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Im Gespräch mit Human Rights Watch in New York

Es ist soweit. Election Day. Während ich im Hotelzimmer vor dem Laptop sitze, zappe ich mich durch die TV-Sender. CBS zeigt lange Menschenschlangen vor den Wahllokalen in Philadelphia. NBC berichtet live vom Rockefeller Center in New York. Fox betont, dass es im Osten nicht regnen wird, und es keine Entschuldigung geben wird, nicht wählen zu gehen. C-Span schaltet nach Miami, auch dort warten Tausende darauf, ihre Stimme abzugeben. ABC analysiert, was die Wahl für die Wirtschaft bedeutet. Eine junge, blonde Reporterin von NY1 steht mitten im Wahllokal. Der Sportsender ESPN zeigt zum x-ten Mal zwei Interviews, die Obama und McCain ihnen am Abend zuvor in der Halbzeit eines Footballspiels gegeben haben. Und CNN verkündet „A day for the history books".

Auch bei unserem Treffen mit Experten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) geht es um die Wahlen. Natürlich. Militäranalyst Marc Galasco erzählt wie er das ganze Wochenende versucht habe, seine Mutter vom richtigen Kandidaten zu überzeugen. Pressechefin Emma Daly betont allerdings, dass der Ausgang der Wahlen für HRW keine große Rolle spiele. Natürlich habe Obama als Demokrat Menschenrechtsfragen mehr im Fokus. Aber man habe auch zu McCain einen exzellenten Kontakt. Auch er sei der Arbeit von HRW gegenüber sehr positiv eingestellt.

Ohnehin möchten unsere Gastgeber lieber über die deutsche als über die amerikanische Politik sprechen. Schnell wird deutlich, dass sie das Treffen mit uns als Chance verstehen, ihre Sache zu vertreten. Vize-Direktorin Rachel Denber zeigt sich bestürzt darüber, dass erst vor wenigen Tagen der usbekische Geheimdienstchef nach Deutschland einreisen durfte. „In 17 Jahren bei HRW bin ich nie so geschockt gewesen, wie von dieser Nachricht", sagt sie.

HRW macht den Usbeken für den Tod unzähliger Demonstranten und Menschenrechtlern im Mai 2005 in der usbekischen Stadt Andijan verantwortlich. Nach einiger Zeit stößt Umida Niazova zu uns. Die junge Frau war damals als Demonstrantin dabei, wurde inhaftiert. Wir pendeln nun irgendwie zwischen Pressekonferenz und Hintergrundgespräch.

Es wird deutlich, wie wichtig die Medien für HRW sind. Ohne die Journalisten wäre die aufwendige Recherchearbeit der 280 HRW-Mitarbeiter in mehr als 80 Ländern nichts wert. Doch auch wir Journalisten können von Kontakten mit HRW-Analysten profitieren. Denn die haben für ihre Recherche deutlich mehr Zeit als wir. Man spreche mit so vielen Zeugen wie möglich, sagt Emma Daly.

Beispiel Georgien-Konflikt. Dort hätten sie über Wochen mit hunderten Zivilisten, Soldaten, Ärzten, hohen Militärs und Politikern gesprochen, um sich ein Bild zu machen. Bedingungen, von denen wir nur träumen können. Da verwundert es nicht, dass viele HRW-Mitarbeiter ehemalige Journalisten sind. Emma Daly selbst arbeitete 18 Jahre unter anderem bei der New York Times, The Independent, Newsweek, The Observer und Reuters.

Umgekehrt sei HRW aber auch auf die Recherchearbeit von Journalisten angewiesen. Nur werde das zunehmend schwieriger, weil denen immer weniger Geld und Zeit für die Recherche zur Verfügung stehe. Eine Folge davon sei, dass HRW mittlerweile eigene Fotografen beschäftige, während man früher auf freie oder feste Fotografen von Zeitungen zurückgegriffen habe. Allerdings dürften diese ihre Bilder an andere Medien verkaufen. Pressearbeit auf direktestem Weg.

Im Dienst der (guten) Sache werden so die Grenzen zwischen PR und Journalismus aufgehoben. Das macht HRW verdächtig, Journalisten für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Umgekehrt könnten Journalisten verführt sein, für die spannende Geschichte Informationen von HRW zu leichtfertig zu nutzen. Man könne sich als HRW absolut keine Fehler erlauben, erwidert Emma Daly. Der Image-Schaden wäre im Fall einer weltweit verbreiteten Fehlinformation unermesslich und würde sich unmittelbar negativ auf das Spendenaufkommen auswirken. Deshalb werde jeder Informant mehrfach überprüft und jede Information nachrecherchiert, bis sie „wasserdicht" ist.

Am Ende des Gesprächs werden Visitenkarten ausgetauscht. Sie würden sich in Zukunft über eine Zusammenarbeit freuen. Wir uns auch.

Von Daniel Schalz
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