Die Kunst des Zusammenbleibens: Der britische Bestsellerautor David Nicholls über seinen Familienroman "Drei auf Reisen"
David Nicholls vergräbt seine Hände unter dem Tisch in einem leeren Hotelfrühstücksraum und beugt sich erschöpft nach vorne. Mit britischer Höflichkeit bittet er um Verzeihung, aber heute sei sein fünfter PR-Tag in Folge nach fünf Jahren Pause, und er freue sich auf sein freies Wochenende in Berlin. Am nächsten Tag kommt die Frau mit den beiden Kindern. "Drei auf Reisen" heißt der neue Roman des Bestsellerautors (Kein & Aber, Zürich. 544 S., 22,90 €). Es geht um unerwiderte Vaterliebe, um Kunst und eine schicksalhafte Europareise. Im Gespräch verrät David Nicholls, wieso er als Vater nicht so geworden ist, wie er es sich früher vorgenommen hatte, und wieso er seine Romanhelden manchmal gern leiden lässt.
Literarische Welt:
Ihr letzter Roman, "Zwei an einem Tag", war ein Weltbestseller. Wieso mussten Ihre Fans fünf Jahre warten?
David Nicholls:
Es gibt ja eine gewisse Tradition, dass auf den Big Hit der Flop folgt. Nachdem "Zwei an einem Tag" so umjubelt und dann auch noch verfilmt wurde, gab es einen heftigen Rückschlag für mich. Plötzlich kritisierten einige Leute, dass sie den Wirbel nicht nachvollziehen könnten. Das ist eine normale Reaktion, aber bei mir hat sie zu einer Schreibblockade geführt.
In "Drei auf Reisen", dem neuen Buch, geht es wieder um eine Beziehung, nur stellt sich nicht mehr die Frage "Kriegen sie sich?", sondern "Bleiben sie zusammen?". Im Mittelpunkt steht die Ehe von Douglas und Connie, die mit ihrem Teenagersohn Albie eine große Europareise unternehmen, obwohl Connie kurz davor ihrem Mann mitgeteilt hat, dass sie ihn verlassen will.
Ja, aber daneben gibt es noch das Tabu der unerwiderten Liebe. Douglas' Dilemma ist, dass ihn die zwei wichtigsten Menschen in seinem Leben nicht genug zurücklieben. Von daher betrachtet ist mein Buch traurig und ernst, aber es ist auch lustig! Es sollte immer eine gelungene Mischung aus Freude und Kummer, Dunkelheit und Licht existieren.
Douglas ist ein 54-jähriger Biochemiker, der alles kontrollieren will und nicht immer sympathisch wirkt, oder?
Stimmt, denn er sagt nie, was er denkt. Er kann seinen Sohn verletzen und ist unfähig, sich mit der Frustration seiner Frau auseinanderzusetzen. Aber es gibt immer Erklärungen für unser Handeln, sogar unser schlimmstes. Im Grunde ist Douglas ein feiner Kerl.
Ist Ihre Botschaft, dass die Menschen netter zueinander sein sollten, weil wir alle unsere inneren Kämpfe führen?
Vielleicht, obwohl das eine sehr hippiemäßige Umschreibung wäre, aber ja. Ich kenne viele Paare, Männer und Frauen, die beide mein Buch gelesen haben und nach der Lektüre sagten, dass sie jetzt viel netter zueinander wären.
Douglas hat aber nicht nur Kommunikationsprobleme mit seiner Frau, sondern vor allem mit seinem 17-jährigen Sohn.
Seit ich Kinder habe, erschrecke ich darüber, dass mir die gleichen Sätze wie meinem Vater rausrutschen. Aber ich verstehe gleichzeitig, wieso er sie immer gesagt hat. Dieser Beschützerinstinkt manifestiert sich halt in einem simplen "Tu dies und tu das" oder "Wasch bitte deine Hände". Für Kinder klingt das alles nach Kontrolle, aber Eltern werden nun mal von innerer Besorgnis getrieben.
Steckt in Douglas also etwas von Ihnen?
Ich verarbeitete allgemeine Erfahrungen von Eltern. Mir gefällt die Idee von Identifikation und ich freue mich, wenn meine Leser sich oder ihre Eltern darin erkennen. Meine Romane entsprechen verschiedenen Phasen meines Lebens. Bei "Zwei an einem Tag" wurde ich das erste Mal Vater - der Roman war ein nostalgischer Abschied von einem eher verantwortungslosen Lebensabschnitt, der sich nur um Freundschaft und Dating drehte. Danach begann die Phase der Ehe und des Elterndaseins.
Die Europareise führt die Familie von London über Paris, Amsterdam, Italien bis nach Spanien; Sightseeing-Schwerpunkt sind Besuche in Museen, da Connie Künstlerin ist und in einer Galerie arbeitet. Wie sah Ihre Recherche aus?
Dank meiner bisherigen PR-Touren bin ich viel herumgekommen. Als der neue Romanentwurf stand, habe ich viele Orte wieder besucht. Leider hat die Zeit nicht gereicht, um die komplette Reise nachzuahmen, aber es war mir wichtig, dass ich genau wusste, wo welches Gemälde im Louvre oder im Prado hängt.
Douglas plant den Urlaub als klassische Interrailtour für seinen unreifen Sohn, doch fordert die Reise vor allem von ihm ihren Tribut. Wieso muss gerade er so leiden?
Mir gefällt die Tradition, eine Person extreme Erfahrungen durchmachen zu lassen und sie ordentlich durchzuschütteln. Douglas sollte verändert und mit Narben zurückkehren, also genau so, wie er es sich eigentlich für seinen Sohn erhofft hatte. Am Ende geht er als Held hervor.
Möchten Sie Männer ermutigen, mehr Gefühle zu zeigen?
Der Prototyp dieses Buchs hatte nur die Vater-Sohn-Beziehung im Fokus, ohne die Frage der Trennung. Am meisten lag mir die Sehnsucht eines Mannes am Herzen, sich selbst in seinem Sohn zu sehen und aufzuzeigen, wie hart es ist, zurückgewiesen zu werden. Darin werden sich sicher einige Männer wiedererkennen.
Ihre eigene Tochter ist sechs, Ihr Sohn neun. Was machen Sie anders als Ihre Eltern?
Ich schreie weniger. Aber lassen Sie uns über diesen Punkt noch mal in zehn Jahren sprechen (lacht). Im Ernst, ist nicht jede Generation überzeugt, dass sie es besser macht als die Vorgängergeneration? Dabei ist es ist ein Riesenunterschied, sich das Elternsein vorzustellen und es dann in die Tat umzusetzen. Früher war ich sicher, mir als Vater wahnsinnig komische Gute-Nacht-Geschichten auszudenken. Und was tue ich? Hake stattdessen ganz öde nach, ob sie ihre Hausaufgaben erledigt haben.
Das Paar im Roman ist sehr unterschiedlich: Connie ist eine lebensfrohe Künstlerin, Douglas ist ernster Wissenschaftler. Sollte man seinem Partner lieber ähnlich sein?
Im Gegenteil, ich kenne viele Beziehungen, in denen die Menschen sehr unterschiedlich und trotzdem sehr glücklich sind. Beim Schreiben musste ich einfach gucken, wie man Drama aus gewissen Charakteren zaubert. Im wahren Leben würde ich allerhöchstens ein ähnliches Temperament empfehlen.
Eine frühere Prüfung der Ehe von Connie und Douglas war der Verlust ihrer ersten Tochter, die kurz nach der Geburt starb.
Interessanterweise reden die Leute am wenigsten über diesen Aspekt des Buches, aber ich fand es spannend herauszufinden, was Trauer mit einem Paar anstellt. Ich habe mit einer Organisation für postnatale Sterbefälle gesprochen und verstanden, dass es ein Paar entweder auseinanderreißt oder aber zusammenschweißt.
Gerade in den Museen wird deutlich, wie zerklüftet die Familie ist: Albie zeichnet die Bilder nach, Connie lässt sie schweigend auf sich wirken und Douglas versucht sich in laienhaften Analysen.
Ich selbst traute mich nie in Galerien, bis ich 23 oder 24 Jahre alt war. Jetzt liebe ich es und habe etwas Ahnung, aber früher war ich immer unsicher und fragte mich: "Gucke ich lange genug darauf? Muss ich erst die Bildunterschriften lesen?" Mir gefiel die Idee, enthusiastisch aus der Sicht eines Mannes über Kunst zu schreiben, der eigentlich keine Ahnung hat und sich ausgeschlossen fühlt.
Douglas glaubt nicht an Talente und an die Erfüllung von Träumen. Sie selbst sind ausgebildeter Schauspieler, arbeiten als Drehbuchschreiber und sind Bestsellerautor. Klingt nach einer Traumkarriere!
Oh, nicht immer. Zum Schreiben bin ich ja nur übergewechselt, weil ich ein wirklich mieser Schauspieler war. Bis dahin habe ich meine Eltern sehr unglücklich gemacht. Anfangs waren sie stolz, weil ich der erste aus unserer Arbeiterfamilie mit Universitätsabschluss war. Aber dann lebten sie fünfzehn Jahre lang in Sorge, weil ich in beschämenden Wohnungen hauste. Das war alles eher heikel.
Trotzdem sind Sie dieser Welt als Drehbuchautor treu geblieben. Stimmt es, dass sich Russell Crowe um die Filmrechte beworben hat?
Ach, es gibt keine konkreten Gespräche, er ist einfach ein begeisterter Leser. Außerdem bin ich momentan noch sehr unschlüssig, ob eine Verfilmung diesmal überhaupt eine gute Idee wäre.
Schade, immerhin haben Sie für die Verfilmung von "Zwei an einem Tag" selbst das Drehbuch adaptiert.
Das war der härteste Schreibjob, den ich je hatte! Wenn ich gewollt hätte, dass mein neues Buch ein Film werden würde, hätte ich niemals mit Flashbacks oder der Ich-Perspektive gearbeitet, weil man das auf der Leinwand schwer lösen kann. Und ich hätte weniger teure Schauplätze gewählt. Fünfundzwanzig Jahre Ehe und eine dreiwöchige Reise kann man nicht so einfach in einen 120-minütigen Film quetschen. Es bricht mir das Herz, wenn ich nur daran denke!
Na gut, Sie haben ja auch fürs Erste genug Grund zur Freude: Ihr Roman wurde für die Longlist des Man Booker Prize nominiert und bekam bisher sehr gute Kritiken.
Meine Nominierung war umwerfend und eine riesige Ehre. Aber ich lese nie Kritiken oder Amazon-Rezensionen. Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist alles ehrenhaft und wichtig, aber ich bin einfach zu dünnhäutig dafür. Es braucht nur einen winzigen Seitenhieb, und schon bin ich ein Wrack. Es ist so, als würde jemand mein Gesicht kritisieren, aber ich kann es ja nicht ändern. Ich wünschte, ich wäre gelassener, was das alles betrifft.