"Dann war er da, der Tag der Entlassung. Ein letztes Wecken war unnötig. Ich war, ob des Erwartungsschlafentzuges, wach. Eine letzte Frühstücksverweigerung - Kaffeee weiß, 300g Schwarzbrot - im Bewusstsein, dass der erste Espresso draußen wartet. (...) Dann ging's schnell - Übernahme der Rücklage (im Knast für den Neustart verdientes Bargeld), des Handys, der Schlüssel, des Ausweises, des Schmucks sowie der Entlassungspapiere. Vier Türen noch und die Freiheit ist da! Hurra! Mit dem Schwur 'ist die Zukunft noch so grau, ich geh nimmer in den Bau' selbige beschritten..."
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Mit diesen Worten beschreibt Manfred K. seine Haftentlassung vor etwa einem Jahr. Zwischen dem Tag, an dem er seinen Ausweis abgab und dem Tag der Entlassung lag ein Dreivierteljahr, das der 57-Jährige in der Grazer Strafvollzugsanstalt Karlau absaß. Zu den Gründen will sich Herr K. nicht äußern - er möchte anonym bleiben, was ihm allerdings nicht davon abhält, seine Erlebnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen - in Form von Tagebuch-Einträgen unter dem Pseudonym "Wamser". In der österreichischen "Knastsprache" ist der "Wamser" nämlich "jener Typ, der sein Wissen nicht für sich behält und dies gar noch anderen kund tut", erklärt Herr K. im Blog des Bewährungshilfe-Vereins Neustart.
"Das Schreiben hält Herrn K. gesund", sagt auch sein Bewährungshelfer Rainer Schafhuber im Gespräch mit derStandard.at. Er begleitet den "Wamser" seit einem Jahr auf seinem Weg zur Resozialisierung - "was auch immer das genau heißt", so Schafhuber. "Herr K. möchte behilflich sein, ein Gehör finden und damit ein Umdenken erreichen", erklärt der 42-Jährige weiter. Zwei Tagebuch-Einträge sind bisher auf dem Neustart-Blog veröffentlicht worden. "Er hat sicher hunderte geschrieben", meint sein Bewährungshelfer, der sich über den Perspektiven-Wechsel freut.
"Was schaut der Häftling im Knast. Man staune - Zooberichte liegen ziemlich vorne in der Fernseh-Hitparade", erzählt der "Wamser" in einem Eintrag. "Wahrscheinlich fühlt man sich den Tieren, auch hinter Gittern, sehr verbunden und beide Seiten sind von WärterInnen, die hauptsächlich auf Fressen/Schlafen/Reinlichkeiten achten, umgeben", führt Herr K. fort und spricht dabei einen Punkt an, der auch seinem Bewährungshelfer wichtig ist.
"Die Beziehungen zwischen Personal und Insassen sind genauso wie unter den Insassen selbst in hohem Maß von Misstrauen, Distanz und negativen Stereotypen gekennzeichnet. Negative, aggressive Gefühle zu zeigen, ist bei Weitem unverfänglicher, als Nähe und Zuneigung auszudrücken", zitiert Schafhuber in einem Blogeintrag aus einem Vortrag des langjährigen Leiters der Strafvollzugsakademie, Wolfgang Gratz. Schafhuber bringt die Situation der Gefängnisinsassen auf den Punkt: "Im Gefängnis musst du funktionieren. Du musst dir einen möglichst dicken Panzer zulegen, sonst bist du gefährdet".
Von drinnen nach draußen
Dieses "Funktionieren" würde während der Haft in vielen Lebensbereichen noch von außen gesteuert werden. Nach der Entlasseung sei eine der größten Herausforderungen, "von Null auf Hundert wieder Selbstverantwortung leben müssen", erklärt Herr K. im Gespräch mit derStandard.at. Was für viele einfach und selbstverständlich erscheint, mache einem frisch Entlassenen "den neuen Alltag schwer", denn "alles, was in der Haft fremd erledigt wurde, wird nun zum Selbstgestaltungs-Auftrag", schreibt Herr K. Er wünsche sich neben Vorbereitungen in Haushaltskunde, auch Informationen über mögliche Rückfallgefahren und die Festlegung von "erreichbaren Lebenszielen" vor der Entlassung.
Auch Rainer Schafhuber sieht Mängel in der Entlassungsvorbereitung. "Man erfährt vielleicht eine Woche vorher, dass man entlassen wird, bekommt etwas Geld in die Hand gedrückt und kann gehen", so Schafhuber. Es fehle auch eine koordinierte Übergabe der Justizbeamten an die Bewährungshelfer.
„Gibt es Familie, Freunde, die da sind und auch nach der Entlassung da sein werden? Werde ich eine Chance bekommen? Werde ich akzeptiert werden?" - Diese Fragen würden bei den Häftlingen große Ängste auslösen, meint Schafhuber, "Ein Klient von mir hat das mit dem Satz ausgedrückt: 'Es hat mich niemand vor meiner Familie gewarnt'". Zu dieser Unsicherheit komme auch oft sehr ausgeprägte Paranoia hinzu - die Angst, nach der Entlassung, von der Gesellschaft als ehemaliger Häftling erkannt zu werden. "Kaum öffnet sich das Tor in die Freiheit, will man 'I'm free!' rausbrüllen und gar singen, wenn da nicht die Angst wäre, als Ex-Knacki erkannt zu werden", beschreibt der "Wamser" dieses Gefühl.
Ex-Häftling hilft Ex-HäftlingDiese Gefühle möchte Schafhuber in den Gesprächen mit seinen Klienten zur Sprache bringen. Aber auch die begangene Tat soll analysiert und verstanden werden. "Man muss sich dabei als Bewährungshelfer seiner eigenen Grenzen und Extremen bewusst sein", sagt Schafhuber, der in fünf Jahren Bewährungshilfe mehr als 200 Menschen betreut hat - darunter Delikte vom Diebstahl bis zum sexuellen Übergriff.
Auf jeden Fall müsse man bereit sein, seine "Wohlfühlzone zu verlassen, um sich auf die Klienten und ihre Probleme einlassen zu können", meint Schafhuber. Er stimmt seinem Klienten Herrn K. zu, wenn dieser sich Ex-Häftlinge als Bewährungshelfer wünscht: "In jeder Bewährungshilfe-Einrichtung müssen auch Ex-Knackis tätig sein, denn nur die sind in der Lage, wirkliche Starthilfe zu geben", sagt Herr K. Das Gesetz widerspricht allerdings dieser Idee. Auch ehrenamtliche Bewährungshelfer müssen vor dem Gesetz unbescholten sein.
Wichtig für die Arbeit sei laut Schafhuber neben der guten Selbsteinschätzung eine stabile psychische Gesundheit. Ein ausgeglichenes Privatleben, sowie regelmäßige Intervision und Supervision seien nötig, um nicht selbst abzustürzen. Letzteres, also Gespräche mit externen Beratern, würden durch extreme Budgetkürzungen zu kurz kommen. "Durch die finanziellen Kürzungen wird der Druck erhöht", kritisiert Schafhuber. Supervisionen blieben aus Geldgründen Einzelfälle. Der Druck, schnelle Lösungen zu finden, die Ex-Häftlinge also "so schnell wie möglich zu resozialisieren", führe zu einem "methodischen Vakuum", meint der Bewährungshelfer.
Stabile Begleitung sei unmöglichKooperationen mit anderen Sozialstellen wie etwa dem Jugendamt seien schwierig, da diese auch von den Kürzungen betroffen seien. Schafhuber hält diese Sparmaßnahmen für "kurzsichtig". Es sei kein Wunder, dass unter den Bewährungshelfern viel Frust bestehe. Auf der einen Seite wolle man die teuren Hafttage reduzieren, andererseits spare man bei der Bewährungshilfe, was die Rückfallquote somit wieder erhöhe, ärgert sich Schafhuber, der auch als Betriebsrat tätig ist. Besonders bei Straftätern, die kleinere Delikte begangen hätten, müsste man Zeit einsparen. "Die Jungen haben ihre Laufbahn noch vor sich, sie suchen eine Richtung. Hier könnten wir eingreifen und steuern. Diesen jungen Menschen eine stabile Begleitung zu bieten, kann man angesichts der Kürzungen aber vergessen", sagt Schafhuber.
Haft als AbschreckungÜber die Haft als Abschreckungsmethode ist der Bewährungshelfer geteilter Meinung. "Ich halte so etwas dann für konstruktiv, wenn die Leute selbst- oder fremdgefährdet sind. Die Haftzeit durchbricht dann ihr Gewaltmuster", sagt Schafhuber. Manche würden Erfahrungen machen, die sie ein Leben lang verfolgten und einen großen seelischen Schaden hinterließen, für andere wären die Erlebnisse wiederum so schockierend, dass sie vor weiteren Taten abschrecken würden. Manfred K. gehört womöglich zur letzten Gruppe, denn er weiß: "Das Leben im Knast, das ist beschissen, ich war da, ich muss dies wissen. Doch dieses Wissen, darüber bin ich mir im Klaren, sollte jeder Mensch sich tunlichst glatt ersparen. D'rum gib Acht, sei dein eigener Aufpasser, sprich Wärter, denn sonst wird's hart oder gar noch härter. Es wusste dereinst schon jeder Ritter: Wahre Freiheit kennt keine Gitter!". (Daniela Neubacher, derStandard.at, 15.12.2010)
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