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Column

Café Leopold: Das Ende einer Ära


Sie waren auf der Suche nach Geld, die jungen Wilden. Sie gingen als andere, die sie waren. 


Das Bier schäumt heute besonders. Bela hält das Glas so schräg, dass das kühle Nass vorne schon fast wieder hinausläuft. Scheiße, ärgert er sich. Immer dann wenn es gerade nicht passt. Die Bude ist voll, die Musik wummert in Belas Ohren. Er hört sie trotzdem kaum. Er hat sie nie gehört. Wenn man an der Bar steht und Drinks mixt, dann funktionieren die Ohren nicht für Musik.


„Kannst du mal die Gläser machen?“, schreit Sofi von der anderen Seite der Bar. Es ist mehr eine Aufforderung als eine Frage. Bela nimmt ihr das nicht übel. Bitte haben sie sich irgendwann abgewöhnt, es dauert zu lange. Außerdem ist es nicht wichtig. Es sind Floskeln und haben hier nichts verloren. „Das Bier ist aus“, schreit er zurück und macht sich an die Gläser. 


Bela kann sich noch gut an seinen ersten Tag hier erinnern. Es war ein Mittwoch, es war kein Club, wie sonst an Freitagen oder Samstagen, es war ruhig und wenig zu tun. Er konnte kaum ein Tablett mit drei Gläsern tragen, von Flaschen will er gar nicht erst anfangen. Aber man kommt rein. Es klappt dann irgendwie und das blöde Tablett schubst sich von alleine. Er kann sich erinnern, wie Sofi ihm das erste Mal gezeigt hat, wie man Bier einschenkt. Daran, wie Manuel ihm gezeigt hat, wie man schneller rechnen kann. Daran, wie er Manuel immer bewundert hat, wie er sich neben dem Cocktails shaken noch eine Zig in der Hosentasche wutzelt. 


„Komm mal mit“, sagt Franz. Franz ist Belas Chef. Er hat ihn damals gefunden. Gefunden beim Trinken im Leopold und ohne Job. So wie das eben passiert, sind sie ins reden gekommen. Auch ein Chef soll ja hin und wieder gern an einem Bier nippen. Dass Bela am Mittwoch darauf in schwarzen Klamotten mit Kellnerbörse hinter statt vor der Bar steht, ist dann auch so passiert. Dass Franz mehr Vater als Chef ist, kam irgendwie die gratis Lieferung dazu. Einen Shot trinken sie aber heute das erste Mal zusammen, das erste Mal am letzten Abend. 


Bela folgt Franz in die Küche. Einen Kurzen trinken, kurz an der Zigarette ziehen, wieder zurück an die Arbeit. Heute stehen alle hinter der Bar. Alle, die hier irgendwann einmal je ein Bier ausgeschenkt haben. Ständig laufen alle ineinander, es ist eng und heiß und ständig schreien irgendwelche Gäste. Die Gäste. Die sind heute Nebensache. Ohne sie gebe es kein Leopold, aber ohne das Leopold gebe es hier auch nichts herum zu schreien. Ohne das Leopold – ab morgen wird es so sein. 


 

Im Leopold tanzte ganz Wien. 



Bela ist in Favoriten aufgewachsen. Seine Eltern haben ihn mit 17 raus geworfen. Zu viel Alkohol, zu viele Drogen, zu viele nächtliche Besuche. Zu oft haben die Nachbarn schlecht geredet und zu oft hat sich sein Vater geschämt. Als Muslim muss man eben der süßen Versuchung von Alkohol widerstehen. Das war vor 10 Jahren. Bela weiß jetzt ungefähr, dass er soziale Arbeit studieren möchte. Oder zumindest eine Ausbildung in der Richtung. Das wäre cool, nur geht es sich gerade nicht aus. Viermal die Woche an der Bar stehen, vier Nächte die Woche nicht schlafen, noch mehr Nächte um die Ohren schlagen. Mal sehen, vielleicht ja jetzt. 


„Schlauchlause?“, Sofi will schon wieder etwas. „WAS?“, Bela schenkt gerade Gin in ein Glas, noch drei Eiswürfel, Tonic, Zitrone. „Sechs sechzig.“, sagt er auf die andere Seite der Bar und zählt schon das Wechselgeld raus. „Rauchpause?“, sagt Sofi, die jetzt neben ihm steht. „Geh du mal, alle anderen waren auch schon dran.“ Bela grinst Sofi an. Sie wird er fast am meisten vermissen. Sofi war immer da, irgendwie. Kaum deutsch hat sie gesprochen, am Anfang, nur türkisch. Die Kleine mit den dunklen Locken bis zum Hintern, kaum 50 Kilo bringt sie auf die Waage und trotzdem diejenige, mit der sich hier keiner anlegen möchte. Wie oft hat er sie diskutieren sehen, mit Gästen, mit dem Chef, mit Kollegen. Verloren hat diese Frau eine Diskussion nie. 


Bela schnappt seine Zigaretten, wutzeln an der Bar wie Manuel, das hat er bis heute nicht drauf. Ist aber auch egal. Es war sicher nicht der Grund, warum alle Frauen auf Manuel abfahren. Oder doch? Es lag sicher an den blonden langen Haaren und dieser Stimme, mit der der 24-Jährige wie ein kettenrauchender Hansi Jochmann, die deutsche Synchronstimme von Robert de Niro. Na, und dann natürlich der Style. Den hat Manuel. Aus reichem Elternhaus und sieht trotzdem aus, als würde er in seinen Klamotten auch gleichzeitig schlafen. Und steht trotzdem hier, jeden Freitag, jeden Samstag. Zu finden ist hinter der Bar wirklich jede, jeder und alles. 


„Trink noch einen mit uns!“, ruft Anna. Sie hat vor vier Jahren hier gearbeitet, jetzt kommt sie kaum noch. Trotzdem hat sie nie aufgehört dazuzugehören. Hier kennt sowieso jeder jeden. Bela begrüßt ihren Freund, die paar, die rundherum stehen. Bussi links, Bussi rechts, unzählige Bussis hat Bela heute schon verteilt. Eine einzige Bussigesellschaft sind sie hier geworden. „Was ist los mit dir?“, fragt Anna, als Bela neben ihr steht. „Jetzt sei nicht so. Alles geht mal vorbei. Komm, feier!“


Sie hat Recht, denkt Bela, ich brauch etwas Aufmunterndes. Er kippt den Vodka und quetscht sich langsam nach Draußen. Wenn du in einem Club arbeitest, lernst du wie dich durch Menschenmassen zu schlängeln. Du lernst, Lücken zu sehen, bevor sie überhaupt da sind. Ob das mal von Vorteil sein wird? Wahrscheinlich nicht. 


Franz steht auch draußen bei den Türstehern und raucht. Sie reden über irgendetwas, Eintritte vielleicht, Bela stellt sich nicht dazu. Er zündet die Zigarette an und beginnt den Rauch langsam ein- und auszuatmen. Ob er das hier vermissen wird? Wahrscheinlich. Wo soll er jetzt Geld verdienen? Bela stellt sich zu Franz und Türsteher Nico. Er will lieber reden als denken. 300 Leute sind schon drin, wow, kommst du nächste Woche zum Fussball vorbei und wo ist Sarah heut eigentlich? Bela zerdrückt den Zigarettenstummel. Pause vorbei. 


Wenn man sich trennt, ist es wie ein Pflaster, das man abreißt, hat Belas Mama immer gesagt. Je schneller, desto besser. Es tut zwar weh, aber es geht vorbei. Bela erinnert sich an die vielen Nächte gemeinsam mit Sofi, mit Manuel, mit all den anderen. Als sie nach dem Dienst aufs Dach hinauf geklettert sind und bei Sonnenaufgang einen Joint geraucht hatten. Als er über ein Jahr lang in Tina verliebt war und nur deswegen ungefähr 20 Schichten die Woche übernommen hatte um sie so oft wie möglich zu sehen. An das jährliche Weihnachtsessen bei Mimi, das mehr Trinken als Essen war und gefühlt drei Tage dauerte. An die vielen Gespräche, die er oft mit alten Nicht-Gastro-Freunden nicht führen konnte, weil keine Zeit, andere Lebensumstände, anderer Rhythmus. 


„Was machst du jetzt eigentlich?“, fragt Anna Bela während er sich gerade an ihr vorbei zurück hinter die Bar schiebt. „Weltreise“, sagt Bela. Das hat er schon geplant. Sarah ist schon in Costa Rica, er wird ihr nachfliegen. Mal Pause für ein paar Monate. Und dann? Mal schauen, vielleicht wird das ja was mit der sozialen Arbeit. Aber heute, heute wird darüber nicht viel nachgedacht. Heute schieben alle diese Gedanken beiseite. Heute ist heute und an morgen denken sie morgen. Heute sind sie das letzte Mal im Leopold. Alles, was danach kommt, passiert sowieso erst morgen.