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Können Pornos feministisch sein?

feuer.zeug. So heißt das Porno Start-Up, dass die Freiburger Studierenden, Kira Renée Kurz und Leon Schmalstieg gegründet haben. Ihr Ziel: den besseren Porno produzieren - „fair, nach feministischen Kriterien". Im Februar veröffentlichten sie ihren ersten Film retour beim Streaming-Dienst Arthouse Vienna. 4,90 Euro kostet der. Aber kann Pornographie feministisch sein? Unser Redakteur hat sich den Film angeschaut und mit den beiden gesprochen.

Wer bei Pornhub nach Hitchhike, also Trampen, sucht, wird auf sich ähnelnde Filme treffen: Ein Typ oder eine Frau steigen bei Fremden ins Auto, es folgt ein realitätsferner Dialog und zack, bekommt der Typ einen Blowjob. Die Kamera ist von oben auf Frau und Penis gerichtet und wenn sie Sex im Auto haben, sieht man wie die Frau vor lauter Erregung in die Kamera schaut und am Ende das Sperma eines fremden Typen schluckt. Frauen werden in Mainstream-Pornos oft nur als Wichsvorlage dargestellt. Das will die 25-jährige Produzentin Kira ändern: „Wir wollen einen demokratischen Blick, wir wollen alle Protagonist*innen gleichberechtigt darstellen. Beim Mainstream-Porno ist es bei der Kameraführung oft so, dass es stark von oben auf die Frau fixiert ist."

In retour ist das anders. „Ich fahr nach Konstanz, willst du mit?", fragt Protagonistin Frida als sie mit ihrem Auto am Straßenrand hält und den Protagonisten Gregor aufgabelt. „Ja, das wäre super", antwortet er und steigt in ihr Auto. retour bedient mit dem Trampen erstmal ein Klischee. Dem eigentlichen Porno, der später folgt, geht aber eine zwischenmenschliche Beziehung voraus. Gregor erzählt, dass er sich etwas verirrt und eine Stunde gewartet hat, bis ihn jemand mitnimmt. Frida erzählt von ihrem Job bei einer Agentur. Am Ende verstehen sich beide gut, tauschen Blicke und auch die Handynummern aus.

So wichtig ist die Vorgeschichte

Die Story wirkt authentisch und sie ist wichtig, sagt der 23-Jährige Produzent Leon: „Für uns muss es eine Geschichte sein, die nachvollziehbar ist. Das ist ein erregender Moment." Sie wollten gewährleisten, dass der Film auch ihren Kriterien entspricht: „Frauen sind in der Produktion in Schlüsselpositionen. Wir wollten keine Objektivierung, keine genormten Körperbilder und die Sexualität zeigen, wie sie ist", sagt er. Kira ergänzt: „Wir wollen realistische Szenen, wir zeigen den Kontext: Wie stehen die Darstellenden zueinander, was ist deren Verhältnis, wie kommt es zur Interaktion?"

Dass die Vorgeschichte wichtig ist, zeigen auch die späteren Szenen im Film, 8 von 23 Minuten nimmt die Story ein. Gregor und Frida wollen sich wiedersehen. So wie im echten Leben Menschen besprechen, ob sie sich füreinander interessieren, ob nun sexuell oder romantisch. Gregor und Frida schreiben miteinander, er lächelt leicht verschmitzt, sie verabreden sich. Frida kommt in Gregors Wohnung, er wirkt nervös, etwas unsicher. Sie checkt seine Wohnung und Gregor fragt, ob Frida letztens mit „ihrem oder einem Freund" zusammen gezogen ist. „Willst du wissen, ob wir Sex haben?", fragt Frida. Gregor fühlt sich ertappt, als er gerade Kaffee macht, haspelt ein wenig. „Sex ist eine schöne Art miteinander zu kommunizieren", sagt Frida. Sie geht in die Küche, beide nehmen einen Schluck vom Kaffee, schauen sich an, bis Frida die Initiative ergreift und Gregor küsst.

Warum retour kein Label hat

Die Dialoge im Mainstream-Porno sind meist viel zu platt, weil Mainstream-Pornos selten die Realität zeigen. Im Gegenteil: es sind gescriptete Filme, die ein Bild von Sexualität und dem Weg zum Sex vermitteln, in dem Frauen, aber auch Männer, lediglich Sexobjekte darstellen, keine Individuen. Ein Großteil der Kategorien, die es bei Pornhub gibt, sind mit Frauen bebildert und fixieren sich auf äußerliche Merkmale wie Hautfarbe, Nationalität, Alter, Körperfigur, Sexualpraktik (von Frauen): Blowjob, Handjob, Bukkake, Schwarz, Koreanisch, Arabisch, Große Titten, Teens und weitere.

Das kritisieren Leon und Kira: „Bei den meisten Mainstream-Seiten gibt es Labeling. Wir entfernen uns davon, weil es oft unterschwelliger Rassismus ist, zum Beispiel bei ‚exotischen' Frauen", sagt Leon. Sie begannen sich damit auseinander zu setzen, was sie eigentlich anders machen wollen: „Wir distanzieren uns von diskriminierendem Labeling. Uns ist wichtig, dass die Darstellenden am Prozess beteiligt sind, also am Drehbuch zum Beispiel. Am allerwichtigsten war uns, dass die Intimszenen nicht gescriptet sind. Das ist dann auch für uns überraschend, was auf uns zukommt", so Kira.

Folglich hat retour kein Label. Der Film zeigt Sex so, wie Sex oftmals ist. Gregor lässt sich leicht aufs Bett fallen, Frida setzt sich auf ihn, beide ziehen sich aus, stöhnen leicht, er fingert sie, sie holt ihm einen runter. Beide lachen sich zwischendurch mal an, Frida übernimmt ein bisschen die Kontrolle, leckt seinen Penis an der Eichel. Den Zuschauer*innen wird gezeigt, wie sie ihm das Kondom überzieht, was ein Unterschied zum Mainstream-Porno ist, in dem meist gar keine Kondome benutzt werden oder die Szenen ausgeblendet werden.

Dann wechseln sie die Stellungen: Doggy-Style, sie sitzt auf ihm, mal wird es schneller, mal langsamer, es klatscht leicht und in der sogenannten Elefantenstellung stöhnen beide irgendwann im Takt, als sie anscheinend zum Orgasmus kommen. Nie wird Frida dabei wie im Mainstream-Porno von oben gefilmt, der Fokus der Kamera liegt stets darauf Gregor und Frida gemeinsam zu zeigen.

Es bleibt kompliziert

Der feministische Porno stellt einen Anfang dar, viele Probleme bleiben trotzdem bestehen. Wer, wie viele Menschen, mit Mainstream-Porno die Pubertät erlebt hat und sie bis heute konsumiert, hat Gewohnheiten aufgebaut und Vorstellungen von Sex internalisiert, obwohl sie sich in der Realität anders darstellen und sogar erlebt werden. Das wissen die beiden Studierenden: „Vorm ersten Mal hast du im Mainstream-Porno gesehen, wie es sein sollte. Wenn es dann soweit ist, siehst du, dass sich das enorm voneinander unterscheidet. Diese Bilder setzen sich im Kopf fest und vermitteln Druck", sagt Leon.

Um damit anzufangen realitätsferne Vorstellungen von Sex abzubauen, haben sie zur Bedingung gemacht, dass der Film Safer-Sex zeigt und die Protagonist*innen so viel Raum wie möglich bekommen. Von gesellschaftlichen Einflüssen, also auch von Sexismus, kann sich dabei niemand befreien. Sind Gregor und Frida immer noch Sexobjekte, weil sie in einem Porno mitspielen oder löst die Vorgeschichte das auf? Gibt es noch eine Objektivierung, insbesondere von Frauenkörpern? Welche Rollen übernehmen Gregor und Frida beim Sex?

Antworten darauf zu finden, ist kompliziert. Wie die beiden ihre Sexualität im Film ausleben, ist letztlich auch ihre Entscheidung. Kira und Leon haben versucht all diese Fragen in ihre Überlegungen einzubeziehen: „Wie schaffen wir es, dass wir den Film möglichst frei von gesellschaftlichen Einflüssen bekommen, mit dem Wissen, dass das natürlich nicht komplett möglich ist?", fragt Kira sich auch heute noch. Eine Antwort kann sie aber dennoch geben, warum der Film wichtig ist: „Für uns stand im Vordergrund, dass wir erstmal sichtbarer machen müssen, was gelebt wird."

Ist retour feministisch?

Eine Rolle wird dabei spielen welche Verfügbarkeit feministische Pornographie im Mainstream einmal haben wird. Der Mainstream-Porno ist derzeit frei verfügbar. „Wir hoffen, dass wir zu dem Punkt kommen, dass die Verfügbarkeit von feministischem Porno ähnlich hoch ist", sagt Kira. Solange das nicht der Fall ist, müssen die beiden Porno-Produzent*innen allerdings schauen, dass sie nicht nur ihre Kosten decken, sondern Gewinne erzielen, um weitere Filme mit fairer Bezahlung produzieren zu können. „Der Film muss sich refinanzieren. Viele Leute haben ehrenamtlich gearbeitet", sagt Leon. Knapp über 1.000 Euro hat das die beiden gekostet. „Das Ziel ist, dass wir uns selber mal anstellen können und alle Beteiligten bezahlen. In das Projekt fließt sehr viel Zeit und das geht auf Dauer natürlich nicht unentgeltlich." sagt Kira. Außerdem wollen die beiden auch noch ihr Studium zu Ende bringen.

Können Pornos wie retour nun also feministisch sein? „Wir haben viel über unseren Feminismusbegriff diskutiert. Für uns bedeutet Feminismus sich aktiv für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen. Dabei verorten wir uns im sexpositiven Feminismus", sagen Kira und Leon dazu. Es kommt also darauf an, wie man Feminismus definiert. Den einen Feminismus gibt es nicht. Geht es nach Leon und Kira ist die Frage aber mit einem klaren „Ja" zu beantworten.

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