In dieser Zeit voller Unsicherheiten war bislang eine Sache gewiss: Der Dönerspieß dreht sich weiter. Doch auch scheinbare Gewissheiten sind fragil geworden, es ist "Döner-Krise in Almanya!" wie Ferat Koçak ausrief, ein Linkenpolitiker im Berliner Abgeordnetenhaus.
Der Döner zeigt, wie die derzeitigen multiplen Krisen gleichzeitig ihre Wirkung entfalten: Steigende Gaspreise treffen den Gasgrill, der heiß gelaufene Weizenweltmarkt das Fladenbrot, teures Tierfutter den Fleischpreis. In hat sich der Dönerpreis innerhalb weniger Jahre beinahe verdoppelt, die 3,50-Euro-Zeiten sind nur noch Erinnerung.
Das legendäre, irgendwie unglaubliche Preis-Leistungs-Verhältnis des Döners: bedroht. Das deutsche Fast Food: in Gefahr. Der Döner war immer eine Mahlzeit für alle. Wenn ihn sich Menschen mit geringem Einkommen aber immer seltener leisten können, verschwinden dann Hunderte Dönerläden aus deutschen Einkaufsstraßen, weil die Nachfrage nicht mehr für alle Anbieter reicht? Wird der Döner gar zum Statussymbol?
Diesem Verdacht könnte man an vielen Orten im ganzen Land nachgehen. In Dresden etwa, das ein großer Lieferdienst gerade zur Döner-Hauptstadt gekürt hat. Aber wir fahren nach Berlin, in die Geburtsstadt des Döners. Dort ist auch die Drehspießdichte am höchsten: 1.600 Geschäfte für 3,7 Millionen Menschen.
Auf einem Streifzug durch die bedrohte Berliner Dönerwelt suchen wir Antworten: Welchen Dönerpreis erträgt das Volk? Und welchen die Dönerverkäufer? Wir beginnen in einem der alten Arbeiterviertel der Stadt: , nahe der U-Bahn-Station Turmstraße. Hier pocht das Herz von Dönerdurchschnittsdeutschland.
Moabit, Özel Döner Pizza, Dönerpreis: -
Der erste Eindruck stimmt misstrauisch: Über dem Eingang prangt in großen roten Lettern auf einem weißen Schild der Schriftzug "DÖNER PIZZA", guckt man hinein, eine lange dunkle Theke, aber, oh, kein drehender Spieß! Döner? "Verkaufen wir seit zwei Jahren nicht mehr", sagt der Ex-Dönerverkäufer mit Dreitagebart und schwarzem Stirnband, er knetet gerade Teig zwischen seinen Fingern. "Viel zu viel Arbeit", sagt er. "Wir machen nur noch Pizza." Die habe einfach eine größere Gewinnmarge.
Moabit, Metrom Bistro, Dönerpreis: 5,50 Euro (noch)
Nebenan dreht sich der Dönerspieß noch. Das Metrom Bistro ist ein klassischer Dönerladen, wie ihn die Leute deutschlandweit zu lieben gelernt haben: gleißendes Neonlicht, große Preistafel, lautes Kühlschranksurren. "Wir müssen den Preis auf sechs Euro erhöhen. Keine Ahnung, wie teuer der Döner noch wird", sagt Mahmut, der Verkäufer. Er dreht seinen trainierten Körper zum Schiebefenster und ein Mann in Jeansjacke und Cap bestellt "einmal mit alles". Die einen montieren den Grill ab, die anderen erhöhen die Preise. Berlin, quo vadis?
Nicht weit von hier erblickte der Döner das Licht der Welt: Am Bahnhof Zoo hat Kadir Nurman 1972 den ersten Döner serviert, behauptet der Verband türkischer Dönerhersteller in Europa, ATDiD. In den darauffolgenden Jahrzehnten trat der Döner einen unvergleichlichen Siegeszug an. Als 2014 der damalige Bundespräsident Joachim Gauck zum Bürgerfest ins Schloss Bellevue lud und Street Food aus aller Welt servierte, wollten angeblich alle nur eines: den Döner. Für einen unschlagbaren Preis von 2,50 Euro - heute unvorstellbar. Im letzten halben Jahrhundert wurde Deutschland zum Einwanderungsland, das gefüllte Fladenbrot wurde zu dessen Symbol. German Döner, German dream.
Und die Kunden? Ob Schülerin, Straßenbauer oder Gastarbeiterin: Alle mit wenig Geld konnten sich bisher eine sattmachende Mahlzeit auf die Hand leisten. Der deutsch-türkische Autor und Journalist Ömer Erzeren formulierte einmal brutaler, als er über den Döner schrieb: "Der Markt verlangte nach einer Ware für die Abfütterung der Deklassierten, Ausgegrenzten, der Sozialhilfeempfänger."
Heute würde man sagen: Essen für Geringverdiener.
Doch der Döner hat immer auch in einer anderen Welt funktioniert: in der der Lifestyle-Performer in Doc Martens, noch im Studium oder in Großstadtbeschäftigung, bitte vegan wenn's geht, aber muss auch nicht. Döner als umgekehrtes Distinktionsmerkmal, als Distanzierung von den eigenen Privilegien, als Understatement, weil mit Knoblauchsoße am Kinn und Rotkohlstreifen auf dem Handrücken alle gleich sind. Wenn es zu früh ist, um vom Feiern heimzutorkeln, aber zu spät um in die nächste Bar zu ziehen, verwandelt sich die Dönerbude in einen hedonistischen Zufluchtsort.
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