Rio de Janeiro/Bingen. Major Julius Friedrich Koeler, ein rheinhessischer Auswanderer, baute in der Nähe von Rio de Janeiro mit dem Segen des brasilianischen Kaisers seine Heimat nach. Auch heute kann man in Petrópolis noch die Stadtteile Bingen, Ingelheim oder Kastellaun besuchen.
Als der junge Mann 1828, wie später viele Menschen aus dem heutigen Rheinland-Pfalz, nach Brasilien kam, träumte er von einer großen Zukunft. Nachdem er zunächst in der kaiserlichen Armee Karriere gemacht hatte, kam allerdings der Karriereknick, als es zu einem Aufstand der Fremdregimenter kam und der Kaiser danach prophylaktisch ausländische Söldner wie Koeler aus der Armee verbannte. Als der Kaiser den 1804 in Mainz oder Wörrstadt geborenen Koeler fragte, ob dieser für ihn den Bau einer Sommerresidenz auf einem Hochplateau etwa 70 Kilometer außerhalb von Rio de Janeiro übernehmen wolle, witterte Koeler seine vielleicht letzte Chance, einen echten Fußabdruck in der Geschichte zu hinterlassen. Dass ihm der Kaiser dabei weitgehend freie Hand ließ, kam Koeler entgegen. Und so trägt die Stadt Petrópolis tatsächlich bis heute unverkennbar Koelers Handschrift.
Rund um den Zusammenfluss zweier Flüsschen, der Koeler an das deutsche Eck in Koblenz erinnerte, bauten vor allem südwestdeutsche Einwanderer unter der Leitung des Majors ihre alte Heimat nach. Der zentrale Platz wurde zur "Praça de Coblenz", die Flüsse wurden fast schon zwangsläufig Rhein ("Rheno") und Mosel ("Mosela") genannt. Den Rhein hinauf fanden sich die Plätze St. Goar und Mainz, an anderen Stellen die Plätze mit den aus der Heimat bekannten Namen Kreuznach, Bingen, Ingelheim und Wiesbaden. Auch ansonsten hatte man sich bemüht, die altbekannte Ordnung soweit es ging aufrecht zu erhalten. Daher grenzte die Gemarkung Kastellaun ("Castelânea") wie im Hunsrück auch an die von Simmern (Siméria), die von Ingelheim wie in Rheinhessen auch an die von Bingen.
Heutzutage sind die meisten deutschen Namen aus dem Stadtbild verschwunden. Ingelheim, Bingen, Siméria und Castelânea allerdings sind immer noch präsent, weil es nicht nur Buslinien gibt, die dorthin führen, sondern auch verschiedene Straßenschilder den Weg dorthin weisen. Ein Schmunzeln lässt sich nur schwer unterdrücken, wenn sich auf diesen neben den Provinzstädten aus dem deutschen Südwesten auch die brasilianischen Metropolen Rio de Janeiro oder Belo Horizonte finden. Die Welt scheint dann für einen Moment eng zusammengewachsen.
Während in Rio Grande do Sul, im Hinterland von Porto Alegre, Sprache, Brauchtum, Lebensart und Kulinarik der deutschen Siedler bis heute umfassend erhalten geblieben sind, kennen die wenigsten Bewohner der 300 000 Einwohner-Stadt Petrópolis die Herkunft von Namen wie Bingen, gesprochen "Binschen" - und noch weniger wissen etwas über die Orte, die als Namensgeber Pate standen. Die beiden Monumente, die an die Kolonisten heute noch erinnern, nämlich das Standbild für Major Koeler und das für die gestorbenen Auswanderer, sind so sehr in das Stadtbild integriert, dass die meisten Menschen zwar dauernd an ihnen vorbeikommen, die wenigsten sich aber jemals darüber Gedanken gemacht haben dürften, welche Geschichten dahinter stehen.
Koeler selbst durfte sein Werk übrigens nie in voller Pracht erleben. Er starb schon 1847, lange bevor alle Arbeiten beendet waren, an den Folgen eines Unfalles, der ebenso typisch deutsch war wie die Namen der Stadtteile von Petrópolis. Bei einem von ihm selbst veranstalteten Schützenfest löste sich ein Schuss aus der Waffe eines Freundes und verwundete Koeler, so dass er nur wenig später starb. Die von ihm erbaute Stadt aber steht bis heute sinnbildlich für den Einfluss, den Deutsche auf die Entwicklung Brasilien hatten.