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Review

DAS RICHTIGE REZEPT

Gerade wurde die zweite Staffel des US-Streaming-Hits „The Bear: King of the Kitchen“ mit drei Golden Globes und zehn Emmy Awards ausgezeichnet. Kritiker feiern die Dramedy-Serie bereits als eine der besten aller Zeiten. Warum nur lässt eine Geschichte über Köche kurz vor dem Nervenzusammenbruch niemanden kalt?  


Seit 2022 erstmals der fettige Küchendampf aus dem „Original Beef of Chicagoland“ über die Bildschirme waberte, waren sich Fans und Kritiker einig: Dies ist die authentischste Darstellung des Gastronomiealltags, die je im Fernsehen, Kino oder auf einem Streamingkanal zu sehen war. „The Bear“ ist eine Art adrenalingeladenes Kammerspiel in einer brodelnden Imbissküche, in der andauernd Dinge hochkochen, Egos aneinandergeraten, Feuer gelöscht werden und irrwitzige, tieftraurige, melodramatische und düstere Momente so schnell aufeinanderfolgen, dass man beim Zuschauen förmlich nach Luft schnappen muss.

 

In bisher 18 Episoden wird die Geschichte von Fine-Dining-Chef Carmen „Carmy“ Berzatto (Jeremy Allen White) erzählt, der den heruntergewirtschafteten Sandwich-Shop seines verstorbenen Bruders Michael (Jon Bernthal) erbt. Geht es im ersten Teil vor allem um Carmys Bemühungen, Michaels Selbstmord zu verarbeiten und das Familienlokal vor dem Ruin zu retten, soll dieses in Staffel zwei zu einem Restaurant mit Michelin-Stern-Ambitionen umgebaut werden. Die auf dem Pappkarton geplante Renovierung läuft aus dem Ruder, die Schulden steigen, Geldgeber Onkel Jimmy (Oliver Platt) vergeht mit jeder Rechnung mehr der Appetit, und alle Beteiligten stehen vor der Frage, warum sie das eigentlich tun.

 

„The Bear“ handelt davon, seine Berufung zu finden. Es geht um Selbstzweifel und Selbstoptimierung, das Streben nach Perfektion und die Frage, welchen Preis man dafür zahlen muss. Showrunner Christopher Storer hat zuvor bereits einen Kurzfilm über den amerikanischen Spitzenkoch Thomas Keller gedreht. Seine Schwester Courtney Storer arbeitete in Fine-Dining-Restaurants von Paris bis Los Angeles und ist kulinarische Beraterin der Show. Matty Matheson, der in einer Nebenrolle als Faktotum Neil Fak zu sehen ist, betreibt mehrere Lokale in Toronto und moderiert Kochshows auf dem Kabelkanal Vice. Viele der Koautoren sind ebenfalls in der Gastronomie tätig. Das Drehbuch lebt von liebevoll arrangierten, stimmigen Details, brillant geschriebenen Dialogen und dem bizarren Küchenjargon, aus dem schon einige geflügelte Wörter hervorgegangen sind („Ecke!“, „Housekeeping!“, „Chef!“).

 

Neben den inhaltlichen Feinheiten sorgen Ton und Schnitt dafür, dass man sich fühlt, als wäre man mittendrin statt außen vor. Serviceglocken, Küchenrufe, Bondrucker bilden eine Soundkulisse wie im Horrorfilm. Auf abstrakte Montage-Sequenzen folgen hektische Jump Cuts, in den chaotischsten Momenten scheint sogar die Kamera an allen Ecken anzustoßen. Der Küchenlärm wird von noch lauterer Musik übertönt, Dialoge überlappen, ständig reden alle gleichzeitig, jedes Zweiergespräch wird von mindestens einer anderen Person oder einem Telefonanruf unterbrochen. Selbst als Zuschauer sehnt man sich nach einer Zigarettenpause, in der endlich mal alle die Klappe halten.

 

Die Restaurantküche ist ein Mikrokosmos, in dem die Uhren schneller ticken und die Köpfe heißer laufen als an jedem anderen Ort. Irgendetwas geht immer schief, nie ist man darauf vorbereitet, immer kommt es schlimmer als gedacht, und es hört nie auf. Die einzig wichtige Frage lautet: Wie geht man damit um? Die Serie hat darauf so viele Antworten wie Charaktere, und jeder davon erlebt in der zweiten Staffel sein persönliches Erweckungserlebnis. Patissier Marcus (Lionel Boyce) erfährt bei einem Praktikum in Kopenhagen, wie Scheitern zum Erfolg führen kann. Köchin Tina (Liza Colón-Zayas) wächst über sich hinaus, nachdem sie noch einmal die Schule besucht. Cousin Richie (Ebon Moss-Bachrach) lernt im „Service-Bootcamp“ in einem Drei-Sterne-Tempel endlich seine Arbeit wertzuschätzen. Und Sous Chefin Sydney (Ayo Edebiri) erinnert sich daran, was sie eigentlich wirklich will: für Menschen kochen und sie damit glücklich machen.

 

Die Szene, in der Sydney für Restaurantmanagerin Natalie (Abby Elliott) aus ein paar Eiern, etwas Käse und einer Handvoll zerbröselter Kartoffelchips das perfekte Omelette zubereitet, hat einen viralen Hype ausgelöst, der immer noch anhält. Auf TikTok, YouTube und sogar in Tageszeitungen findet man laufend Anleitungen zum Nachkochen des Gerichts. Dabei ist es wie bei jedem guten Rezept: Es braucht die richtige Balance von süß, sauer, salzig und bitter, Vielschichtigkeit und Komplexität. „The Bear: King of the Kitchen“ hat das alles.