Wenn Männer Frauen schaden wollen, besonders den aufmüpfigen: Mit Schonungslosigkeit erzählt eine chilenische Serie von misogyner Gewalt - sie basiert auf einem wahren Fall.
"Ahme ein Geräusch nach. Den Buchstaben A", sagt Schauspiellehrer Ossandón (Marcelo Alonso) zu seiner 17-jährigen Schülerin Sophia (Mariana Di Girólamo). Sie soll den Buchstaben aber nicht einfach nur nachahmen, sie soll dabei stöhnen und aus der Puste sein. Sie zögert, dann macht sie, was er sagt. "Und, spürst du schon ein Kribbeln?", fragt er. Sie hat Tränen in den Augen und antwortet nicht.
Nüchtern beginnt "Die Meute", eine chilenische Serie der Brüder Juan de Dios und Pablo Larraín. Sie halten drauf, statt wegzusehen, sie verharmlosen nichts. Aber es geht auch um ein Thema, bei dem es nichts zu verharmlosen gibt: Gewalt gegen Frauen, im Netz und im realen Leben. Denn Sophia ist längst nicht das einzige Opfer. Ossandón ist auch gegenüber anderen Schülerinnen übergriffig geworden. Sie beginnen, täglich vor dem Schulgebäude zu demonstrieren. Doch niemand hört ihnen zu, alle sind genervt vom Feminismus.
Dann aber taucht ein Video von einer Gruppenvergewaltigung auf. Das Mädchen, das in einem alten Fabrikgebäude von vier Jungen der Reihe nach missbraucht wird, ist Blanca Ibarra (Antonia Giesen), eine der protestierenden Schülerinnen. Niemand weiß, wo sie ist. Ihre Schwester findet in den Tiefen des Internets heraus, dass Blanca in das "Spiel des Wolfes" verwickelt wurde.
Eine Gruppe von Männern, die sich "Die Meute" nennt, muss den Anweisungen des Wolfs folgen. Sein Ziel ist es, Frauen zu schaden, insbesondere den lauten, aufmüpfigen. "Die männliche Natur ist gewalttätig, territorial und dominant", wird den teilnehmenden Männern immer wieder eingetrichtert.
Die Handlung der Serie basiert lose auf einem wahren Fall. Im Juli 2016 vergewaltigten fünf Männer eine 18-Jährige in Pamplona, dabei filmten sie sich und teilten das Video in einer WhatsApp-Gruppe namens "La Manada", das Wolfsrudel. Der Prozess brachte die #MeToo-Bewegung nach Spanien. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten gegen die patriarchalische Justiz - die Männer kamen zunächst gegen Kaution frei und wurden erst nach den Protesten härter bestraft.
Auch in Chile enden nur acht Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen mit einer Verurteilung der Täter. Im November 2018 begann ein chilenisches Kollektiv von vier Frauen, genannt "Las Tesis", gegen die tiefverwurzelte Machokultur Südamerikas zu protestieren. Sie lösten Massenproteste in Chile, Mexiko und Kolumbien aus. "Der Vergewaltiger bist du!", riefen sie und gaben staatlichen Strukturen die Schuld. Mit ähnlichen Ausrufen wollen sich auch die Schülerinnen in "Die Meute" Gehör verschaffen.
Dass Frauen wegen patriarchalischer Strukturen immer wieder Opfer von Gewalt werden, zeigt die Serie in ihrer Darstellung einflussreicher Männer: Der katholische Schulleiter Pater Belmar (Francisco Reyes) zum Beispiel, der seinen protestierenden Schülerinnen nicht glauben und Schauspiellehrer Ossandón schützen möchte. "Solche Anschuldigungen werden sein Leben verändern", sagt er. Aber das ist noch nicht mal sein schlimmstes Vergehen.
Im Kontrast dazu stehen die starken Frauen der Serie: Die Kommissarinnen Olivia Fernández (Antonia Zegers), Carla Farías (María Gracia Omegna) und Elisa Murillo (Daniela Vega), die als Dreierteam nach Blanca suchen. Ihre Charaktere sind vielschichtig und haben mit Problemen zu kämpfen, von denen vor allem Frauen betroffen sind: den Beruf und das Muttersein zu vereinen, härter arbeiten zu müssen als die männlichen Kollegen, gesehen, aber nicht gehört zu werden.
Die Handlung ist nicht nur spannend, sondern wirkt an vielen Stellen fast unheimlich real. Die erste Szene, in der die verunsicherte Sophia stöhnen muss, wird zunächst nur aus einer Perspektive gezeigt, aus der des Lehrers; als sei auch das Publikum selbst ein Spanner. Ebenso ist die Gruppenvergewaltigung inszeniert. Das könnten Videos sein, die auch im realen Leben im Darknet geteilt werden. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die blassen Bilder, die ernsten Gesichter und die düstere Stimmung. Wie in der Realität hat die Serie keine abgeschlossene Handlung, das Spiel ist nicht vorbei. Eigentlich beginnt es gerade erst.