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"Da ist überhaupt nichts sexy dran"

Julia Effertz ist Intimitätskoordinatorin am Filmset. Die Wahlberlinerin choreografiert Liebesszenen - und sorgt dafür, dass die selbst gesetzten Grenzen der Schauspieler:innen eingehalten werden. Hinter Sex-Szenen stecke harte Arbeit, sagt sie.


rbb|24: Frau Effertz, warum braucht es Initmitätskoordinator:innen am Filmset? 

Julia Effertz: Wenn Kampfszenen, Stunts oder Tanzszenen inszeniert werden, sichern Expert:innen die Szenen ab und sorgen dafür, dass die Qualität am Ende stimmt. Nur für intime Szenen gab es solche Expert:innen lange nicht. Dabei ist Intimität nichts, was improvisiert werden kann. Intimität muss von den Schauspielenden erarbeitet werden - und da kommen wir als Koordinator:innen ins Spiel. Wir übersetzen eine künstlerische Vision in Körperlichkeit. Dabei läuft die körperliche Arbeit sehr technisch und "entsexualisiert" ab, so dass die Schauspielenden in ihrer Rolle nichts von ihrer privaten Sexualität preisgeben müssen.

Moment mal: Sie sorgen also dafür, dass Sexszenen entsexualisiert werden?

Genau! Bei einer Kampfszene kloppen die Schauspielenden auch nicht wirklich aufeinander ein. Ihnen wird nicht vorher gesagt, dass sie sich in Rage bringen sollen, damit die Aggressivität möglichst authentisch wirkt. Die Brutalität ist bloß gespielt, jede Bewegung minutiös geprobt. Genau so läuft es auch beim Entsexualisieren der Sexszenen ab. Jeden Schritt, jede Berührung erarbeiten wir langsam und unter fortlaufender Absicherung des Konsens der Spielenden. Beim Proben tragen sie dabei meist bequeme Sportklamotten, es ist im Grunde wie Tanztraining. Da ist überhaupt nichts sexy dran.

Der Sex, den wir auf der Leinwand zu sehen bekommen, hat also nichts mit echtem Sex zu tun?

Film ist immer Illusion. Die Schauspieler:innen erschaffen bloß eine Illusion von Leidenschaft, Intimität und Sexualität. Das wirkt auf der Leinwand total glaubwürdig, kann beim Drehen aber absolut leidenschaftslos sein. Die Schauspieler:innen müssen nichts von ihrer privaten Emotionalität und Sexualität preisgeben. Sie müssen ihre Szenenpartner:innen nicht einmal mögen und können trotzdem die heißeste, leidenschaftlichste Szene erschaffen. Darin besteht das Handwerk der Schauspielenden.

Luca Gua­dagni­no, der Regisseur von "Call Me By Your Name", sieht das wohl anders. Er sagte in einem Interview, dass er keine Intimitätskoordinator:innen am Set haben möchte. Es scheint, als hätten einige Regisseur:innen Angst davor, dass durch zu viel Koordination die Authentizität verloren gehen könnte.

In Bernado Bertollucis "Der letzte Tango in Paris" wurde die Schauspielerin erniedrigt und gedemütigt, damit ihre Tränen echt sind. Das hat in meinen Augen nichts mehr mit Schauspielerei zu tun. Denn der Dialog im Film ist auch nicht echt, das sind auswendig gelernte Zeilen. Und trotzdem müssen die Schauspielenden sie so vortragen, dass sie glaubwürdig wirken.

Wer wie Bertolucci vermeintlich "echte" Szenen dreht, nimmt in Kauf, dass die Spielenden von ihrer Rolle aufgefressen werden. Schauspieler:innen müssen nicht leiden, um eine gute Performance abzuliefern. Ein Bertolucci, der seine Schauspielerin am Set missbrauchen ließ, ist jemand, der Schauspielerei nicht versteht.

Wie gehen Sie als Intimitätskoordinatorin damit um, wenn am Set sexualisierte Gewalt dargestellt werden soll?

Die Darstellung sexualisierter Gewalt muss exakt bis aufs I-Tüpfelchen choreografiert und abgesichert werden. Zudem frage ich die Schauspielenden immer, ob sie mir vorab etwas mitteilen möchten; ob es etwas gibt, das ich wissen sollte. Denn solche Szenen können im schlimmsten Fall retraumatisierend wirken. Doch auch die Eigenverantwortung der Schauspielenden ist gefragt. Wer privat Erfahrungen mit sexualisierte Gewalt gemacht hat, sollte sich immer fragen, ob die Rolle wirklich die richtige ist...

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