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Orient-Urlaub für die Ohren

In Fazil Says „Istanbul-Sinfonie“ spielt die türkische Ney, eine Bambusflöte, eine Hauptrolle. Valentina Bellanova erklärt, was ihr Instrument so besonders macht.



Die Reise beginnt mit einem Geräusch, das zu Istanbul gehört: Meeresrauschen. Auch am Ende der „Istanbul-Sinfonie" sind die sanften Töne der Ocean Drum (Wellentrommel) zu hören. Dazwischen zeichnet Komponist Fazil Say ein Porträt der türkischen Stadt mit all ihren schönen, aber auch unschönen Seiten.


Die Sinfonie ist in sieben Sätze gegliedert, angelehnt an die sieben Hügel, auf denen die Stadt erbaut wurde. Der erste Satz „Nostalgie“ führt in das historische Istanbul, ins Jahr 1453, als Konstantinopel erobert wurde. Ein besonderes Instrument wird dann zum ersten Mal auf der Bühne der Sinfoniker zu hören sein: die Ney, eine Bambusflöte, die aus der türkischen und arabischen Musik nicht wegzudenken ist. Gespielt wird sie von Gastmusikerin Valentina Bellanova, die mit dem einfach konstruierten, aber schwer zu spielenden  Instrument verschiedene Orchester und Ensembles weltweit begleitet.


„Die Ney hat einen nostalgischen, aber auch mystischen Klang und kommt in der Sinfonie immer dann zum Einsatz, wenn es um die Geschichte oder Religion geht“, erklärt die Musikerin. Etwa im zweiten Satz „Der Orden“, in dem Say seine Wut über den Missbrauch der Religion für politische Zwecke ausdrückt. Auch im dritten Satz, der sich mit der Blauen Moschee den schönen Seiten der Religion widmet, erklingen durch die Ney die mystischen Seiten des Islams.


Valentina Bellanova spielt sowohl die türkische als auch die arabische Ney. Sie unterscheiden sich: Die türkische klingt tiefer, die arabische geht mehr in die Höhe. Türkische Ney-Spieler vibrieren mit dem Kopf, arabische mit den Lippen. Im Sinfoniekonzert wird sie die türkische Schilfflöte spielen, die Musikerin hat sich aber eine Mischung aus beiden Spielweisen angeeignet – manchmal verändert sie sie den Ton, indem sie den Kopf ein wenig zur Seite legt, manchmal durch ihre Lippen. „Es gibt keine festen Regeln“, sagt sie. Melodien für die Ney seien damals nur mündlich überliefert und von Meister zu Schüler weitergegeben worden. „Erst seit einigen Jahren werden sie mit westlichem Notensystem aufgeschrieben“.


In Says Sinfonie gibt es nur wenige Angaben zur Spielweise der Ney. „Das zeigt die Kunst, mit diesem Instrument umzugehen und den Interpretationsspielraum zu nutzen“, sagt Dirigent Mihkel Kütson. Auch Orchesterschlagzeuger Dominik Lang darf sich frei entfalten. Er interessiert sich für Schlaginstrumente aus aller Welt und wird Kudüm, Bendir und Darbooka (türkische und arabische Schlaginstrumente) spielen. „Die Sinfonie hat eine besondere Rhythmik, sie ist mitreißend und energetisch. Es macht Spaß, sie zu spielen“, sagt er.


In der orientalischen Musik lege man viel Wert auf Improvisation, die auch Say in den sechsten Satz „Orientalische Nacht“ mit eingebracht hat. Diese Mischung aus Komposition und Improvisation, klassischen Orchesterinstrumenten und der Nay, dem Kanun (Zither, gespielt von Muhittin Kemal Temel), Kudüm, Bendir und Darbooka symbolisiert die Verbindung, die der türkische Komponist zwischen Orient und Okzident herstellen möchte. „Ich bin ein Brückenbauer zwischen den Kulturen“, hat er einmal gesagt.

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