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Gianfranco Calligarich: "Es ist eine Art Wunder"

Der Schriftsteller wohnt im Norden , wo der Tiber eine scharfe Kurve nimmt und die Stadt endlich wieder grüner wird. Nur der Verkehr bleibt chaotisch, Motorini überholen an der Ampel, knattern über die Kreuzung, die Straßenbahn muss bimmeln. Gleich 18 Uhr, die Häuserwände leuchten orange, die dunkelgrünen Fensterläden sind fast allesamt geschlossen, knapp darunter die tropfenden Klimaanlagen. Im schattigen Hinterhof stehen mehrere große Bäume, meist Palmen, und die Wohneinheiten A bis G.

Gianfranco Calligarich, 75, öffnet die Tür seiner Souterrainwohnung und wirkt ein bisschen überrascht. Seine Haare sind zerzaust, auf dem Schreibtisch hinter ihm steht ein aufgeklapptes, leuchtendes MacBook. Die winzige Wohnung ist voller Gemälde und Fotos, CDs, einer Garderobe, zwei Sofas und einer Küchenzeile, alles ein Raum, ganz dunkel. Im Innenhof wackeln die Blätter der Palmen vom leichten Wind. Calligarich bittet freundlich herein, schlurft vor und erinnert dabei ein bisschen an eine römische Version von Miyagi, der alte Meister aus dem Film Karate Kid. Nur ein Schlaglicht scheint aus dem Innenhof in sein Gesicht, als er sitzt und zu erzählen beginnt. Während des Gesprächs wird er Wein anbieten und mehrere Zigaretten rauchen. Er nimmt sich Zeit, beantwortet alle Fragen, manches erzählt er doppelt.

ZEIT ONLINE: Schön kühl haben Sie es hier.

Gianfranco Calligarich: Ja, aber die Hitze ist ein Desaster. Wir zerstören unseren Planeten. Der Mensch ist eine abscheuliche Bestie, er will essen, essen, essen. Ehrlich gesagt: Der Mensch gefällt mir nicht wirklich. Ich habe keine Ahnung, wie das weitergehen soll. Ich glaube, ich bleibe einfach hier und schreibe.

ZEIT ONLINE: Was schreiben Sie gerade?

Calligarich: Es geht um einen, der als junger Mann nach Rom gekommen und hier alt geworden ist. Einen Schriftsteller, der mit Hunden spaziert. Er sieht alle seine Freunde wieder, erinnert sich an sein Leben, während er auf den Tod wartet. Etwa 20 Seiten fehlen mir noch.

ZEIT ONLINE: Es geht also wieder um Rom, wie in Ihrem ersten Roman Der letzte Sommer in der Stadt aus dem Jahr 1973.

Calligarich: Ich schreibe ja über nichts anderes als Rom! Es ist so: Ich schreibe über Dinge, die mir passiert sind. Ich erfinde nichts. Vielleicht andere Namen, aber sonst ist alles wahr.

Calligarich, dessen slowenischen Nachnamen man hinten "tsch" spricht, zeigt auf sein MacBook. Er stammt aus einer Triestiner Familie, wurde 1947 in Asmara in Eritrea geboren und wuchs in Mailand auf, genau wie sein Romanheld aus Der letzte Sommer in der Stadt, Leo Gazzara. Er zog nach Rom, arbeitete als Journalist und Drehbuchautor. 1994 gründete er das Teatro XX Secolo. Spricht er über Rom, schwärmt er, selbst dann, wenn er sich beklagt, über den Verkehr, den Verfall. Calligarich sagt, er könne in keiner anderen Stadt leben.

ZEIT ONLINE: Was mögen Sie an Rom?

Calligarich: Als junger Journalist fuhr ich gelegentlich mit dem Zug nach Mailand, meine Eltern lebten dort. Wenn ich dann auf der Rückfahrt auf Höhe von Orte(eine Gemeinde etwa 80 Kilometer nördlich von Rom, Anm. d. Red.) war, schlug mein Herz plötzlich schneller. So als würde die Frau, in die ich verliebt war, mich erwarten. Zu der Zeit kamen einige Journalisten aus Mailand nach Rom, viele hassten die Stadt sofort und andere liebten sie sofort. Als die Mailänder Zeitung, für die ich damals als Rom-Korrespondent arbeitete, mich zurückholen wollte, sagte ich ab.

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