„Es ist eine höllische Belastung": Tausende Real-Mitarbeiter bangen um Jobs - Experte sagt, wo es besonders eng wird
Ein russischer Investor will die Supermarkt-Kette Real von der Metro-Gruppe übernehmen. Es droht ein Szenario wie damals bei Kaiser Tengelmann: dass Tausende Mitarbeiter entlassen und etliche Filialen geschlossen werden. Könnte am Ende der Kunde profitieren?
Ein angeschlagener Konzern, ein russischer Investor und viele deutsche Supermärkte: die Hängepartie um die Übernahme der Handelskette Real hält Tausende Mitarbeiter in Atem. „Welcher Markt wird weiterbetrieben? Unter welchem Namen?" Diese Fragen stellen sich Kassierer, Lagermitarbeiter und Thekenverkäufer täglich - und das bereits seit über zehn Wochen. „Die Lage ist mies. Natürlich kämpft man, aber man weiß nicht wofür man eigentlich noch kämpft", sagte Andreas Stegemann, Betriebsratsversitzender der Real-Zentrale in Düsseldorf, zu FOCUS Online.
Nachdem ein russischer Investor Mitte Februar die Übernahme der 276 Real-Märkte ankündigte, ist der Druck bei den über 34.000 Mitarbeitern hoch. Das trifft die Real-Mitarbeiter in einer ohnehin schon schweren Zeit. Überstunden, eine höhere Nachfrage in den Märkten und die Maskenpflicht zum Schutz vor der Ausbreitung der Corona-Pandemie belasten die Angestellten der Supermarkt-Kette, so beschreibt der langjährige Real-Mitarbeiter Andreas Stegemann die Stimmung.
Auslöser der Zitterpartie: Unattraktive Real-Märkte und Schnäppchen-ImmobilienDie Achterbahnfahrt um den Real-Verkauf nahm zu Beginn des Jahres Fahrt auf. Die Metro-Gruppe hatte Mitte Februar den Verkauf an den russischen Investor SCP und x+bricks vereinbart. Zu dem Deal zählen das stationäre Geschäft von 276 Real-Filialen, der Onlineshop und zirka 80 bundesweit verteilte Immobilien.
Auf einen Preis von zirka 300 Millionen Euro soll sich der Kaufpreis für das ganze Paket belaufen. Zum Schnäppchenpreis erhält SCP Immobilien im Wert von zirka einer Milliarde Euro, das steht im Raum. Es wäre ein Verlust-Geschäft für die Metro-Gruppe - abzüglich von Restrukturierungen bleibt nur ein Drittel der Summe übrig.
Zu lange hat die Metro-Gruppe versucht, die wenig profitablen Real-Märkte zu verkaufen - darunter hat der Wert der Real-Märkte gelitten. Es kam zu einem Investitionsstau, sagt Handels-Insider Peter Kenning. Er weiß: „Ein Großteil der Märkte wurde unattraktiv, weil infolge der seit Jahren stockenden Verkaufsplänen der Metro-Gruppe wenig investiert wurde."
Edeka und Kaufland schlagen zu: Zu welchen Konditionen werden Mitarbeiter übernommen?Die Übernahme hat sich zu einem Verkaufspoker entwickelt (siehe Chronologie), es geht jederzeit Schlag auf Schlag. Schon jetzt, vor der endgültigen notariellen Beglaubigung, hat die SCP Group Verträge zum Verkauf für etwas mehr als die Hälfte der Real-Märkte abgeschlossen. Konkret sollen 88 Märkte an den Großhändler Kaufland gehen, der Edeka-Konzern will 53 Real-Märkte übernehmen, erklärte der russische Investor SCP Ende März - ohne finanzielle Details zu nennen. Kaufland und Edeka wollten sich auf Anfrage von FOCUS Online dazu nicht äußern - weder zum Kauf weiterer möglicher Filialen noch zur Zukunft der Mitarbeiter.
Stellung dazu nimmt der Investor: Die Mitarbeiter der insgesamt 141 Märkte sollen übernommen werden, teilte die SCP Group am 31. März mit. Der Investor verspricht seit Mitte Februar möglichst schnelle Klarheit für die Mitarbeiter der wenig profitablen Supermarktkette, betont grundlegend immer wieder, dass möglichst viele Arbeitsplätze erhalten werden sollen.
Die Übernahme zieht sich in die Länge. Das „Closing" und die damit verbundene kartelljuristische Klärung der formalen Details des Deals soll bis Juni über die Runden gehen, sagte der Metro-Chef Olaf Koch. Vorher war Mai oder Juni angekündigt. Doch das sogenannte Closing, also die notarielle Beglaubigung der Übernahme der 276 Filialen des Investors von der Metro-Gruppe verzögert sich auf Grund einer Terminverschiebung nun sicher auf Juni. Eine der Bedingungen für das Closing ist, dass mindestens 90 Prozent der verkauften Immobilien den Eigentümer wechselt. Das berichtet die Immobilien Zeitung unter Berufung auf Insiderkreise.
Es wird eng für einige Märkte und somit auch für Tausende Mitarbeiter, befürchtet Andreas Stegemann. „Die Vergangenheit hat gezeigt: Nicht immer wird getan, was versprochen wird", so der 58-jährige Real-Betriebsrat.
Real-Mitarbeiter: „Es ist eine höllische Belastung"Es gab beispielsweise Fälle, in denen mehrere Filialen durch die Konkurrenz übernommen wurden, so Stegemann. Im Zuge des Umbaus wurde beispielsweise ein Markt über einen Zeitraum von einem Jahr geschlossen, Namen will und darf der 58-jährige nicht nennen. Danach wurden neue Verträge zu deutlich schlechten Konditionen angeboten, das Spielchen kennen die Real-Mitarbeiter bereits. „Jedes Unternehmen kann uns übernehmen und machen was es will, Lohnkosten und Arbeitsbedingungen werden miserabler, das geht auf die Kosten und die Nerven der Arbeitnehmer", sagte der Real-Mitarbeiter zu FOCUS Online.
Für die Real-Mitarbeiter bundesweit bleibt die Lage durch die Übernahme zur Zeit der Corona-Pandemie zusätzlich angespannt. „Es ist eine höllische Belastung, dass die Kollegen acht bis neun Stunden eine Maske tragen müssen." Es gebe auch Kollegen mit Vorerkrankung, die das gar nicht dürfen.
„Ich habe auch eine Herzvorerkrankung und kann die Maske einfach nicht tragen", sagt Stegemann. Er bekomme schlecht Luft, es gibt mehr Stress. Dazu kommt die Unklarheit durch den geplanten Wechsel der Betreiber. „Gerade die älteren Mitarbeiter sorgen sich um ihre Zukunft, mit über 50 auf dem Arbeitsmarkt ist es schwer", sagt Stegemann. „Zudem müssen Häuser bezahlt und Familien versorgt werden."
Gewerkschaft: Über 10.000 Arbeitsplätze bedroht - großer Anteil von FrauenDer Real-Krimi geht weiter. Im Raum stehen weitere Veräußerungen an Einzelhandelsunternehmen, die Aufteilung der Real-Märkte in kleinere Flächen - oder eben die vollständige Schließung. Zirka 30 Märkte sollen geschlossen werden, betont die SCP Retail Investment.
Die Gewerkschaft Verdi schätzt, dass über 10.000 Arbeitsplätze im Zuge der Übernahme mit dem Ziel der Gewinnmaximierung gefährdet sind. „Eine Zerschlagung des Unternehmens, der Weiterverkauf der Märkte mit anschließender Übernahme wird für Zigtausende zu einer Veränderung der Arbeitsbedingungen führen bis hin zu weniger Einkommen", sagte Verdi-Spezialistin Stefanie Nutzenberger FOCUS Online. An dem Verkauf zeige sich, woran es fehlt: an einen allgemeingültigen Tarifvertrag in einer systemrelevanten Branche. In den letzten Wochen wurde viel von Anerkennung gesprochen, betont Verdi-Expertin Nutzenberger. Diese müsse nun von Seiten der Bundespolitik mit schnellem Handeln bewiesen werden, um das Zitterpartie zu beenden.
„Generell wird es Personalabbau geben, da wo Märkte geschlossen werden, wird es am härtesten", meint Handels-Insider Peter Kenning. Aber die Mitarbeiter haben Möglichkeiten, zu anderen Märkten zu wechseln. Bei Kaufland könnte es dazu kommen, dass Druck auf die Mitarbeiter geben wird. Kaufland setzt auf geringe Personalkosten - deswegen können sie günstig verkaufen. Das Personal könnte unter Kostendruck stehen. Die Edeka zahlt mehr an Mitarbeiter und auf Qualität in Bezug auf Mitarbeiter, Service, Thekenbedienung - aber die Preise sind auch entsprechend höher.
Real-Mitarbeiter wenden sich an BundesregierungDie Anspannung bei den Mitarbeitern bleibt, auch wenn die Belastung durch die Corona-Krise ohnehin schon am Kochen ist. „Wir haben uns vor knapp einem Jahr mit der Regierung in Verbindung gesetzt und mit dem Arbeitsminister Hubertus Heil", sagt Andreas Stegemann gegenüber FOCUS Online. Seit Monaten werde jedoch geschwiegen. Liegt es an der Corona-Pandemie? „Selbst wenn - auch in dieser Zeit müssen Familien ernährt werden und es muss eine Zukunft geben", sagt Stegemann - er wird emotional am Telefon.
„Es wird sich zeigen, ob auch eine frauengeprägte Branche wie der Einzelhandel diese dauerhaft findet", so Verdi-Expertin Nutzenberger. Wenn es um die Automobilbranche gehen würde, dann hätte es sicher weniger Zurückhaltung gegeben und das Bundeswirtschaftsministerium hätte längst gehandelt. „Genau darin besteht dringender Bedarf."
Verhandlungspoker: Selbst Sportartikelhersteller meldet Interesse anÜbrig vom Real-Portfolio bleiben zirka 120 Häuser. Davon will die SCP Gruppe nach eigenen Informationen nur 50 weiterbetreiben. Die Liste der potentiellen Kandidaten ist lang, Globus, Rewe und der Sportartikelhersteller Decathlon ist nach Informationen der Lebensmittelzeitung an den Flächen interessiert. „Wir beobachten die Entwicklungen um den Verkauf der Real-Märkte sehr genau und haben frühzeitig für einige Standorte ein Angebot abgegeben", sagt Thomas Bruch, geschäftsführender Gesellschafter der Globus-Gruppe FOCUS Online. Der Unternehmenschef will den Markt weiter beleben und im Falle einer Übernahme Sicherheit für die Real-Mitarbeiter schaffen.
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Wie der Poker um die Real-Märkte läuft, das berichten Insider aus dem Immobilienbusiness. „Keine Kompromisse", soll Rewe nach Angaben der Lebensmittelzeitung fordern und auf die favorisierte Flächengröße von 4000 Metern pochen. Die Real-Märkte sind teilweise weit größer. Interessenten aus anderen Branchen sollen hart verhandeln - um Baukostenzuschüsse, Modernisierungen und um Mietsenkungen. Das könnte den Prozess weiter in die Länge ziehen und weiter für eine unklare Situation bei den Mitarbeitern sorgen.
Zu viel Wettbewerb: Weitere Marken werden sterben - profitiert der Kunde?Die Existenz-Angst ist begründet, schätzt auch Top-Ökonom Martin Fassnacht von der WHU-Privathochschule. „Es werden weitere Standorte geschlossen werden, Übergangsregelungen vereinbart, Umbauten vorgenommen - es sind Tausende Arbeitsplätze bedroht", sagt der Handelsexperte. Vor allen in Großstädten mit viel Wettbewerb wird es nach seiner Einschätzung eng für die Märkte, weniger kritisch ist die Lage in ländlichen Regionen. Dort gibt es weniger Wettbewerb und folglich lohne sich das Geschäft für die Käufer, die zugleich ihr Portfolio erweitern.
„Es gibt in Deutschland eine unglaublich hohe Wettbewerbsintensität im europäischen Vergleich, es wird in Zukunft weniger Märkte geben. Trotzdem wird es in Zukunft weiter den stationären Handel geben, mit einer Verbreiterung des Marktanteils des Onlinehandels würden sich die spezialisierten Märkte schließlich selbst schaden, indem sie Online-Händlern wie Amazon den Weg bereiten würden, sind sich die Handelsexperten einig. „Der vermeintliche Alleskönner hat ausgedient", sagt Handelsexperte und Wirtschaftsprofessor Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. „An seinen Standort werden sich Spezialisten ansiedeln, die Marke Real wird aussterben."
„Die Kunden bekommen modernere und leistungsfähigere Märkte mit besserem Service und Qualität der Ware", sagt Handels-Insider Peter Kenning. Es kann sein, dass der Kunde in Zukunft mehr Geld ausgeben muss und online Waren kaufen muss. Auch wenn damit nach Extra, Minimal und Plus eine weitere Marke, die der Verbraucher seit seiner Kindheit kennt, verschwinden wird.
Stegemann und seine 34.000 Kollegen wollen vor allem eines: Klarheit. Die ganze Branche zittert, viele treten aus dem Tarif aus und haben Angst vor der Zukunft. Wir müssen warten, bis die notarielle Beglaubigung durch ist - Anfang Juni. Dann wird sich zeigen, wie das deutsche Kartellamt reagiert, welche Märkte wohin gehen. Erst dann entscheidet sich, was passiert.
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