Flughafen Jönköping. Neben Pippi Langstrumpf steht Kay Hertwig, Reiseleiter bei Wikinger. Kay lächelt, schüttelt jedem der 13 Scouts die Hand – und stellt gleich mal klar, dass es hier wirklich ums Erkunden geht: »Für mich ist das auch die erste Scout-Reise. Letzte Woche bin ich schon durch Småland gehechelt, um Vorschläge zu sammeln. Aber ausprobieren werden wir die verschiedenen Bausteine zusammen.«
Das spätere Programm soll besonders Schweden-Neulingen eine attraktive Mischung aus entspanntem Naturerlebnis, Outdoortouren und dem Kennenlernen von Land und Leuten bieten. Fangen wir also an mit Pippi Langstrumpf: Astrid Lindgrens berühmte Göre wird von einem netten Mädchen verkörpert, das uns mit »Hej hej« (Hallo!) schon etwas Schwedisch beibringt und dazu Polkagrisar reicht – rot-weiß gestreifte Zuckerstangen. Kurz darauf folgen Erdbeertorte und die erste von zahllosen Tassen Kaffee. »Fika« – unser zweites Wort Schwedisch – ist die heilige Kaffeepause, die möglichst oft und überall zelebriert wird. Nicht ohne Grund ist Schweden ganz vorne dabei beim weltweiten Kaffeekonsum.
Vereinzelte Regenschauer begleiten die Fahrt nach Markaryd, unserem Basislager. Am Straßenrand leuchten die berühmten gelbroten Elchschilder. »Die sind nicht nur zur Dekoration da«, erklärt Kay, »rund 300 000 Elche gibt es in Schweden – und leider auch viele Unfälle.« Die Straße ist von Zäunen gesäumt. Niemand möchte plötzlich einen 800-Kilo-Elch vor seinem Auto stehen haben.
Eine Fika nach der anderen
Wir landen in der Villa Ekebacken, einem kleinen Hotel im sachlich-idyllischen Stil eines Ikea-Katalogs: Makellos weißer Speiseraum, Blümchengardinen, draußen dreht ein Rasenmäh-Roboter seine Runden auf grünem Grund. Während wir uns organisieren und orientieren, gibt es eine Fika nach der anderen. Kay präsentiert die Optionen: Fahrradfahren? Paddeln? Wandern? Oder doch erst mal essen? Wir lassen uns Elch mit Preiselbeeren schmecken. Der schwedische Abend hält noch bis elf Uhr am Tageslicht fest, dann verschwindet auch der letzte Lichtstreifen über dem nahen See.
In Småland ist man viel draußen. Am besten ständig, egal ob mit Sonnenbrille oder Regenponcho. Dafür sind wir hier. Wir spazieren um den See Lokasjön und stolpern über alte Ruinen. »Reste von Grundmauern«, meint Kay, »die haben es wohl nicht geschafft …« – Nicht geschafft? – »Im 18. Jahrhundert konnte jeder versuchen, irgendwo ein Haus zu bauen. Erwischte einen der Landbesitzer, bevor die Grundmauer stand, musste man gehen. Ansonsten durfte man bleiben.« Das führte angeblich dazu, dass die Schweden wahre Schnellbaumeister wurden. Heute gilt das Jedermannsrecht eher für Wanderer und Paddler: Überall kann man sich frei bewegen und auch mal zelten – vorausgesetzt, man benimmt sich gesittet.
Am nächsten Tag geht es auf Radtour. Auf klapprigen Stadträdern rollen wir über verlassene Wege. Sogar die Bundesstraße führt einsam durch die Wälder wie ein gewundener Trampelpfad. Wo sind die Autos? Wo die Schweden? Im fünfwöchigen Sommerurlaub, alle ausgeflogen, weiß Kay. Nur die roten Häuser stehen dekorativ im Grün herum und warten auf die Rückkehr ihrer Besitzer.Bei einem Spaziergang durch den Wald sehen wir Trolle. Fast jedenfalls. »Sie verwandeln sich in Stein, sobald man sie anguckt«, erklärt Karin Jespersen von Skockhultgårdens Tebod, einer Teestube oben im Wald und Zwischenstopp unserer Fahrradtour. Natürlich wird wieder Fika gemacht und geschlemmt, die Brötchen mit all ihren Schichten könnten den Hochstapelwettbewerb gewinnen. Damit es nicht zu gemütlich wird, setzt wieder Regen ein. Mit vollen Bäuchen und unter flatternden Ponchos klappern wir wie schwarze Gespenster bergab zur Villa Ekebacken.
Schweden tut uns gut
Das Scout-Programm ist deutlich straffer als die später buchbare Reise, schließlich sollen wir ja möglichst viel testen und ausprobieren. Auch die Globetrottergoldkarten-Kunden, die sich erfolgreich für die Reise beworben hatten, sind in ihrem Element: Tine freut sich auf das Paddeln auf dem Lagan, Björn möchte endlich einen Elch vor seine Linse kriegen – und Katharina versucht, beim Draisinefahren nicht von den Gleisen abzukommen. Schweden tut uns allen gut.
Auf die kleinen und großen Abenteuer des Tages folgt jeden Abend eine Besprechung. Was war gut, was nicht? Wäre statt der langen Radtour eine Halbtagestour besser gewesen? Rundtour oder abholen lassen? Felix, der die freien Nachmittage am liebsten zum Radeln nutzt, wünscht sich vor allem bessere Fahrräder.
Wir setzen noch das Store Mosse auf die Besichtigungsliste, mit 7740
Hektar das größte Hochmoor südlich von Lappland. Hier ist der Himmel
weiter, die Wolkendecke höher, die Landschaft flach und in allen
Brauntönen gesprenkelt. »Ein bisschen wie Afrika«, sagen die einen;
»Erinnert an Australien«, sagen die anderen. Auf Holzstegen wandern wir
über schwarz-goldenen Pfützen, an Sonnen
tau vorbei, unter Spinnennetzen hindurch. Sogar Kay, sonst permanent im
Organisationsmodus, entspannt sich. »Ich liebe diese Weite«, schwärmt
er. Vögel zwitschern, ohne dass wir sie sehen, die Luft steht still, die
Sonne weit oben. So zieht das Land in meinen Kopf ein, prägt sich ein.
Was für eine Entdeckung – sonst kannte ich Schweden nur als Land der
Wälder und Seen.
Sieben Blumen von sieben Wiesen
Den Abschluss unserer Woche bildet das Mittsommerfest. Wir basteln Blumenkränze, schmücken den Midsommar-Baum, schlürfen ein gefährliches Wodka-Kaffee-Gemisch von Untertassen und hissen die schwedische Flagge. Und das am Morgen! Zum Mittagessen gibt es landestypisch Kartoffeln und Matjes – und wieder einen Schnaps. Unsere Tischnachbarn beginnen zu singen, ein Schnaps, ein Lied, ein Schnaps. Es klingt toll. »Die Schweden singen wegen der Sprachmelodie schöner als wir«, sagt Kay.
Am Abend zieht sich noch einmal der Nebel über den See, erst um Mitternacht wird es dunkel. Ich teste noch eine letzte schwedische Tradition: Demnach pflücken ledige Mädchen sieben Blumen von sieben verschiedenen Wiesen. Schweigend müssen sie danach ins Bett gehen und die Blumen unters Kopfkissen legen, um in dieser Nacht vom Zukünftigen zu träumen. Ich laufe durch die dunklen Straßen. Nicht die möglichen Elche machen mir Angst, auch nicht der Wassermann Näcken, der die Mädchen angeblich in den See lockt. Es sind die Rasenmäh-Roboter. Ohne Leine oder Kabel grasen sie im Mondschein und wirken dabei wie die aufmerksamen Wächter. Bissig sind sie auch, kein Grashalm darf vergessen werden. Ob da wohl auch ein Troll dahintersteckt, der seine Sporteinheiten nachts absolviert? Die Blumen lege ich unter mein Kopfkissen und verfalle schweigend meinen Träumen. Hoffentlich trollfrei.
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