1 subscription and 0 subscribers
Article

Italienische „Gastarbeiter" und ihre Kinder: Wie leben die Familien heute?

Stets der lustige Kellner mit viel Amore? Wer italienische Wurzeln hat, wird häufig in die immer gleichen Schubladen gesteckt. Wie sehen die wahren Geschichten aus? Auf Italienreise durch Deutschland.

Diese Geschichte beginnt am 20. Dezember 1955, der deutsche Arbeitsminister schüttelt dem italienischen Außenminister die Hand. Eine Unterschrift, ein Abkommen, Millionen Leben, die sich verändern. Die Wirtschaft der noch jungen Bundesrepublik boomt. Italien, besonders der Süden, kämpft mit Arbeitslosigkeit. Viele Italiener steigen in der Heimat in die Züge und in Wolfsburg, Stuttgart oder Essen wieder aus. Sie malochen, jahrelang, für ihre Familien, für Deutschland.

Nach getaner Arbeit würden sie wieder zurückreisen, dachten Politiker, in den Abkommen ist von einem Rotationsprinzip die Rede, andere sogenannte „Gastarbeiter" sollen kommen. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Warum? Der Schriftsteller Max Frisch traf es 1965 am besten: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen." Diese Menschen arbeiteten nicht nur hart, sie lebten auch, sie verliebten sich, sie blieben. Laut Statistischem Bundesamt lag die Zahl italienischstämmiger Bürgerinnen und Bürger in Deutschland 2019 bei etwa 873 000.

Aylin Esposito, 25, sitzt in einem Restaurant in Reutlingen, schneidet ein Schnitzel und sagt, dass sie oft für eine Spanierin gehalten werde. Esposito, mit Betonung auf dem „i", klingt spanisch, auf dem ersten „o" italienisch. Sie spricht kaum Italienisch und manchmal, früher, machte sie das auch sauer. „Hättest du mich nicht zweisprachig aufziehen können?", habe sie ihren Vater dann gefragt. Ihr Vater sagte dann, dass er es doch versucht habe, sie auf Italienisch gefragt hatte und Aylin mal bockig und auf Deutsch und mal gar nicht geantwortet hätte. So erzählt sie es nach. Sie traue sich bis heute nicht, Italienisch zu sprechen. Das Land, so wirkt es aus ihren Erzählungen, liegt ihr eher fern.

Italien in Deutschland: Wo sind die Nachkommen der damaligen Gastarbeiter heute?

Als Kind besuchte sie einmal die Woche eine italienische Schule, wie viele Kinder mit italienischer Einwanderungsgeschichte. Und wie vielen anderen Kindern auch, hat es ihr wenig gebracht. Die meisten dort konnten schon ein bisschen Italienisch, Aylin nicht: „Das war für mich schlimm, ich war eine Außenseiterin." In den Urlaub nach Italien fuhr sie nicht so gerne, weil sie nichts verstanden habe: Müssen wir da schon wieder hin? Ihr Lieblingsort in Italien ist Südtirol.

Als er 16 war, zog ihr Vater aus Sizilien nach Deutschland, arbeitete auf dem Bau. Er habe immer gewusst, dass er Deutsch lernen musste, erzählt die Tochter. In der Nähe von Reutlingen besuchte er nach der Arbeit die Abendschule. Mit 17 lernte er Aylin Espositos Mutter kennen, eine Deutsche. Er machte eine Ausbildung, heute ist er selbstständig, handelt mit Industriegütern, die Mutter arbeitet auch in der kleinen Firma. Esposito sagt, inzwischen komme ihr die Mutter italienischer vor als der Vater. Der Familie gehe es gut, mehrmals Urlaub im Jahr, ein eigenes Haus. „Das finde ich schon krass, wenn man sich so etwas aufbaut, von gar nichts zu alldem" sagt Aylin Esposito und: „Nur weil man Italiener ist, muss man ja nicht eine Eisdiele oder ein Restaurant haben."

Stellen Sie sich einen in Deutschland lebenden Menschen mit italienischer Einwanderungsgeschichte vor. Woran denken Sie? An den lustigen Kellner in Ihrem Lieblingsrestaurant? Nicht schlimm, Sie sind nicht allein. Aber Niels Zanotto, 22, regt das auf. Sein Vater führt ein Restaurant in Potsdam. Beide wollen ein neues, modernes Bild von Italien zeigen: „Mein Vater ist nicht dieser Luigi-Wirt, mit einer Schürze, die bis zum Boden reicht und einem gigantischen Pfefferstreuer in der Hand."


Original