1 subscription and 1 subscriber
Article

Jens Ullrich verschenkt seine Kunst

Der Berliner Künstler gibt seine Collagen zum Drucken und Tapezieren frei. Damit möchte er sich von den Zwängen des Kunstmarktes befreien - und ihn im besten Fall revolutionieren. 


Die Renovierung des Flurs stand schon lange auf der To-do-Liste der Kaiser-WG. In dem typisch lang gezogenen Altbauflur mit viel weißer Fläche sollte endlich irgendetwas passieren. Dann endlich die Lösung: Vor einigen Wochen erzählte eine Freundin der Sechser-WG von Jens Ullrichs Band „Bilder ohne Geld“, in dem der Künstler seine Motive kostenlos zur Verfügung stellt – er verschenkt also seine Kunst. Zurzeit ist Ullrich in ganz Deutschland unterwegs und tapeziert Küchen, Flure, Wartebereiche und viele andere Räume mit seiner Collagen.


„Wir fanden die Idee witzig und wollten alle gerne mitmachen“, sagt die 24-jährige Bewohnerin Nele Konstanty aus Mönchengladbach. Der Flur als Gemeinschaftsraum sei ideal für Ullrichs Kunst. Ausgesucht haben sich die sechs das Motiv „Flieger 42“, eine Kollage, auf der ein Sportler und eine Frauenbüste miteinander verbunden sind. Sie seien sich alle sofort einig gewesen, der Künstler habe das Bild dann innerhalb von 20 Minuten an die Wand gebracht. „Es hat unseren renovierungsbedürftigen Flur aufgewertet“, sagt Konstanty. Seit 25 Jahren gibt es die Kaiser-WG schon, natürlich mit wechselnden Bewohnern. Viele kennen die Wohnung am Schillerplatz und waren schon mal auf einer Party dort. Die Aktion habe einfach zu ihnen gepasst.


Die Kunstkampagne läuft gerade erst an, während der Pandemie hat Ullrich mit dem 308-Seiten-Bildband, das alle seine Werke umfasst, begonnen. Ein Großteil der Auflage steht in Bibliotheken, um die Motive für alle zugänglich zu  machen. „So können auch Menschen darauf aufmerksam werden, die nicht in Museen gehen“. Jeder kann eine Bibliothek besuchen, sich ein Motiv aussuchen, es scannen, in beliebiger Größe ausdrucken und an eine Wand kleistern.


In der Idee steckt auch Kritik: „Kunst wird fast immer mit Reichtum in Verbindung gebracht. Daran muss sich etwas ändern, weil Teile der Gesellschaft abgeschnitten werden“, sagt Ullrich. Schon während seines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie sei es im spanisch vorgekommen, dass Künstler ihre Werke limitieren, um sie wertvoller zu machen. Er geht einen radikalen Schritt und macht mit „Bilder ohne Geld“ das Gegenteil. Ist seine Kunst jetzt weniger Wert? Und wer entscheidet das?


Mit „Bilder ohne Geld“ verdient Ullrich nichts, er hat dafür eine Förderung von der Kunstförderung NRW bekommen. In dem Moment, in dem er sich von dem Gedanken frei gemacht habe, mit seiner Kunst Geld verdienen zu  müssen, sei etwas in ihm passiert. „Motivisch war ich nie so frei wie jetzt“, sagt er. Und genau darauf komme es als Künstler an. Doch die Möglichkeiten, ohne Grundsicherung frei zu arbeiten, gebe es als Künstler nicht. Auch darauf möchte er aufmerksam machen: Einerseits werde Kunst mit Reichtum assoziiert, andererseits würden viele Künstler an der Armutsgrenze leben. An seiner Idee gefällt dem Künstler vor allem die Interaktivität. Teilnehmende müssen sich Motiv und Ort selber aussuchen und es selber an die Wand bringen. "Auch das ist eine Auseinandersetzung mit der Kunst", sagt er. 

Original