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Weltrekord-Ruderer: 15-Meter-Welle kurz vor dem Ziel

Etwa 6000 Kilometer im Ruderboot liegen hinter James Adair und Ben Stenning. Sie sind müde, unaufmerksam und am Ende ihrer Kräfte. Nach 116 Tagen auf dem Indischen Ozean passiert es schließlich, wenige Kilometer vor ihrem Ziel Mauritius: "Wie aus dem Nichts kam die Welle auf uns zu, eine riesige weiße Wand. Wir holten noch mal tief Luft, dann überrollte sie uns", erinnert sich Adair. Die beiden Briten werden aus dem Boot geschleudert, "Wir dachten, das war's jetzt", erzählt Stenning.

Fast vier Jahre sind seit dieser Nacht vergangen. Fast zehn Jahre, seit ihnen der Gedanke kam, den Indischen Ozean in einem Ruderboot zu überqueren. Es war eine sprichwörtliche Schnapsidee, entstanden 2005 bei einer Flasche Rotwein.

Adair, 33, erinnert sich: "Wir waren gerade mit der Uni fertig und nicht wirklich zufrieden mit dem, was dann kam. Ben verkaufte Software, ich belegte einen Jura-Kurs. Unsere Wohnung war fürchterlich - der Londoner Stadtteil Brixton, in dem wir lebten, ebenso. Wir haben nach einem Abenteuer gesucht, einen Weg, da irgendwie rauszukommen."

Den Anstoß gab ein Zeitungsartikel über den mittlerweile 69 Jahre alten Jim Shekhdar, einen britischen Ruderer, der zwischen 2000 und 2001 die fast 13.000 Kilometer zwischen Peru und Australien über den Pazifik alleine zurücklegte. "Wir dachten, man muss bestimmt kein Top-Athlet sein, um so etwas zu machen", sagt Adair. Kaum einer ihrer Freunde glaubte damals, dass sie das schaffen könnten. "Wahrscheinlich zu Recht", meint der 33-jährige Stenning.

Geschafft haben sie es. Insgesamt 3200 Seemeilen vom australischen Gerardton nach Mauritius haben Adair und Stenning in fast vier Monaten zurückgelegt. Als Erste zu zweit und ohne Begleitboot - Weltrekord. Die damals 24-jährige Sarah Outen, ebenfalls aus Großbritannien, schaffte es alleine als erste Frau im Jahr 2009, allerdings in 124 Tagen.

Training auf der Themse

Mittlerweile hat James Adair seine Erlebnisse in einem Buch verarbeitet, 2013 erschien "Rowing After The White Whale" - und auf dieser Vorlage basiert die jetzt erschienene Dokumentation "And Then We Swam" von Ben Finney. Der Regisseur hatte sie aus gerettetem Videomaterial der Ruderer zusammengeschnitten - zwei Drittel der Aufnahmen gingen bei dem Schiffbruch verloren. In Deutschland ist "And Then We Swam" noch bis Ende Mai im Rahmen der " International Ocean Film Tour" zu sehen.

Umgerechnet mehr als 20.000 Euro investieren sie in das sieben Meter lange Hochseeruderboot "Indian Runner". Ein Beiboot für den Notfall gibt es nicht: "Aus Kostengründen", sagt Adair. Keiner der beiden hatte je gerudert. Daher trainieren die Freunde drei Monate auf der Themse, absolvieren Überlebens- und Navigationskurse und futtern sich zusätzliche Kilos an.

Am 21. April 2011 verlassen sie Geraldton in Westaustralien. An Bord stellt sich schnell Routine ein: zwei Stunden Rudern tagsüber, zwei Stunden Pause, drei Stunden nachts, drei Stunden Pause. Insgesamt zwölf Stunden am Tag pro Person. Zwischendurch räumen sie die kleine Kabine auf, ordnen die 300 Kilogramm Lebensmittel, das meiste davon Curry-Schnellgerichte.

Abwechselnd sitzen die Männer an den Rudern. "Eigentlich haben wir uns oft nur beim Schichtwechsel gesehen und redeten dann kurz. Viele Leute meinen, dass es zu zweit irgendwann anstrengend sein würde, aber eigentlich ist es eher ein Solo-Ding. Wir waren beim Rudern mit unseren Gedanken allein, dachten an Sachen, die wir getan hatten, an Orte, an denen wir waren." Langweilig wurde es trotzdem nie, erzählt Stenning weiter: "Das Meer war jeden Tag anders, die Natur und das Wetter auch, kein Tag glich dem anderen."

Wenn sie sich doch mal sehen, lesen sie sich in ruhigen Nächten gegenseitig aus Herman Melvilles Klassiker "Moby Dick" vor. Oder reden, über sich, über ihr Leben. "Über uns die hell strahlende Milchstraße, ohne Lichtverschmutzung, und nur wir zwei. Das gehört zu meinen schönsten Erfahrungen während dieser Reise", erinnert sich Stenning. Adair stimmt zu: "Kein Chef, der etwas von einem will, nur der Indische Ozean und der Himmel."

Ums Leben schwimmen in der Nacht

Einfach ist das Leben an Bord allerdings nicht. An Tag 75 trifft die Amateurruderer eine große Welle, flutet die Kabine und beschädigt einige Geräte an Bord. Die Pumpe zur Meerwasserentsalzung können sie provisorisch reparieren, ihr GPS-System an Bord nicht. Ab jetzt haben sie nur noch ein GPS-Handgerät, das nur die aktuellen Koordinaten des Ruderboots zeigt - Geschwindigkeit und Kursanzeige fehlen hier - und bei dem die Batterien ständig schwächer werden. Am Ende navigieren sie mit dem Kompass.

Die wohl größte Herausforderung wartet am Ende ihrer Reise auf sie. Etwa acht Kilometer vor Mauritius' Küste, Land ist bereits in Sicht, wird das Wetter schlechter, es stürmt. So stark, dass das Boot, das die beiden eigentlich in Empfang nehmen soll, abdrehen muss.

Eine 15 Meter hohe Welle erwischt schließlich ihr Ruderboot, und sie gehen ohne Rettungswesten über Bord. Stenning schafft es noch, Signalraketen abzufeuern. Dabei treffen Reste der Leuchtkugel Adair ins Bein und verletzen ihn. "Ich glaube ja, das war mit Absicht. Da haben sich vier Monate Zusammenleben auf engstem Raum entladen", bemerkt dieser und lacht.

Eine zweite Welle lässt das Boot schnell außer Reichweite treiben. Und dann schwimmen sie. Etwa zwei Stunden dauert es, bis die beiden fast nackt zwischen Korallen und Steinen ein Riff vor Mauritius erreichen. Es ist mittlerweile dunkel. Zu Fuß würden sie es wohl nicht an Land schaffen, diskutieren sie in dieser Nacht, zu scharfkantig ist der Untergrund.

Adairs Bein blutet stark, es wird kalt. "Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir wirklich Sorgen um James gemacht. Er saß zitternd da, starrte abwesend den Vollmond an und fragte mich, ob ich auch die Wärme des Lichts spüre. Da war mir klar, dass er komplett unterkühlt ist", erklärt Stenning.

Nachdem ein Rettungshubschrauber die beiden bärtigen Männer - die rufend und mit den Armen wedelnd im flachen Wasser stehen - übersieht, bringt sie ein kleines Fischerboot schließlich sicher zur nahen Insel. Dort hatte ein Helfer Alarm ausgelöst, als er den Funkkontakt verlor. Die erleichterten Familien warteten schon.

Neuer Plan: Pazifik

Würden sie es wieder tun? Die beiden Hobby-Ruderer schauen sich kurz an und lachen. "Auf jeden Fall, ich bereue es keine Sekunde. Wahrscheinlich war es sogar eine der besten Erfahrungen meines Lebens", sagt Stenning und grinst. "Wir würden uns vielleicht etwas besser vorbereiten, aber das Negative blendet man ja zum Glück sehr schnell aus." Adair stimmt zu: "Es ist schön, wenn man diese Erinnerungen immer bei sich hat."

Im Gegensatz zu ihrem Ruderboot "Indian Runner" ist ihre Freundschaft nach wie vor intakt - und fester denn je. Adair hat sogar seinen Sohn nach seinem besten Freund benannt: Ben. Obwohl Stenning mittlerweile in Paris und Adair in London wohnen, planen die beiden schon das nächste Abenteuer.

Sie wissen noch nicht genau wann, aber es soll im Ruderboot von Australien über den Pazifik nach Südamerika gehen - die Strecke also, die ihre Vorbild Jim Shekhdar 2001 zurücklegte. Die Strecke ist mit etwa 13.000 Kilometern mehr als doppelt so lang wie ihr Trip über den Indischen Ozean.

Die International Ocean Film Tour ist noch bis Ende Mai in zehn europäischen Ländern und auch in vielen deutschen Städten unterwegs. Mehr Informationen finden Sie auf der Webseite.


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