22.000 Gasthörer über 50 sitzen in deutschen Hörsälen. Weil Studenten sich eingeschränkt fühlen, trennen viele Unis Alte und Junge wieder voneinander
An einem ganz normalen Vorlesungstag trifft Martin Ebner, 54, eine Entscheidung. Der Theologie-Professor steht im Audimax der Universität Münster an seinem Rednerpult. Vor sich sieht er fast nur graue Haare. Der Hörsaal ist voll von Menschen, die das übliche Studentenalter längst überschritten haben. Seit Jahren kommen mit jedem Semester mehr Seniorenstudenten in Ebners Vorlesung. "Am Anfang waren es 20, dann 50 und dann war es der halbe Hörsaal. Das war das Schlimme", sagt er. Da entscheidet Martin Ebner: Er möchte keine Seniorenstudenten mehr in seinen Vorlesungen haben.
Wenn ältere Priester und Lehrer ihre Erfahrungen eingebracht haben, hat Ebner sich eigentlich darüber gefreut. Doch nur für die Älteren hat er seine Vorlesung über die Jahre immer weiter angepasst. Weil er befürchtet, dass ihn nicht alle hören können, bleibt er jetzt am Mikrofon stehen, anstatt durch die Reihen zu laufen. Und Ebner hört immer wieder Klagen über das Verhalten der älteren Studenten: "Sie sitzen in den ersten Reihen, nehmen Plätze in Sprechstunden weg, reden dazwischen." Also entscheidet er sich für eine konsequente Lösung: Seit einem Jahr bietet er separate Vorlesungen für Senioren an. In seine regulären Veranstaltungen sollen sie nicht mehr kommen.
Das widerspricht der eigentlichen Idee des Seniorenstudiums. Alt und Jung sollten zusammen und voneinander lernen. Doch in der Theorie klingt das besser, als es in der Praxis funktioniert. Was Anfang der achtziger Jahre innovativ war, nervt heute viele junge Studenten. Vor allem in den Geisteswissenschaften sitzen oft mehr ältere Gasthörer in den Vorlesungen als Studenten. Viele Junge fühlen sich in ihrem Studium eingeschränkt.
Während ihrer ersten Wochen in Münster wunderte sich Lehramtstudentin Julia Weinen über die vielen Älteren an der Uni. Da gab es den Herrn, der vor jeder Philosophie-Vorlesung die Tafel putzte. Eine Rentnerin bat Julia, ihr Tee aus der Mensa mitzubringen. Erst nach und nach fallen Julia die Senioren auch unangenehm auf: "Viele haben die Vorlesung schon öfter gehört. Ein älterer Mann beschwerte sich, dass er das schon alles kennen würde." In anderen Vorlesungen fehlen den Studenten Unterlagen zur Prüfungsvorbereitung, weil Senioren die Zettel mitnehmen. Das machen nur wenige, aber die stechen hervor. "Das stört", sagt Julia Weinen.
Die Zahl der Seniorenstudenten ist an den deutschen Universitäten in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen. In Münster startete das Seniorenstudium 1986 mit 213 Studenten. Heute sind es fast 2300. Ähnlich sieht es in anderen Städten aus. Etwa 22.000 Gasthörer über 50 sitzen in den Hörsälen im Land. 1995 waren es noch halb so viele. Längst bieten die meisten Unis eigene Anlaufstellen für Senioren. Die bezahlen dafür im Schnitt 100 Euro pro Semester.
So auch Johannes Wolff-Diepenbrock an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Der 72-Jährige hat als Richter gearbeitet. Heute vertieft er sein Wissen über islamische Kunst. Er will auf dem neuesten Stand der Wissenschaft bleiben, das geht nur an einer Uni. Hier gibt es für ihn noch einen Vorteil: "Dass wir nebeneinander sitzen, die Alten und die Jungen, finde ich nicht schlecht." Doch junge und alte Studenten lernen zwar nebeneinander, aber nicht miteinander. "Kontakt zwischen Älteren und Jungen gibt es eher wenig", sagt auch Wolff-Diepenbrock.
Generationenübergreifend ist nur der Wettstreit um die Plätze. Und der könnte noch stärker werden, wenn in den kommenden Jahren die doppelten Abiturjahrgänge an die Universitäten strömen. Die Unis sind ohnehin überfüllt. Doch junge Studenten brauchen die Plätze, um einen Abschluss zu machen, um in den Beruf starten zu können. Johannes Wolff-Diepenbrock sieht das Problem. Er sagt: "Wir sind Gäste." Doch manche Senioren überstrapazieren die Gastfreundschaft. Und wenn der Platz in den Hörsälen knapp ist, wird der Dialog der Generationen besonders grimmig geführt. Das weiß Mechthild Kaiser, Geschäftsführerin der Kontaktstelle Studium im Alter in Münster: "Es wird immer dann schwierig, wenn die Zahl der Älteren größer ist als die der Jüngeren."