Gleich am Anfang des Films geht gleich mal ein Feuerwehrauto in Flammen auf. Die Szenerie ist düster, Gewalt liegt in der Luft. Der Dokumentarfilm „Projekt A" beschäftigt sich mit Anarchismus, da scheint dies doch der passende Einstieg. Oder etwa nicht?
„Im Zentrum der anarchistischen Idee steht der Gedanke, dass kein Mensch über einen anderen herrschen soll. Von dieser Herrschaftslosigkeit, eigentlich auch Gewaltlosigkeit, entwickeln sich verschiedene Prämissen, wie etwa das Eigentum nicht ungleich verteilt sein darf. Das führt zu einer anti-autoritären sozialistischen Idee", sagt Marcel Seehuber. Seehuber und sein Kollege Moritz Springer, wollten mit „ Projekt A" diese ursprünglich positive Idee des Anarchismus filmisch umsetzen. Und so verzieht sich im Film rasch der Rauch und man findet sich als Zuschauer in einem schönen Garten in Athen wieder. Der war freilich nicht immer so grün: der Parko Navarinou war ursprünglich ein Parkplatz, der 2009 von Anwohnern und Anarchisten besetzt und dann Schritt für Schritt und in viel Handarbeit zu einem öffentlichen Park umfunktioniert wurde. Ein gutes anarchistisches Beispiel, denn „der Anarchismus stand immer dafür, etwas konkret zu versuchen", sagt Seehuber.
Geschichtlich betrachtet hat die antiautoritäre soziale Bewegung eine lange Historie, mit einer Blütezeit zwischen 1860 und 1930. Der Anarchismus erfuhr vor allem in Spanien Unterstützung, wo in der Folge Land und Fabriken kollektiviert und von der Arbeiterklasse verwaltet wurden. Doch auch in Deutschland gab es anarchistisch geprägte Gewerkschaften mit mehreren zehntausend Mitgliedern. Durch die Weltkriege und den Faschismus fand die Bewegung in Europa jedoch ein jähes Ende und ihre ursprüngliche Bedeutung geriet in Vergessenheit. Fast, denn in Barcelona ist die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación General del Trabajo (CGT) wieder aktiv und das mit Erfolg: 60.000 Mitglieder und sie kann als einzige Gewerkschaft Spaniens einen Mitgliederzuwachs verzeichnen. Wie die Struktur funktioniert, wird in „Projekt A" spannend und erhellend erklärt.
Der spanische Robin Hood gründete eine KooperativeDie geregelte Struktur der Gewerkschaft steht dann wieder im krassen Gegensatz zu der Person von Enric Duran, dem von Medien so genannten „spanischen Robin Hood". Der antikapitalistische Aktivist hat sich von 39 Banken eine Summe von nahezu einer halben Million Euro geliehen - ganz ohne die Absicht die Kredite jemals zurückzuzahlen. Stattdessen investierte er das Geld in diverse Projekte. Die von Duran, der heute im Untergrund lebt, mit initiierte Kooperative Cooperativa Integral Catalana (CIC) in Barcelona ist vielleicht die anschaulichste Umsetzung der anarchistischen Vision. Die mehr als zweitausend Mitglieder der CIC versuchen mithilfe von alternativen Währungsmodellen, eigener Produktion und Tauschhandel eine Transformation der Gesellschaft herbeizuführen. Die Infrastruktur der Kooperative deckt Bedürfnisse im Gesundheitswesen und allgemeine Lebens- und Ernährungsbedürfnisse. Der wesentliche Punkt ist, wie bei allen anarchistischen Projekten, das sie auf Selbstverwaltung basiert. Das macht Arbeit und klappt auch nicht überall gleichgut. „Wenn man die doch sehr zahlreiche anarchistische Literatur liest, bekommt man schon das Gefühl, dass es wahnsinnig viele Projekte gibt, die funktionieren, produzieren und Leute versorgen und das alles ganz einfach ist. Tatsächlich haben wir aber erst sehr wenige gefunden", sagt Seehuber.
Dennoch halten die beiden Dokumentarfilmer die Bewegung für einen Trend. „Offenbar ist es für viele Menschen an der Zeit, einen anderen Weg zu suchen. Die Leute haben wieder mehr Bock auf Selbstverwaltung", meint Seehuber. Viele der von „Projekt A" dokumentierten Initiativen sind noch sehr jung. Ihre Geburtsstunde fällt mit der europäischen Finanzkrise zusammen. „Viele dieser Leute hatten aber schon immer alternative Ideen im Kopf. Doch sie hatten gute Jobs, und durch ihre Lohnarbeit blieb schlicht keinen Raum und keine Zeit, um etwas zu organisieren. Dann haben viele Leute ihre Jobs verloren - und natürlich gab es plötzlich die Notwendigkeit sich anders zu organisieren, aber auf einmal hatten sie auch die Zeit dafür. Deswegen sind gerade in Griechenland und Spanien viele Projekte auf diese Weise vor kurzem entstanden", sagt Seehuber.
Anarchismus im konservativen Bayern?Doch auch in Deutschland, das von den Auswirkungen der Krise deutlich weniger betroffen war, tut sich etwas. Ganz im Kontrast zu dem Feuerwehrauto in Flammen besuchen die Filmemacher, zum Ende des Films das „ Kartoffelkombinat ", eine solidarische Landwirtschaft im beschaulichen München. Deren Mitglieder bezeichnen sich zwar selbst nicht als anarchistisch. „Aber das andere Herangehen an Eigentum, die nicht profit- sondern bedürfnisorientierte Produktion und die demokratische Organisationsweise führt sehr zu den Wurzeln der politischen Bewegung", sagt Seehuber.
Während der Film die Zuschauer mit der Erkenntnis entlässt, dass die anarchistische Utopie sogar bis ins eher konservative Bayern vorgedrungen ist, denkt Seehuber schon wieder über neue Projekte nach. Die Umsetzung muss aber noch warten, denn der Verleih von Projekt A ist standesgemäß über einen genossenschaftlichen Filmverleih organisiert. Und der basiert zu einem großen Teil auf kollektiver Arbeit der beteiligten Filmemacher.
Kinostart von Projekt A ist am 4. Februar 2016. Die Premiere findet am 2. Februar in der Berliner Volksbühne statt.