Eingespieltes Duo: Mathias Förster (l.) und Kamil Janus fahren ein Mal in der Woche den Berliner Kältebus.
Berlin (MOZ) Ihre ehrenamtliche Arbeit steht in starkem Gegensatz zu ihrem Alltag: Ein Mal die Woche fahren Mathias Förster und Kamil Janus raus, um das zu verhindern, was vor ein paar Tagen doch wieder geschah: Ein obdachloser Mann starb am Hackeschen Markt in der Kälte. Eine Nacht im Kältebus.
Der Kältebus folgt einer einfachen Regel: Je kälter es wird, desto öfter klingelt das Smartphone von Kamil Janus. „Kältebus, was können wir für Sie tun?" Der Anrufer ist aufgebracht: Der Obdachlose in seinem Kiez hocke heute Nacht ohne sein grünes Zelt unter der Brücke, berichtet der unbekannte Mann. „Baumschulenweg", sagt Janus zu seinem Kumpan hinterm Steuer. Mathias Förster startet den blauen Mercedes und lenkt ihn durch die Berliner Nacht - vorbei an Spätis, Dönermännern, Bürogebäuden, Bars und Clubs.
Unter der S-Bahn-Brücke am Baumschulenweg werden Janus und Förster fündig. Andreas ist zappelig. Speed oder Crystal, tippt Förster. „Mein Zelt wurde mir geklaut", klagt der obdachlose Mann. Förster gießt ihm einen warmen Tee aus seiner riesigen Thermoskanne ein. Dann holt er ihm einen dicken Schlafsack aus dem Kofferraum, zwei Paar frische Socken und Wechselunterwäsche.
„Jeden Tag kriegen wir Anrufe, dass du hier bist", sagt Förster zu dem Obdachlosen. „Weißt du eigentlich, dass sich die Leute hier um dich sorgen? Du gehst ihnen nicht am Arsch vorbei." Andreas ringt mit den Tränen. Ein paar kann der Mann nicht aufhalten.
Ein Mal die Woche fahren Mathias und Kamil raus, um Menschen auf der Straße vor der Kälte zu schützen. Dabei sind sie und die anderen ehrenamtlichen Kältebusfahrer der evangelischen Stadtmission auf die Anrufe engagierter Passanten angewiesen. In dieser Nacht sollen es knapp 40 werden. Den Hinweisen folgend suchen die beiden Männer gezielt nach Obdachlosen, um sie - im besten Fall - zu einem warmen Schlafplatz in einer Notunterkunft zu bringen. Diejenigen, die das nicht wollen, versorgen sie mit warmen Getränken, Schlafsäcken und Kleidung, um die Nacht zu überleben. Jede Nacht um 21 Uhr, von November bis März, starten zwei Kältebusse, von denen einer bis drei Uhr nachts unterwegs ist.
Nächster Halt: Lützowstraße. Die Frau, die aus dem Elisabeth-Krankenhaus kommt und in den Kältebus steigt, sieht auf den ersten Blick nicht wie eine Obdachlose aus - weiß-gelockte Haare, blau-gutmütige Augen, warmes Lächeln. „Hallo Frau Zimmer", grüßt Förster die ältere Dame laut und deutlich. „Kennen wir uns?", fragt die Frau überrascht. „Na aber", antwortet der 35-Jährige. Der Sozialarbeiter fährt seit sieben Jahren neben seiner 40-Stunden-Woche Obdachlose von A nach B. „Sie fahren mich doch in den siebten Himmel", witzelt Frau Zimmer. Der Kältebus bringt sie in die Notunterkunft. Eine Ausnahme, sagt Kamil, der eigentlich Ingenieur ist. „Wir holen Menschen aus der Kälte und nicht aus der Wärme. Nicht aus der Klinik, sondern von der Straße", macht der 39-Jährige unumwunden deutlich.
Über die genaue Zahl der Wohnungslosen in Berlin gibt es keine verlässliche Statistik: Die Caritas schätzt ihre Zahl auf 20 000, etwa 6000 von ihnen sollen auf der Straße leben. Viele halten Drogen und Alkohol, aber auch psychische Probleme davon ab, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Die anhaltende Kälte erschwert ihnen den täglichen Kampf ums Überleben.
„Viele sind in der Gruppe unterwegs", erzählt Förster. „Die passen aufeinander auf." Für Alleingänger sei das Leben auf der Straße gefährlicher. Der 35-Jährige weiß, wo er sie findet. „Da wo die Konsumstuben sind, da sind die Drogendealer", sagt der Sozialarbeiter. Und da wo die sind, da seien auch Obdachlose. „Wir können nicht alle retten." Gerade wenn sie eine Überdosis genommen oder zu viel getrunken haben, es kalt ist und keiner den Kältebus anruft.
Die Arbeit geht nicht spurlos an den ehrenamtlichen Busfahrern vorbei. „Es gibt Schichten, wo ich nachher nach Hause komme und noch ne Stunde oder zwei nicht schlafen kann", sagt Förster. Neben der Suche nach einem Schlafplatz sei es Ziel, das Vertrauen zu gewinnen und Menschen an Hilfsangebote weiterzuleiten. „Oft geht es nur Schritt für Schritt." Es ist kurz nach drei, um acht muss Förster auf Arbeit sein, in einer „Nicht-Abstinenten-WG". Nächste Woche hat er eine Verabredung: an der S-Bahn-Brücke Baumschulenweg.
Wer Obdachlose in Not sieht, kann bis 31. März die Kältebusse der Stadtmission anrufen: 0178 5235838 (21 bis 3 Uhr)