Sie haben ein Diesel-Fahrzeug und sorgen sich jetzt über innerstädtische Fahrverbote? Sie sind Mitarbeiter eines großen Autokonzerns und können nicht glauben, wie ihr Arbeitgeber seinen Ruf und seine Zukunft verspielt? Sie sind Anwohner an einer großen Straße und röcheln täglich vor sich hin? Oh ja, sie alle haben Recht, so richtig sauer zu sein! Systematische Abgasmanipulation, konzernübergreifende Absprachen - was man zuletzt über die deutsche Autoindustrie lesen musste, erinnert eher an die Mafia als an einen Wirtschaftszweig, der für sich in Anspruch nimmt, die wichtigste Säule der deutschen Wirtschaft zu sein. Die hat absichtlich und strategisch über Jahre hinweg Abgaswerte manipuliert und damit nicht nur Kunden vorsätzlich belogen und betrogen, sondern auch die Gesundheit der Bevölkerung wissentlich in Gefahr gebracht.
Das kam über die vergangenen zwei Jahre scheibchenweise heraus. Statt auch nur den Anschein zu erwecken, diesen Skandal aufarbeiten zu wollen, muss sich der Verbraucher zum Beispiel von VW-Chef Matthias Müller Relativierungen anhören. Am Rande sei hier noch erwähnt, dass gerade die Manipulierer VW und Audi vor acht Jahren Hauptnutznießer der Abwrackprämie waren. Damals gab es Geld für diejenigen, die sich ein neues Auto kauft. Zweck war, die angeschlagene Industrie aufzupäppeln. Umweltauflagen gab's natürlich keine.
Und was macht die Politik? Sie veranstaltet ein „Nationales Forum Diesel", bei dem Verbraucher- und Umweltschutz- und Verbraucherverbände gar nicht erst eingeladen waren. Geht's noch?
Das Ergebnis ist ein peinlicher Minimalkonsens: Ein Software-Update wird an rund fünf Millionen Autos durchgeführt, dessen Kosten - Applaus - müssen die Hersteller tragen. In der Zahl sind aber bereits die von Volkswagen durchgeführten Rückruf-Aktionen enthalten.
Für's Protokoll: Das Update soll die Stickstoff-Emissionen um nur 25 Prozent senken. Dazu muss der Verbraucher jetzt wahrscheinlich öfter mal den Harnstoff nachtanken, der zur Abgasreinigung eingesetzt wird. Die vorhandene Hardware-Lösung, die eine Reduktion von bis zu 90 Prozent ermöglicht und vor deren teuren Einbau sich die Hersteller ja bereits durch die Betrügereien erfolgreich gedrückt hatten, ist vom Tisch. Die Botschaft: Tricksen lohnt sich!
Gut möglich, dass die Judikative mal wieder richten wird, was die Politik nicht lösen will. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht hatte im Streit um Fahrverbote in der baden-württembergischen Landeshauptstadt letzte Woche festgestellt, dass Luftreinhaltung und Gesundheitsschutz höher zu bewerten sind als die Eigentumsrechte von Dieselauto-Besitzern. Software-Updates, so das Gericht, seien „keine geeignete Maßnahme", um schnellstmöglich für Luftreinhaltung zu sorgen.
Keine Visionen, nirgendwoDer ganze Vorgang ist so erbärmlich, dass man sich die Haare raufen möchte. Der Zeitpunkt wäre doch so ideal: Die Glaubwürdigkeit der Autolobby ist angeschlagen, die Verbraucher sensibilisiert - und zudem wissen insgeheim doch alle, dass man sich branchenübergreifend auf eine völlig neue Form der Mobilität einstellen muss. Sonst war es das nämlich bald mit der wichtigsten Säule der deutschen Wirtschaft. Und wer das nicht glauben mag, kann ja mal die letzten zehn Jahre der Energiewirtschaft Revue passieren lassen, die sich vom Ausbau der Erneuerbaren überrollen hat lassen, anstatt die Entwicklung progressiv mit zu gestalten. Selbst wer sich wirklich kein bisschen für die Klimaschutzziele der Bundesregierung oder Grenzwerte für Emissionen interessiert, sollte doch mitbekommen haben, dass neue Player massiv auf den Markt drängen. Nur kurz vor dem Dieselgipfel händigte Elon Musk den ersten 30 Käufer den brandneuen Tesla „Model 3" aus - ein vergleichsweise preisgünstiges E-Auto, das schon hunderttausende vorbestellt haben sollen. Was wir brauchen sind Mobilitätskonzepte, die intelligent Fahrzeuge mit klimaneutralen Antrieben, öffentlichen Nahverkehr und Fahrrad- und Fußgängerverkehr verknüpfen. Davon würden alle profitieren: die Hersteller, die Verbraucher und nicht zuletzt die Umwelt. Doch in Deutschland sind Konzernchefs, die branchenübergreifend solche visionären Ideen anstoßen und fördern, leider weit und breit nicht zu finden.
Die Zeit der fossilen Antriebe ist vorbeiDie Politik, die diesen Wirtschaftszweig mehr oder weniger sanft in eine zukunftsfähige Richtung lenken könnte, ist nicht besser. Das zeigt nicht nur dieser armselige „Diesel-Gipfel". Die E-Auto-Prämie ist ein Rohrkrepierer; vor allem weil die Bundesregierung nicht in der Lage ist die Anreize richtig zu setzen. Andere Länder machen das viel besser. E-Bikes hingegen verkaufen sich wie geschnitten Brot - ganz ohne Prämie. Doch der Ausbau von Radinfrastruktur im innerstädtischen Bereich sowie für Pendler wird von Politikern immer noch belächelt, wenn nicht gar behindert. Und Politiker wie CSU-Chef Horst Seehofer denken gar noch laut über eine Diesel-Prämie nach. Denn die alten Diesel seien das Problem bei der Luftverschmutzung, nicht die Betrügereien der Hersteller. Wie gesagt: Geht's noch? Die Zeit der fossilen Antriebe ist vorbei. Wer das nicht begreift, verspielt die Zukunft der Autofahrer-Nation.