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Anmerkung zur Ermächtigung der Bundesregierung im Fall Böhmermann

Im ersten Moment macht die Entscheidung sprachlos - hat sich die Regierung gerade ernsthaft einem Despoten gebeugt? Hat Merkel sich im Fall Böhmermann gerade gegen ihren eigenen Staatsbürger und auf die Seite Erdogans gestellt?

Im zweiten Moment denkt man - ja, auch hier - über den Kontext nach, in dem Merkel diese Entscheidung mitgeteilt hat. Er besteht aus mehreren Teilen:

Erstens hat sie eine Einmischung der Regierung, der Exekutive, in eine Sache der Judikative abgelehnt. Das scheint mir aber nur die vordergründige Rechtfertigung zu sein - tatsächlich antwortet diese Ablehnung auf das, was Erdogan tut, wenn er fortlaufend seine Gerichte zu entmachten versucht.

Zweitens hat sie die Türkei als Partner und EU-Beitrittskandidat eingeführt - nur um dann umso deutlicher auf die Grundrechtsverletzungen, insbesondere in der Meinungs- und Pressefreiheit, hinzuweisen.

Drittens hat sie mehrfach (!) die große Bedeutung der hier betroffenen Grundrechte betont: Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit - und ihre Abwägung gegen das Persönlichkeitsrecht Erdogans explizit der Judikative übertragen. Das signalisiert: Hier wird der Fall Böhmermann unabhängig und vor Gericht entschieden - und unsere Grundrechte sind so stark, dass sie - und nicht die Regierung - die Entscheidung der Richter leiten werden, deren Aufgabe es ist, darüber zu entscheiden.

Viertens hat sie die Uneinigkeit der Koalition hervorgehoben und damit aus diplomatischer Sicht der eigenen Entscheidung weniger Gewicht gegeben.

Fünftens hat sie den Paragraphen, zu dem sie in dieser Erklärung Stellung genommen hat, zur baldigen Abschaffung freigegeben - und damit auch dessen Bedeutung, zumindest in politischer Sicht, stark eingeschränkt

Und sechstens hat sie ausdrücklich betont, dass die Ermächtigung - als formaler Vorgang, der sie ist - weder eine Vorverurteilung des Beschuldigten, noch eine Entscheidung der Regierung signalisiert. Sicher der schwächste Punkt, angesichts von Merkels vielleicht diplomatischem, aber höchst unbedachtem Kommentare, es hätte sich um eine „bewusst verletzende" Äußerung gehandelt.

Wenn ich alles das zusammennehme mit der Entscheidung, dann sagt sie aus meiner Sicht u. a. Folgendes: ‚Wir ermächtigen die Staatsanwaltschaft, im Sinne des §103 gegen Jan Böhmermann vorzugehen, weil wir uns sicher sind, dass ein deutsches Gericht der richtige Ort ist, um die Grund- und Freiheitsrechte Böhmermanns gegen Erdogans Strafantrag abzuwägen.' Nach meiner Lektüre einiger juristischer Positionen zu dem Thema würde ich vermuten (ohne es gut begründen zu können), dass die Regierung sich hinreichend sicher ist, dass Erdogan vor Gericht scheitert.

Auf der dunklen Seite dieser Entscheidung steht freilich der Pragmatismus dieser Regierung, die politisches symbolisches Handeln durch ständige Delegierung, paternalistisches Verhalten (hier: wir instrumentalisieren den Fall Böhmermann, um Erdogan rechtsstaatlich zu erziehen) und risikoarmes Verschieben von endgültigen politischen Urteilen ersetzt.

Damit verbunden ist allerdings ein nicht zu unterschätzendes Moment der Risikohaftung, wie es solchen Verschiebetaktiken stets inhärent ist:

Wird Böhmermann freigesprochen, dann gewinnt die Regierung - weil sie im Nachhinein als Klügere dasteht, ohne sich die Hände schmutzig gemacht zu haben -, dann gewinnt auch Jan Böhmermann, weil er, quasi als ‚Märtyrer' der Meinungsfreiheit, gegen einen Despoten angetreten ist. Und unsere Grundrechte erfahren subjektiv *) eine Stärkung, weil sie diesen populistischen Angriff abgewehrt haben. Ein verlockender Einsatz.

Wird Böhmermann jedoch verurteilt - dann verliert nicht nur er, sondern verliert auch die Schutzfunktion der Grundrechte als fundamentale international anerkannte Abwehrrechte subjektiv an Glaubwürdigkeit. Es verliert aber auch und vor allem die Regierung, der man spätestens dann politisch vorwerfen kann, dass sie aus Machtkalkül und rechtspositivistischer Ideologie heraus das Signal an die Despoten der ganzen Welt gegeben hat, dass die hochgelobte westliche Form der Demokratie beginnt, an ihrer eigenen bürokratischen Selbstauslegung zu ersticken. In diesem Fall wäre diese Entscheidung - als symbolischer politischer Akt - sogar ein Fall für die Geschichtsbücher:

Der Tag, an dem technokratisches Kalkül, menschenverachtende internationale Politik und die subjektive Unterordnung der Grundrechte unter das (durch sie erst ermöglichte) Strafrecht die Abenddämmerung der Demokratie einläutete.

In dieser Spannung müssen wir bleiben - und dürfen dann aber, wenn der Prozess sich entscheidet, nicht zögern, wenn es darum geht, dem im Kern apolitischen Handeln der deutschen Regierung eine politische Auslegung entgegenzusetzen. Und sei es nur, um sie und nachfolgende Generationen von Politikern wieder zur Politik, d. h. zum symbolischen Handeln innerhalb eines von demokratischen Grundrechten garantierten Rahmens zu erziehen.

*) Dass die Grundrechte ‚subjektiv' eine Stärkung oder Schwächung erfahren, ist aus dialektischer Sicht nicht ohne Bedeutung: Als Postulate besitzen sie Rechtsform, nicht aber primär, sondern erst tertiär Geltung qua Rechtsgeltung. Ihre sekundäre (eigentliche) Geltung ergibt sich aus den Vernunftschlüssen, die sie ermöglichen - aber als Postulate (also: konstitutive Forderungen) sind sie primär vor allem auf eine stetige affirmative diskursive Reproduktion angewiesen - darauf also, dass man sich auf sie positiv und mit Sicherheit bezieht, sie in diesem Bezug als die Postulate, die sie sind, anerkennt. In der - aus juristischer Sicht - nur subjektiven Anerkennung der Grundrechte durch die öffentlichen Meinung liegt also ein konstitutives Moment. Und genau dieses Moment steht, so meine These, in verschiedenen Hinsichten (Regierungshandeln, Populismus, internationale Glaubwürdigkeit usw.) zur Disposition.

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