Urlaubsfreude am Schwarzen Meer: im Hintergrund das Stadion Fischt von Sotschi
Sotschi (MOZ) Dass die Sportanlagen der Winterspiele von 2014 in Sotschi effektiv weitergenutzt werden, wie Wladimir Putin immer wieder erklärt, ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Olympiapark erwacht nur aus seinem Schlaf, wenn die Formel-1-Boliden durchzischen. Selbst kurz vor dem WM-Spiel der deutschen Elf gegen Schweden herrscht an der Küste eine verschlafene Atmosphäre.
Der Weg vom Küstenort Adler ins Wintersport-Paradies rund um Krasnaja Poljana führt entlang an Palmen, Meer und Urlaubsvillen. Was früher eine enge, kurvige Landstraße war, ist heute eine moderne Autobahn. Es sind knapp 30 Grad in dem 4000-Seelen-Dorf, doch auf der Terrasse von Jelena Nowola ist es angenehm kühl. Es riecht nach Grillfleisch. Eine halbe Stunde entfernt am Strand aalen sich russische Touristen in der prallen Sonne - doch die 60-jährige Chefin des Restaurants „Atschischcho" bevorzugt die Berge. Kaum vorstellbar, dass hier vor vier Jahren die Olympischen Winterspiele stattfanden.
„An meinem Geschäft hat sich nicht viel verändert", sagt Nowola, die ihr ganzes Leben in dem Bergdorf verbrachte. Zu Sowjetzeiten habe es mehr Urlauber gegeben. „Doch nach Olympia ist bei uns die Zivilisation angekommen," erzählt die Gastronomin. Das abgeschnittene Bergdorf wurde ans Gasnetz und an die Kanalisation angeschlossen. Neben der Autobahn führt ein Schnellzug in die Berge - so was gibt es sonst nur in Moskau. Auch andere Randbezirke profitieren von der Modernisierung.
Sotschi hatte mit 40 Milliarden Euro Baukosten einen olympischen Rekord aufgestellt, bevor die Winterspiele 2014 im russischen Sommerkurort begannen. Es ist bis heute das teuerste Olympia aller Zeiten. Zum Vergleich: die Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang haben „nur" acht Milliarden Euro gekostet. Sotschi ist in den deutschen Medien seitdem ein Symbol für Verschwendung und Größenwahn. Zu Recht?
In Rosa Chutor, wenige Kilometer weiter, befand sich das Olympiadorf. Hier ist mit mehr als 100 Pistenkilometern Russlands größtes Skiresort. Davon sind jedoch nur 13 vom Weltverband für internationale Wettbewerbe zugelassen. Touristenorte wie Rosa Chutor und Gorki Gorod werden jetzt von Urlaubern erobert. „Es kommen Touristen aus aller Welt - Chinesen, Kasachen, Weißrussen", verrät Taxi-Fahrer Witalij Lewaschow. Mehr als 6,5 Millionen soll es jährlich in das Skigebiet ziehen.
Auch in Sotschi, wo früher im Winter regelmäßig Strom und Heizung ausfielen, wurde vieles modernisiert. Vor Olympia war es eine gewöhnliche russische Provinzstadt, ein Mix aus Sowjet-Tristesse und 1990er-Kommerz. Mit Olympia wurde nachgeholt, was jahrzehntelang verschlafen wurde. Die Russen, die hier Urlaub machen, fühlen sich „wie im Ausland", wie in Europa. Die Stadt hat sich gewandelt, in ein Sotschifornia, wo sich Hipster-Strandcafes, Zahnartzpraxen und Shisha-Bars aneinander reihen. Die Einwohnerzahl stieg in vier Jahren von 400 000 auf eine halbe Million. Und die Stadt wächst weiter.
Im Olympiapark an der Küste herrscht kurz vor dem Spiel der deutschen Elf gegen Schweden aber eine verschlafene Atmosphäre. Ein paar Männer wässern den Rasen, andere sammeln nicht vorhandenen Müll, um sich anschließend schnell in den Schatten zu verziehen. In der prallen Nachmittagssonne warten hungrige Elektro-Rikschafahrer auf Kundschaft - ein paar schwedische Fans beißen an. „Zur Mittagszeit sind die Touristen am Strand", sagt Jewgenia Nikitina auf ihrer Elektro-Rikscha. Vor ihr reiht sich ein Mega-Stadion an das nächste.
Das Dach des Fischt-Stadions, erbaut für 680 Millionen Euro, musste vor der WM für 40 Millionen umgestaltet werden - das verlangte die FIFA. Das 48 000 Zuschauer fassende Stadion wurde bisher vom Drittligisten FK Sotschi genutzt, zu den Begegnungen kamen höchstens 1000 Zuschauer. Nach der WM zieht Zweitligist Dynamo St. Petersburg ein - der Mietvertrag im alten Petrowskij-Stadion endet im Herbst. Das Bolschoi-Eisstadion, in dem vor kurzem Wladimir Putin mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Eishockey-Star Pawel Bure spielte, wird weiter genutzt. Dafür wurde 2014 eigens ein Eishockey-Club gegründet. Die Adler-Arena steht nicht mehr den Eisschnellläufern zur Verfügung, beherbergt heute eine Tennis-Akademie. Weit hinter olympischen Ansprüchen zurück bleiben vor allem der Eisbergpalast und der Curlingwürfel, wo nur ab und zu kleine Wettbewerbe und Trainings stattfinden.
Dass die Sportanlagen in Sotschi effektiv weitergenutzt werden, wie Wladimir Putin immer wieder in Interviews erklärt, ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Olympiapark erwacht nur einmal jährlich so richtig aus seinem Winterschlaf, wenn die Formel-1-Boliden durchzischen. Zur WM gibt es - wie beim Confed Cup vor einem Jahr - ein wenig internationales Flair, die Kosten übersteigen jedoch den Nutzen. Während der Großteil der Privatinvestoren die weiße Flagge gehisst hat, bleiben die Kosten am Staat hängen. Eine Studie des Instituts für Humangeografie an der Universität Zürich schätzt die jährlichen Unterhaltungskosten auf 350 Millionen Euro, die Region Krasnodar ächzt unter der finanziellen Last der Küstenstadt.