RENDEZVOUS (710)
VON CLARA OTT
In meinem Leben gab es zig Abende, an denen mir Männer schwere Kristallgläser mit billigem Gin Tonic oder Wodka reichten, ihre Zigaretten teilten und das Taxi bezahlten. Es gab viele Dates, bei denen ich zum Essen eingeladen wurde, zu Falafel oder Antipasti, in Läden, die immer viel zu hell waren und auf die dunkle Bars folgten. Manche Männer kochten daheim; geteilt wurden Sofa, Flaschen mit günstigem Fusel und Bettdecken. Nach dieser Zeit schmeckte Dating sehr fad. Bis vor einigen Tagen. Im schwarzen Kleid betrat ich einen edlen Franzosen mit schmeichelndem Licht, ein Kellner nahm mir den Mantel ab. Im Hintergrund liefen Chansons, der Mann küsste mir die Wangen und schlug vor, Austern zu teilen. Als die Etagere vor uns stand, sechs Muscheln im Kerzenschein, prägte ich mir diesen Moment fest ein. Meine ersten Austern. Mein erstes Rendezvous, das diese Bezeichnung wirklich verdiente. Und seit langem ein Mann, der mich mit Essen und Trinken nicht gefügig, sondern glücklich machen wollte.
HAPPY END (675)
VON CLARA OTT
Wenn du in 5 Minuten sterben würdest, wen würdest du jetzt anrufen? Wie oft warst du in deinem Leben zu feige für „Ich liebe dich“? Was war deine schlimmste Lebenskrise? Angenommen, du könntest eine einzige Situation ungeschehen machen, welche wäre es? Wirst du mit 80 Jahren denken, dass du Anfang 30 zu viel Zeit „im Internet verbracht“ hast? Hast du den wahren Sinn deines Lebens schon gefunden? Ist die Hälfte deines Lebens rum oder eher mehr? Wie viele Menschen aus deinem Umfeld sind bereits tot? Hast du dir Gedanken über dein Testament gemacht? Mal im Ernst, wer soll etwas mit deinen ganzen Habseligkeiten anfangen, wenn du nicht mehr da bist? Hast du größere Angst vor den Schmerzen oder davor, nicht mehr zu existieren? Wie viel Zeit brauchst du ab heute noch, um endlich das Leben zu leben, was du dir erhofft hast? Wer hat die Passwörter zu deinen Online-Zugängen? Welche Erinnerung an dich soll bleiben? Wem wird es das Herz brechen, wenn du stirbst? Wer wird dich vermissen? Wer nicht?
DER BAUM MEINER KINDHEIT (647)
VON CLARA OTT
Ostwestfalen, auf dem Land. Hier steht das Haus meiner Kindheit, ein hübsches Bauernfachwerkhaus mit riesigem Giebel. Vor unserem Haus war eine Terrasse mit vielen Blumenkübeln, dazu ein Garten mit Beeten, Sandkasten und einem schattigen Walnussbaum. Früher standen Pferde in den alten Stallungen, später unsere Räder. Der Garten führte ums ganze Haus, vorbei am Neubau der Bauern, unseren Vermietern. Hinter dem Haus war eine Wiese mit einer gigantischen Linde, deren klebrige Blätter auf unserem Trampolin für Fettflecken sorgten. Es gab Ameisenstraßen in der Küche, Feldmäuse in den hohlen Wänden, Spinnen im feuchten Keller. Ich fühlte mich immer wohl, liebte Mähdrescher, spielte am Bach, rannte durch Sonnenblumenfelder und harkte Laub. Meine Eltern zogen vor 12 Jahren weg, letzte Woche fuhr ich seit langem wieder hin. Der Garten verwildert, die Linde gefällt, in den kaputten Fenstern hingen Handtücher, die Diele voll Gerümpel. Würden Bäume reden, ich hätte den alten Walnussbaum getröstet.
SCHWEIGEN (640)
VON CLARA OTT
Vielleicht ist das allerbeste Indiz dafür, ob sich zwei Menschen mögen, dass sie zusammen schweigen können. Dass beide die Stille aushalten und nicht krampfhaft mit Anekdoten und Witzen die Kluft stopfen wollen, die zwischen Menschen entstehen kann. Dass beide nicht dasitzen und angespannt Themen aufwerfen oder die Gefühlswelt des anderen mit „Woran denkst du gerade?“ erforschen. Dass beide einfach mal schweigend nebeneinander auf einer Treppe sitzen und es aushalten, ohne, dass es Energie raubt. Weil Nichtssagen oft eine Wohltat fernab von Komplimenten oder Klugscheißen sein kann. Beide sitzen, Blickrichtung gemeinsam auf die Dolomiten oder Walzertänzer an der Spree gerichtet, einfach nur da, im Moment. Oder hören zusammen Musik, ohne rumlabern. Schweigen ist ein Genuss, den man sich viel zu selten zusammen gönnt, weil ständig Druck herrscht, quatschen zu müssen. Wenn aber einer einfach mal gerne neben dir sitzt und deine Anwesenheit genießt, dann halt doch einfach mal die Klappe, ja?
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