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Die Barone des Nachtlebens

In der Zürcher Club- und Ausgangsszene ist derzeit viel in Bewegung. Dabei fällt auf: Es bilden sich auch in der jungen Generation immer mehr Clans. Wer ist mit wem verstrickt? Und welche Rolle nimmt die Stadt dabei ein?

Wenn Marc Blickenstorfer ruft, kommen sie alle: Sänger Bligg, Wetterfee Cécile Bähler, Politiker, Kolumnisten, Anwälte, Partyveranstalter, das Gros der Zürcher Clubszene. So war es auch vor vier Wochen anlässlich der feierlichen Eröffnung des Plaza. Der Club an der Badenerstrasse ist das neuste Lokal, an dem Blickenstorfer beteiligt ist. Denn der 39-jährige Anwalt und Gastronom ist zugleich Teilhaber an den Clubs Alte Börse und Mascotte, an den Gastrobetrieben Talacker, Calvados, Mohrenkopf, Gartenhof und Rimini-Bar. Auch bei Rundfunk.fm ist er dabei. Ein Teil seiner Partner von der Miteinander GmbH ist ferner am Seebad Enge und an der Rio-Bar beteiligt, andere Partner am Acapulco, an der Mata-Hari-Bar, der Alten Metzg, dem Volkshaus oder dem Longstreet (siehe Grafik). Insgesamt ist Marc Blickenstorfer bei seinen diversen Engagements mit 20 Personen partnerschaftlich verbunden. Damit gehört er im Nachtleben zu den wichtigsten Playern auf dem Platz Zürich.
Eine Ahnung davon, worauf Blickenstorfers Erfolg gründet, erhält, wer mit ihm durch die Stadt geht. Unentwegt bleibt er vor Restaurants und Bars stehen. Manchmal fragt er beim Patron nach, ob ein Lokal zum Verkauf stehe, und hinterlässt seine Visitenkarte. Dann schaut er bei befreundeten Anwälten und Sponsoren vorbei. Und ständig hängt er am Telefon, spricht über Gästelisten, Lärmklagen und Jugendgewalt. Blickenstorfer sagt, er wolle sich im Hintergrund halten: «Es geht heute eben nicht mehr so sehr um einzelne Personen, sondern um Gemeinschaften, die zusammen etwas aufbauen.»
geteiltes risiko
Netzwerke bringen Erfolg, davon ist Blickenstorfer überzeugt: «Wenn mehrere Leute zusammen ein Lokal aufziehen, können sie vom Know-how und den Beziehungen jedes Einzelnen profitieren.» Dadurch könne ein grösserer Kundenkreis angesprochen werden, und Entscheide würden demokratisch getroffen. «Das Risiko und die Arbeit werden geteilt, dafür verzichtet man auch auf einen Teil des Gewinns», sagt Blickenstorfer, der als selbstständiger Anwalt tätig ist. Alles ganz pragmatisch also. Und was sagt er jenen, denen eine solche Klüngelbildung suspekt ist? «Wir möchten einfach coole Sachen machen», erklärt Marc Blickenstorfer. Und: Es gehe ihm nicht darum, die halbe Stadt zu bewirtschaften, vielmehr wolle er Leuten für einige Stunden eine gute Zeit bescheren.
Mittlerweile wird Blickenstorfers Miteinander GmbH auch direkt von Personen angefragt, die ein spannendes Lokal entdeckt haben. «Wir unterstützen sie dann», sagt Blickenstorfer. Sie hätten sich in den letzten Jahren ein Wissen aufgebaut, mit dem sie aufstrebende Gastronomen beraten könnten. «Wir möchten frische Gastgeber fördern», ergänzt er. Das Restaurant Gartenhof etwa führt der 24-jährige Yves Niedermayr, der früher im Rimini und in der Rio-Bar gearbeitet hat. «Yves ist jung und hat nun die Möglichkeit, dieses Restaurant selbstständig aufzubauen», so Blickenstorfer. Der 39-Jährige schätzt vor allem «gute Ideen» und die Konzeptphase, bis ein Lokal eröffnet wird. Wo das dann steht, ist für ihn nicht relevant. «Es sollte einfach ein einzigartiger Ort sein, egal ob im Kreis 1, 8 oder 4».
Viele Bewerber buhlen um wenige Lokale
Im Kreis 4 verankert ist Koni Frei. Der 63-Jährige ist Mitbetreiber des Restaurants Volkshaus und der Bar Longstreet und hält Beteiligungen an der Central- und Sport-Bar. Frei hat in den 90er-Jahren aus der Kanzlei-Turnhalle am Wochenende eine Disco gemacht und mit der Katakombe, die später UG hiess und jetzt unter dem Namen Hive läuft, einen geschichtsträchtigen Club gegründet. «Früher war alles illegal oder halb legal», sagt Frei. Die Liberalisierung des Gastgewerbegesetzes in den 90er-Jahren habe alles verändert. Heute sei das Angebot viel grösser und entsprechend kommerzieller geworden. «Es eröffnen andauernd neue Nachtlokale – so viel Platz hat es in Zürich doch gar nicht, denke ich immer wieder», gesteht Koni Frei.
Noch etwas ist anders geworden: «Früher haben die Lokale von einer schillernden Persönlichkeit gelebt», sagt Frei, und spricht dabei beispielsweise Fredi Müller vom Kaufleuten an. Heute würden eine Bar, ein Club oder ein Restaurant nur noch funktionieren, wenn eine Handvoll Personen dahinter stünden. Als Beispiel nennt er sein eigenes Lokal, das Volkshaus. «Wir sind dort zu viert – und ergänzen uns bestens», sagt Frei. Jeder bringe sein persönliches Netzwerk mit ein, dadurch verfügten sie ebenso über gute Kontakte zu den Szenegängern wie zu den Behörden. Und ein funktionierendes Netzwerk sei «enorm wichtig», um ein Lokal erfolgreich betreiben zu können. «Deshalb stehen auch immer die gleichen Köpfe hinter den Clubs und Bars.»
Als negativ empfindet Frei diese Entwicklung nicht. «Man kann Erfahrungen und Wissen vereinen und Synergien schaffen», meint Koni Frei. Und: Wer beim heutigen, riesigen Angebot von Nachtlokalen mitmischen wolle, brauche Geld. Nur wenige aber hätten die finanziellen Möglichkeiten, etwas allein aufzuziehen. In Zürich gebe es darum inzwischen ein paar «Clans», denen man immer wieder begegne.
In der Tat: Für das Lokal am Sechseläutenplatz, das dort nach dem Neubau des Parkhauses Opéra 2012 zu stehen kommt, haben sich laut der Stadt 130 Personen und Gemeinschaften interessiert, 45 haben sich letztlich beworben. Darunter findet man auch jene Betriebe, die derzeit vor allem im Kreis 4 und 5 Lokale führen, aber auch grosse Player wie Candrian, Bindella oder Freddy Burger. Die Zürcher Gastronomen kennen sich und besuchen sich gegenseitig – «böses Blut und knallharte Konkurrenz sind nicht an der Tagesordnung», sagt Frei. Schliesslich habe jeder dieselbe Ausgangslage, und manchmal sei eine Bewerbung halt besser als die andere. Wer die Möglichkeiten und finanziellen Mittel habe, schlage zu. Doch auch Koni Frei sagt: Auf dem Platz Zürich wirds immer enger. Auch weil «inzwischen eine neue Generation da ist, die sehr ambitioniert ist; immer weniger Leute sind an immer mehr Lokalen beteiligt».
absprachen gehören dazu
Eine Bar, ein Restaurant oder einen Club zu betreiben, kann lukrativ sein: Laut Insidern kann ein Club, der gut läuft, einen Jahresumsatz von mehreren Hunderttausend Franken generieren. An einem guten Abend überschreiten die Einnahmen bei mittelgrossen Clubs einen fünfstelligen Betrag. Aber nicht immer funktioniert es: «Einen Club musst du während 52 Wochen an zwei bis drei Tagen füllen können», sagt Frei. Das ist schwierig, auch «weil das Partyvolk immer wieder Neues will».
Wie schafft man es also, dass ein Club rentiert? In der Szene heisst es: «Wenn ein Club läuft, dann läuft er.» Trotzdem gibt es Absprachen unter den Veranstaltern. Mit Name möchte sich niemand dazu äussern - zu viel steht auf dem Spiel. Ein Branchenkenner aber kennt die Deals: «Ein Club bucht etwa ein bestimmtes Partylabel, im Gegenzug dürfen dessen DJs dort auch an anderen Abenden regelmässig auflegen.» DJs, die sich anderen Labels anschliessen oder gar etwas Eigenes aufbauen, wird mit dem Rausschmiss gedroht. Partyveranstalter, die dem Club ein Minusgeschäft bescheren, müssen die Schulden schon mal an der Bar abarbeiten. Unter vorgehaltener Hand wird auch gemunkelt, einige Clubs würden ihren Nachbarn die halbe Wohnungsmiete zahlen, um sich vor Lärmklagen zu schützen.
Auch bei den Zulieferern gibt es Absprachen: Adrien Weber beispielsweise, Inhaber des Turbinenbräu, bekommt immer wieder Anfragen von Personen, die einen Gastronomiebetrieb eröffnen möchten und ihn um ein Darlehen bitten. Als Gegenleistung werden sie Abnehmer seiner Biere. «Für uns als Kleinbrauerei ist es sehr schwer, neben den grossen Brauereien wie Feldschlösschen Fuss zu fassen», sagt Weber. Der Weg mit dem Gegengeschäft biete eine Möglichkeit, das eigene Bier wenigstens im Offenausschank unter die Leute bringen zu können. «Am Schluss profitieren beide», sagt Weber.
«Loyalität ist wichtig»
Auch Fabian Gruber stört sich keineswegs daran, dass im Partybusiness viele miteinander verstrickt sind. «Das Niveau wird höher, wenn verschiedene Meinungen einfliessen», meint der 32-Jährige, der vor Jahresfrist mit dem Club Jade einen neuen Anziehungspunkt im Kreis 1 geschaffen hat und mit Partnern auch am Club Amber beteiligt ist. Und er verspricht: «Wir werden weitere Lokale aufziehen.» Dies, obwohl auch er glaubt, dass in letzter Zeit zu viele neue Clubs in Zürich entstanden sind. «Nicht alle werden überleben.»
Gut im Geschäft ist auch Alex Ruf, vor allem dank seiner Partylabels wie HandzhUp oder Costa del Soul im Kaufleuten. Der 30-Jährige ist zudem Teil der Adirato, Ruf & Schmid GmbH, welche an der Alten Börse beteiligt ist, und Partner des Clubs Härterei. Ruf sagt: «Partylabels haben an Bedeutung gewonnen, aber wichtiger als der Club selbst sind sie nicht.» Gegenüber den DJs, die an seinen Partys spielen, vertritt er eine klare Linie: «Wir arbeiten sehr eng mit den DJs zusammen. Das ist schon fast eine Familie.» Daher sei es für ihn klar, dass sie nicht überall spielen dürften. «Sie sind das Gesicht einer Party, und wenn sie an zu vielen Orten spielen, verwässert dieses Bild», sagt Ruf. «Loyalität ist wichtig für mich», fügt er an und ergänzt: «Partyveranstalter und Clubs möchten mit DJs eine Community anziehen und buhlen deshalb um sie. Wir profitieren von der Musik und der Community, der DJ hat im Gegenzug ein sicheres Einkommen und wird bekannt.» Das Partybusiness funktioniere aber nicht nach dem Corleone-Prinzip: «DJs, Partyveranstalter, Clubbesitzer – alle kennen sich, und einige verbindet auch Freundschaft.» Aber nicht immer sind Freundschaft und Geschäft einfach zu trennen. Ruf spricht von einer Gratwanderung. Und was ist sein Erfolgsrezept für die Alte Börse? «Weil das Programmteam die besten Veranstalter aus den unterschiedlichsten Musikgenres unter einem Dach vereint, können wir verschiedene Communitys anzapfen», sagt Ruf. «Das wiederum fördert die Vernetzung.»
Einen anderen Ansatz verfolgt die Jetzt GmbH, die den Club Zukunft und die Bar 3000 an der Dienerstrasse betreibt und auch an den Clubs Exil und Cabaret im Kreis 5 beteiligt ist. Seinen Jungs und ihm gehe es in erster Linie um die Musik «und nicht um das ganze Drumherum», betont Teilhaber Markus Ott am Telefon. «Wir haben die Clubs aufgebaut, damit wir ein breites Musikprogramm anbieten können. Insofern sind unsere Lokale einfach eine Plattform für Musiker und Künstler, die uns selbst gut gefallen.»
«Vernetzungen sind befruchtend»
Erfreut über die neue Generation von Machern im Zürcher Ausgangswesen ist Jürg Keller, Vizedirektor der Zürcher Liegenschaftenverwaltung. Die sogenannten Szenegastronomen hätten sehr wohl Anteil an der Weiterentwicklung der Stadt in den letzten Jahren: «Die enorme Vielfalt von heute haben wir auch ihnen zu verdanken.» Zwei Lokale, welche die Stadt in letzter Zeit ausgeschrieben hat, waren die Rio- Bar und das Café Mohrenkopf im Niederdorf. Beide werden unter anderem von Tom Maurer und Mischa Dieterich von der Miteinander GmbH betrieben – nicht ohne Grund: «Sie haben ein durchdachtes Konzept eingereicht», sagt Sofia Sourvinos, Teamleiterin der Gruppe, die sich um die Vergabe von städtischen Lokalen kümmert. Wichtig sei der Stadt, dass das Konzept in die Umgebung des Lokals passe und eben auch ein wirtschaftlicher Betrieb garantiert werden könne.
Dass etwa immer die gleichen Gastronomen den Zuschlag für ein Lokal erhalten, verneint Keller: «Wenn sie die Mieterstruktur der rund 80 Restaurants, Bars, Take-aways und Kioske der Stadt betrachten, sind diese sehr vielfältig.» Es sei aber durchaus so, dass die Stadt grossen Wert auf die Erfahrung der Bewerber lege. «Es ist wie bei einer normalen Bewerbung für eine Stelle. Mit Erfahrung kann man punkten», sagt Sourvinos. Jede Bewerbung werde aber individuell betrachtet und geprüft, ob sie zu den Kriterien der Stadt, dem Standort und der Ausrichtung passt. «Wir schauen natürlich auch immer, wer hinter der Bewerbung steckt», sagt Keller. Es existiere aber keine Regelung, dass ein Gastronom nur alle fünf Jahre ein Lokal der Stadt bekomme, «entscheidend ist das Konzept», sagt Keller. Ausgeschlossen oder bevorzugt wird niemand, auch wenn er schon einige Lokale besitzt oder seine Finger in mehreren Gastrobetrieben hat. «Wir finden Vernetzungen befruchtend und lehnen sie auf keinen Fall ab.»
züritipp (Tages-Anzeiger)
von DAvid Torcasso (Text) und Simon renggli (illustrationen)