Wer als Athlet nach Rio de Janeiro will, muss ein Flugticket buchen. Wer dagegen aus dem brasilianischen Petrópolis nach Rio aufbricht, muss zunächst durch Bingen und Ingelheim hindurch. Klingt absurd, ist aber Realität.
Die 300.000-Einwohner-Stadt Petrópolis liegt etwa eine Stunde von Rio de Janeiro entfernt. Seit 1845 steht sie sinnbildlich für den kaum bekannten Einfluss, den die Deutschen auf die Entwicklung Brasiliens in den letzten Jahrhunderten genommen haben.
Deutsche für Straßenbau engagiertAusgangspunkt der Geschichte von Petrópolis sind 238 deutsche Auswanderer, die 1837 in Rio de Janeiro strandeten. Eigentlich waren sie auf dem Weg nach Australien. Doch sie hatten ihren dauernd betrunkenen Kapitän zur Landung in der Guanabara-Bucht gezwungen. Dort wurden sie vom - je nach Quelle - in Mainz oder Wörrstadt geborenen Major Julius Friedrich Koeler zum Straßenbau angeworben. So wurden sie anstatt in Australien in Brasilien sesshaft.
Die gute Arbeit, die die Zufallsbrasilianer verrichteten, sorgte dafür, dass man sich am kaiserlichen Hof in Rio entschied, weitere deutsche Kolonialisten ins Land zu holen. Diese sollten sowohl den Straßenbau vorantreiben, als auch maßgeblich beim Bau einer kaiserlichen Sommerresidenz mithelfen.
Nachbau der alten HeimatDafür hatte Kaiser Dom Pedro II ein Hochplateau ausgewählt, das im Mittelgebirge im Hinterland von Rio de Janeiro liegt: Das heutige Stadtzentrum von Petrópolis. Major Koeler, der im Ansehen des Kaisers in ungeahnte Höhen aufgestiegen war, sollte dieses Projekt leiten. Dass ihm der Kaiser beim Bau der Sommerresidenz weitgehend freie Hand ließ, kam Koeler entgegen. Und so trägt die Stadt Petrópolis tatsächlich bis heute Koelers unverkennbare Handschrift.
Es ist vor allem die Anordnung und Benennung von Stadtteilen, Straßen und Plätzen in einer Art, die in ganz besonderer Weise an die einstige Heimat erinnert. So erschien Major Koeler der Zusammenfluss zweier Flüsschen dort, wo heute das Stadtzentrum zu finden ist, dem deutschen Eck in Koblenz nicht unähnlich. Was lag da näher, als den Platz Koblenz zu nennen und die Flüsse Rhein (Rheno) und Mosel (Mosela)? Letztere gab auch der Gemarkung ihren Namen, in der flussaufwärts die "Praça Trier" angelegt wurde - natürlich rechts der Mosel, wie es sich gehört.
Den Rhein hinauf fanden sich die Plätze St. Goar und Mainz, an anderen Stellen die Plätze mit den aus der Heimat bekannten Namen Kreuznach, Bingen, Ingelheim und Wiesbaden. In der Gemarkung Münster fand sich der Münsterplatz, in der Gemarkung Nassau der Nassauplatz.