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Auf kaputten Sohlen zum Volkshelden

Als Sadio Mané noch ein kleines Kind ist, stirbt sein Vater, weil die not­wen­dige medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung im sene­ga­le­si­schen Hei­mat­dorf fehlt. Mehr als 20 Jahre später soll dort ein Kran­ken­haus gebaut werden, Mané stellt dafür eine halbe Mil­lion Euro bereit. Über einen, der seine Geschichte nicht ver­gessen hat.


Wie jeden Tag steht der 7‑jährige Sadio mit seinen kaputten Schuhen auf dem Fuß­ball­platz, als plötz­lich einer seiner Cou­sins auf ihn zustürmt. Was dieser ihm erzählt, hält er zunächst für einen schlechten Scherz, dann wird es sein kom­plettes Leben ver­än­dern. Sein Vater, der am Morgen noch über Magen­schmerzen geklagt hat, ist völlig über­ra­schend gestorben. Weil es im Hei­mat­dorf Bam­bali keine aus­rei­chende medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung gibt, ver­su­chen die Dorf­me­di­ziner in den Nach­bar­orten, sein Leben mit tra­di­tio­neller Medizin zu retten, doch sie schei­tern. Sadios Vater stirbt, weil die medi­zi­ni­sche Infra­struktur in der Region fehlt. Von nun an wird der 7‑jährige Junge gemeinsam von seiner Mutter und seinem Onkel groß­ge­zogen und soll zuhause in der Land­wirt­schaft helfen, um die Familie zu ernähren.

Über 20 Jahre später erzählt Sadio Mané seine Geschichte in der Doku­men­ta­tion ​„Made in Senegal.“ Der Spieler vom FC Liver­pool blickt auf seinen stei­nigen Weg von einem kleinen sene­ga­le­si­schen Dorf bis in den euro­päi­schen Spit­zen­fuß­ball zurück. Für sein Hei­mat­dorf möchte Sadio jetzt ein Kran­ken­haus bauen lassen, dafür stellt er eine halbe Mil­lion Euro bereit. Aber eins nach dem anderen.


Auf­ge­wachsen im Kri­sen­herd

Sadio Mané ist in Bam­bali, einem kleinem Dorf in der Casa­mance auf­ge­wachsen, ein Land­strich im Süden Sene­gals. Die Region gilt als Kri­sen­herd des west­afri­ka­ni­schen Landes, in dem seit über dreißig Jahren Aus­ein­an­der­set­zungen um die Unab­hän­gig­keit des Gebiets vom Rest Sene­gals herr­schen. Wäh­rend sich das wirt­schaft­liche und poli­ti­sche Geschehen des Landes vor allem auf die Haupt­stadt Dakar kon­zen­triert, werden länd­li­chere Regionen wie die Casa­mance ver­nach­läs­sigt. Ein Groß­teil der Men­schen dort ist arm, fühlt sich vom Rest des Landes abge­hängt und ver­sucht, sich mit land­wirt­schaft­li­cher Arbeit über Wasser zu halten. Sadio Mané wird Anfang der Neun­zi­ger­jahre in diese arme und kon­flikt­ge­la­dene Region hin­ein­ge­boren. Wer hier auf­wächst, kämpft sich nor­ma­ler­weise sein gesamtes Leben als Land­wirt durch den harten Alltag.


Als Sadio Mané im Alter von zehn Jahren auf einem der wenigen Fern­seher in seinem Hei­mat­dorf voller Begeis­te­rung den Einzug der sene­ga­le­si­schen Mann­schaft ins Vier­tel­fi­nale der Welt­meis­ter­schaft 2002 ver­folgt, will er aber vor allem eines: raus aus dem kleinen Bam­bali, rein in die große, weite Welt. Fuß­ball­profi werden. Für seine Träume wird er von seiner Familie und den anderen Dorf­be­woh­nern belä­chelt. Schließ­lich werde hier tra­di­tio­nell jeder Mensch eines Tages Bauer, sagen sie. Noch nicht einmal rich­tige Fuß­ball­schuhe könne er sich leisten.


Auch wenn in der Heimat nie­mand an ihn glaubt, macht sich der kleine Junge aus Bam­bali im Alter von 15 Jahren auf eigene Faust auf den Weg in die sene­ga­le­si­sche Haupt­stadt Dakar. Ohne seiner Familie Bescheid zu geben, ver­schwindet Sadio Mané vom einen auf den anderen Tag aus seinem kleinen Hei­mat­dorf mit dem Bus für zwei Wochen in Rich­tung Haupt­stadt. Aus­ge­rüstet mit seinem Schü­ler­aus­weis und den kaputten Schuhen landet er über Umwege bei einer Auf­nah­me­prü­fung der renom­mierten Fuß­ball­aka­demie ​„Genera­tion Foot“.


Hier machen sie sich zunächst über seine man­gel­hafte Aus­rüs­tung lustig. Doch im ersten Spiel erzielt er vier Tore und wird auf­ge­nommen. Die Fuß­ball­aka­demie zählt zu den bekann­testen Talent­schmieden Afrikas, Spieler wie Diafra Sakho und Demba Papiss Cissé haben es von hier aus auf die euro­päi­sche Fuß­ball­bühne geschafft. Schnell wird hier der bekannte sene­ga­le­si­sche Talents­cout Abdou Diatta auf den flinken Sadio Mané auf­merksam. Diattas gute Ver­bin­dungen nach Frank­reich sorgen dafür, dass der Flü­gel­spieler mit 19 Jahren den großen Schritt nach Europa schafft und einen Ver­trag beim FC Metz in der zweiten fran­zö­si­schen Liga unter­schreiben darf. Mané über­zeugt in der Ligue 2 und wech­selt für vier Mil­lionen Euro weiter nach Öster­reich zu RB Salz­burg. Hier startet der Junge aus Senegal dann richtig durch: Er erzielt in seiner ersten Saison 19 Tore, in der zweiten kann er 23 Treffer zum Dou­ble­sieg der Salz­burger bei­steuern.


„Wofür will ich zehn Fer­raris, 20 Uhren mit Dia­manten und zwei Flug­zeuge? Inwie­fern würde das der Welt wei­ter­helfen? Ich habe gehun­gert, in den Fel­dern gear­beitet, ich habe barfuß gespielt. Ich möchte den Men­schen vor Ort helfen.“

Euro­pa­weit werden Top­ver­eine auf ihn auf­merksam, unter anderem Borussia Dort­mund. Am Ende wech­selt Sadio Mané nach Eng­land zum FC Sout­hampton. Auch in der besten Liga der Welt kann sich der talen­tierte Flü­gel­spieler durch­setzen und läuft seinen Gegen­spie­lern davon. Jürgen Klopp, der schon damals als Trainer von Borussia Dort­mund auf Mané auf­merksam geworden war, lotst ihn nach zwei Sai­sons in Sout­hampton an die Anfield Road. Beim FC Liver­pool macht Sadio Mané dann den letzten großen Schritt seiner Kar­riere und ent­wi­ckelt sich zum Welt­star. Er wird Leis­tungs­träger bei den Reds, gewinnt die Pre­mier League und die Cham­pions League, wird in der Saison 2018/19 mit 22 Sai­son­toren gemeinsam mit seinem Team­kol­legen Mohammed Salah und Arse­nals Pierre-Eme­rick Aub­ameyang sogar Tor­schüt­zen­könig. Die Natio­nal­mann­schaft führt Sadio Mané 2019 als Schlüs­sel­spieler ins Finale des Afri­ka­cups, das Senegal 0:1 gegen Alge­rien ver­liert. Trotz der Final­nie­der­lage wird er im selben Jahr zu Afrikas Fuß­baller des Jahres gewählt. Sadio Mané ent­wi­ckelt sich in diesen Jahren zum bekann­testen Fuß­ball­spieler seines Hei­mat­landes, wird Volks­held und Bezugs­person für viele Men­schen in Senegal.


Hoff­nungs­träger einer ganzen Region

Wenn Sadio Mané heute in die Casa­mance zurück­kehrt, herrscht in der gesamten Region Aus­nah­me­zu­stand. Der Junge, der einst heim­lich sein Eltern­haus mit den kaputten Schuhen und seinem Schü­ler­aus­weis ver­lassen hatte, ist tat­säch­lich als welt­be­rühmter Fuß­ball­profi zurück­ge­kehrt. Ein­wohner aus der ganzen Region strömen auf die Straßen von Bam­bali und feiern ihn als Volks­helden, wenn er seinen Onkel in der Heimat besucht. Für die Men­schen in der Casa­mance ist Sadio Mané nicht nur der größte Fuß­ball­star des Landes, son­dern auch ein Hoff­nungs­träger. Der 29-jäh­rige ist hier für viele eine wich­tige Bezugs­person, weil er den Men­schen Per­spek­tiven für ein bes­seres Leben bieten möchte. Im Gespräch mit dem sene­ga­le­si­schen Haupt­stadt­sender Tele­Dakar fragte sich Sadio Mané öffent­lich: ​„Wofür will ich zehn Fer­raris, 20 Uhren mit Dia­manten und zwei Flug­zeuge? Inwie­fern würde das der Welt wei­ter­helfen? Ich habe gehun­gert, in den Fel­dern gear­beitet, ich habe barfuß gespielt. Ich möchte den Men­schen vor Ort helfen.“ 

Und er hat seinen Worten Taten folgen lassen: Seiner Familie hat er Häuser gebaut, ein Super­markt in Bam­bali trägt seinen Namen, auch eine neue Schule hat er hier finan­ziert. Mané inves­tiert in Bil­dungs­ein­rich­tungen in der ganzen Region und schafft neue Arbeits­plätze für Men­schen, die sich vorher als Land­wirte über Wasser gehalten haben. Neben der Bil­dung ist ihm beson­ders die Gesund­heits­ver­sor­gung in seiner Heimat wichtig. Zum Schutz vor dem Coro­na­virus stellte Sadio Mané im ver­gan­genen Jahr kur­zer­hand 45.000 Euro zu Ver­fü­gung, jetzt will er die medi­zi­ni­sche Infra­struktur in der Casa­mance weiter aus­bauen. Eine halbe Mil­lionen Euro wird er bezahlen, um den Bau eines Kran­ken­hauses in Bam­bali zu finan­zieren, das die ganze Region ver­sorgen soll. Weil er nicht ver­gessen hat, dass der Tod seines Vaters vor über 20 Jahren mit ver­nünf­tiger medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung ver­meidbar gewesen wäre.





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