ich habe mein Leben nur durch die Arbeit finanziert und wollte eigentlich meinen Master komplett hier machen", erzählt Tamer*. Der 25-Jährige studiert Sozialwissenschaften im Ruhrgebiet, ist einer von rund 40.000 türkischen Studierenden in Deutschland. Bis bundesweit alle Großveranstaltungen abgesagt wurden, arbeitete er als Kioskmitarbeiter für ein Catering-Unternehmen. „Ich halte noch einen Monat mit dem Geld durch und dann weiß ich nicht mehr weiter", ärgert er sich. 828 Euro hat er im Monat verdient, 500 Euro überwies ihm das Unternehmen noch, als es schon keine Arbeit mehr gab.

„Wegen der aktuellen Situation, könnte es sein, dass mein Aufenthaltstitel nicht mehr verlängert wird", sagt Tamer. Vier Semester beträgt die Regelstudienzeit für den Master. Mit seinen Aufenthaltsbestimmungen darf er insgesamt sieben Semester brauchen. Wenig Zeit, um sich in Deutschland zu Hause zu fühlen. Weil Prüfungen abgesagt wurden und das Semester nun online stattfindet, verlängert sich sein Studium ohnehin. Seit einem Jahr studiert er im Ruhrgebiet. Anspruch auf Hartz IV, Wohngeld oder BAföG hat Tamer nicht. Ein neuer Job ist auch nicht in Aussicht. „Ich kann um etwas Geld von meinen Eltern bitten, aber dann fühle ich mich schlecht."

Tamers Situation ist nur eines von vielen Beispielen für die prekäre Lage von ausländischen Studierenden. „Wir kriegen täglich E-Mails, Anfragen und Schilderungen der Lebenssituationen", sagt Yue Han vom Bund Ausländischer Studierender (BAS). Rund sieben Anfragen bekommt die Organisation seit drei Wochen täglich: „Wir können denen leider nicht helfen und verweisen meistens auf Nothilfen. Auslandsämter oder Hochschulgemeinden haben aber oft auch kein Geld mehr." Ein Nothilfefonds für Studierende in Hessen von 250.000 Euro war innerhalb von zwei Stunden leer. Die Betroffenen, die einen Antrag stellen konnten, haben eine Einmalzahlung von 200 Euro bekommen.

Hilfspakete sind nicht in Sichtweite

„Wir brauchen einen bundesweiten Fonds von 500 oder 600 Euro pro Monat. In der Größenordnung ist das substanziell. Die andere Möglichkeit ist eine Öffnung des BAföGs", sagt Han. Gleichwohl hält er ein Darlehen für eine schlechte Option: „Es ist unrealistisch, dass die Betroffenen das zurückzahlen können." Denn ausländische Studierende dürfen in Deutschland maximal 120 Tage im Jahr arbeiten. „Die Beschränkungen der Arbeitserlaubnis müssen aufgehoben werden", fordert der BAS-Sprecher deshalb. Dann wären auch Darlehen eine realistischere Option für ausländische Studierende, weil sie später mehr arbeiten könnten, um es zurück zu zahlen. Für Tamer wäre das durchaus eine Möglichkeit. Er sagt, dass er monatlich rund 500 Euro braucht, um seine Fixkosten zu decken.

Auf Anfrage der akduell erklärt Volker Abt, Pressesprecher des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, dass ausländische Studierende ein „Härtefall-Darlehen aus dem SGB II erhalten" könnten. Laut Paragraph 27 des Sozialgesetzbuch 2 können Betroffene das bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen. Einen Pandemie-Härtefall hat es bislang noch nicht gegeben. Und das deutsche Studentenwerk führt unter den anerkannten Härtefällen keine Fälle von ausländischen Studierenden auf. Klar ist: Ein Antrag ist mit viel Bürokratie verbunden. Und die frisst Zeit, die Studierende wie Tamer oft nicht haben.

Einen Teilerfolg konnte der BAS immerhin schon erzielen: Vom Bundesministerium des Innern, Bau und Heimat gibt es „Aufforderungen" an die zuständigen Ausländerbehörden, den Aufenthalt bei einem Verlängerungsantrag so lange aufrecht zu erhalten, bis über den Antrag entschieden wurde. Auch auf den Nachweis des Lebensunterhalts soll in bestimmten Fällen „vorübergehend" verzichtet werden. Das gilt für Studierende, die sich vorher durch einen Job finanziert haben. Oder für solche, die von ihren Eltern im Herkunftsland wegen der Pandemie kein Geld mehr bekommen, oder von jemandem mit deutscher Staatsangehörigkeit finanziert werden. Ob die Ausländerbehörden das in der Praxis auch so umsetzen, ist noch nicht klar.

Dramatisch könnte es auch später noch werden

Tamers finanzielle Situation wirkt sich jetzt schon auf sein Studium aus: „Ich überlege gerade, ob ich am Online-Semester teilnehmen kann, aber ich glaube nicht", sagt er. Zu groß sind die finanziellen Sorgen: „Es geht immer um das Geld. Ich wohne hier ja nicht umsonst.

Erst muss ich meine finanziellen Probleme lösen und dann kann ich mich um die Uni und alles andere kümmern", so der 25-Jährige. Laut Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks arbeiteten rund 49 Prozent von über 250.000 ausländischen Studierenden neben dem Studium. Rund 94.000 davon, „weil es für sie zur Bestreitung des Lebensunterhalts unbedingt notwendig ist", heißt es im Bericht.

Und laut Yue Han vom BAS wird die Situation für ausländische Studierende nach der Pandemie noch prekärer:„Viele leihen sich jetzt Geld, weil sie sonst nichts anderes machen können. Die Schulden werden auflaufen, zum Beispiel bei der Krankenversicherung oder den Vermietern. Wir haben Angst, dass die Leute ihr Studium abbrechen müssen, weil sie kein Geld mehr haben." Falls es keine dauerhaften Regelungen gebe, die über die kurzfristigen Maßnahmen hinausgehen, wird das Problem zum Bumerang und könnte die Aufenthaltserlaubnis gefährden, befürchtet der BAS: „Wenn die Leute in der Mitte vom Studium sind und in eineinhalb Jahren zur Ausländerbehörde gehen, haben wir Angst, dass die Verzögerungen ein Thema werden und die Pandemie dann vergessen wird."

*Namen von der Redaktion geändert
Original