Sind Sie mit Ihrer Kunst schon oft in unangenehme Situationen geraten?
LAURA HEYER Als Künstlerin viel seltener als als Frau. Aber es passiert, vor allem bei meinen Performances im öffentlichen Raum. Das ist mir klar und das provoziere ich auch. Ich arbeite oft damit, mich auszusetzen, also nichts zu tun. Ich gehe aus der aktiven Rolle der Künstlerin heraus und lasse den Zuschauer agieren. Was passiert, wenn nichts passiert? Als Künstlerin wird von mir erwartet, dass ich etwas darbiete und unterhalte. Den Ansatz habe ich nicht immer.
Und was passiert, wenn nichts passiert?
HEYER Ich kann mich noch gut an meine erste Performance „Macht oder Ohnmacht“ erinnern. Wir waren ein Kollektiv und standen eine halbe Stunde auf der Waldhausener Straße, unsere Münder waren mit Klebeband zugeklebt. Es war Mitternacht an einem Wochenende, die Straße war voller Menschen. Männer sind auf uns zugekommen und haben Fotos mit uns gemacht, uns angefasst und uns an sie gedrückt. Eine Darstellerin wurde so sehr belästigt, dass sie geweint hat. Aber sie hat weitergemacht. So schwer es auch war, aber genau das wollten wir erreichen. Es ging darum, ein Spielfeld zu eröffnen und diese Performance gemeinsam mit den Reaktionen der Menschen auf der Straße zu entwickeln. Bei einer anderen Performance am Sonnenhausplatz hat mir ein Mann auf den Hinterkopf geküsst. Damit hat er sich total zum Affen gemacht. Aber auch das wollte ich.
Versuchen Sie so, den Menschen einen Spiegel vorzuhalten?
HEYER Genau. Wenn mich jemand beleidigt oder belästigt, steht diese Person gleichzeitig mit auf der Bühne oder auf dem Schauplatz. In den Reaktionen zeigt sich die ganze Gesellschaft. Ich mache sie nur sichtbar.
Haben Sie ein Vorbild?
HEYER Mich inspiriert die Arbeit von Marina Abramovic. Sie hat es geschafft, sich als Frau in der Performancekunst einen Namen zu machen. Ganz lange wusste ich nicht, dass man das, was ich tue, Performancekunst nennt. Als ich von ihr erfuhr, konnte ich an etwas anknüpfen, fand neue Impulse für meine Arbeit und beschäftigte mich tiefgehender mit dieser Kunstform.
Finden Sie es problematisch, dass Künstlerinnen schnell als feministisch abgetan werden?
HEYER Es gab keinen Zeitpunkt, an dem ich mich entschieden habe, feministische Kunst zu machen. Ich verspüre eine innere Notwendigkeit, Kunst zu machen und mich auf diesem Wege auszudrücken. Wäre ich ein Mann, gäbe es in mir auch eine Notwendigkeit, mich auszudrücken. Aber sie wäre eine andere, weil ich als Frau ganz andere, mitunter auch schlechte Erfahrungen gemacht habe. Deswegen finde ich die Bezeichnung „feministische Kunst“ schwierig. Denn im Grunde mache ich nur Kunst.
Ist das Geschlecht in der Kunstszene immer noch Thema?
HEYER Ich stehe gerade erst am Anfang. Ich habe meinen Verein gegründet und einfach Kunst gemacht, ohne mich damit zu beschäftigen, ob ich irgendwo reinpasse oder nicht. Ich hatte noch keinen Kontakt zu den großen Häusern und kann es nicht einschätzen. Aber ich beschäftige mich natürlich mit dem Thema und weiß, dass in der Kunstszene mehr Stellen von Männern besetzt sind als von Frauen, vor allem in höheren Positionen. Im Theater ist das Problem gravierend, es gibt so viele männliche Intendanten und Regisseure, aber kaum weibliche. Auch die Bezahlung ist immer noch ungleich. Es passiert zwar schon viel, aber von Gleichberechtigung können wir noch nicht sprechen.
Man geht ja immer davon aus, dass es in der Kunstszene anders läuft.
HEYER Warum sollte es? Die Kunst stellt sich immer als avantgardistisch und frei dar, aber das ist sie nicht ausschließlich. Sexismus durchzieht alle gesellschaftlichen Sparten und Schichten und zeigt sich natürlich auch in der Kunstszene. Sexismus ist ein strukturelles Problem.
Von allen Problemen, die Frauen haben – welches ist Ihrer Meinung nach das größte?
HEYER Männer. Das sage ich jetzt mit einem zwinkernden Auge. Damit meine ich nämlich nicht den Mann als Individuum, sondern das männliche Geschlecht, das jahrhundertelang das weibliche unterdrückt hat. Männer müssen sich ihrer Machtposition bewusst werden und die Ungerechtigkeit wahrnehmen. Ich glaube, viele Männer sind sich gar nicht bewusst, dass es Ungerechtigkeit gegeben hat und dass es sie auch jetzt noch gibt. Aber wenn eine Sensibilisierung stattfindet, können wir aufeinander zugehen und gucken, wie wir Gleichberechtigung möglich machen. Dies hat nicht nur positive Auswirkungen auf weiblich gelesene Personen, sondern auf alle Menschen. Auch auf das Wohlbefinden der Männer, weil sie dann keinen toxischen Idealen mehr entsprechen müssen.
Wie können Menschen am besten sensibilisiert werden?
HEYER Für mich ganz klar: Kunst. In meinen Performances kann man nachfühlen, nachempfinden, unabhängig von Regeln, Gesellschaftsordnungen und normativen Systemen. Man ist komplett auf sich selbst und seine persönlichen Werte zurückgeworfen. Man macht eine ästethische Erfahrung, kann sich selbst erkennen, reflektieren und somit Veränderung in die Welt bringen. Kunst liegt eine transformative Kraft zugrunde.
Wenn würden Sie lieber kennenlernen, Alice Schwarzer oder Greta Thunberg?
HEYER Beide sind interessant, aber ich habe andere Leute auf meiner Liste.
Wer steht denn ganz oben?
HEYER Marina Abramovic zum Beispiel.