Claudius Holler (40) gerät mit seinem Start-up an den Rand der Insolvenz. Um die Firma zu retten, zahlt er sich kein Gehalt aus. Ausgerechnet, als er die Krankenkassenbeiträge seit Monaten nicht mehr bedient hat, bekommt er die Diagnose: Krebs.
„Die Sache mit dem Video war eine Kurzschlussreaktion. Es entstand an dem Tag, an dem ich die Diagnose bekommen hatte. Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen. Ich habe 16 Minuten in die Kamera gesprochen und eine Nacht darüber geschlafen. Dann habe ich das Video bei Youtube hochgeladen. Am Anfang sage ich den Satz: „Krebs ist ein Arschloch und dieses Arschloch hat heute auch bei mir angeklopft. Und weil Arschlöcher meistens nicht allein kommen, brauche ich deine Hilfe." Was danach geschah, diese Welle an Solidarität, damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich hatte schon ein flaues Gefühl im Bauch, als ich von meiner Ärztin in die Praxis gebeten wurde. Mir war zuvor mein Hund in den Schritt gesprungen. Mit Schmerzen im Genitalbereich bin ich ins Krankenhaus gefahren. Dort sagte man mir, dass es eine Entzündung sein könnte. Nach einer Woche stellte sich heraus, dass ich Hodenkrebs hatte. Mit der Diagnose kam ein Gefühl absoluter Leere.
Mit meinem Bruder Daniel habe ich 2010 ein Start-up gegründet. Wir wollten ein Produkt vertreiben, das gut zu uns und den sozialen Medien passt. Wir sind schnell auf einen Mate gekommen. Anfangs haben wir von einem Hamburger Getränkebetrieb Mate-Flaschen bekommen. Die haben wir mit eigenen Etiketten beklebt, die Künstler für uns entworfen hatten. Dann haben wir unser eigenes Getränk gemischt, „Leetmate". Wir kümmerten uns um Marketing und Vertrieb, externe Dienstleister waren für die Abfüllung und die Logistik zuständig.
Wir haben uns erst einmal aufs Wachstum konzentriert und keine Rücklagen gebildet. Im September 2014 hatten wir unseren stärksten Absatzmonat, als wir unseren Abfülldienstleister nicht mehr erreichen konnten. Zwei Wochen lang ging niemand ans Telefon. Dann rief uns ein Vertriebsmitarbeiter an: „Wisst ihr gar nicht Bescheid? Der Betrieb hat Insolvenz angemeldet." Für den Insolvenzverwalter waren wir nur ein kleines Rad im System. Er ließ uns im Glauben, dass der Betrieb schnell wieder auf die Beine kommt.
Die Verhandlungen zogen sich, am Ende mussten wir den Dienstleister wechseln.
Unser Getränk wurde acht Monate nicht abgefüllt. Die Fixkosten liefen aber weiter. Eigentlich hätten wir das Start-up dicht machen müssen. Insolvenz anzumelden war für mich aber keine Option, weil die Nachfrage für unser Getränk da war. Also haben wir uns kein Gehalt mehr ausgezahlt. Als Unternehmer gilt man aber als Gutverdiener. Dementsprechend stuft einen die Krankenkasse ein. Ich sollte monatlich weiter fast 700 Euro bezahlen, obwohl ich kein Einkommen hatte. Irgendwann konnte ich die Beiträge nicht mehr bezahlen, wie zigtausend Selbstständige in Deutschland.
Nun sollte ich in einer Woche operiert werden, vielleicht brauchte ich eine Chemotherapie. Es standen verdammt große Summen im Raum. Die Krankenkasse wollte einen fünfstelligen Betrag von mir. Geld, das ich nicht hatte. Ich war seit Monaten nicht mehr krankenversichert, weil ich die Beiträge nicht mehr bezahlen konnte. Ich dachte: Es wird schon nichts passieren.
Um Hilfe zu bitten kann Überwindung kosten - doch es lohnt sichMit dem Videoaufruf nach Spenden stand ich mit heruntergelassenen Hosen da. Ich habe aber gelernt, dass Offenheit in einer solchen Situation helfen kann. Man unterschätzt, wie viele Menschen man um sich herum hat, die einem aus der Bredouille helfen wollen. Das müssen nicht hunderte sein, manchmal reichen auch zwei. Bei mir kam ein fünfstelliger Betrag zusammen, mit dem ich die Operation und meine Schulden bei der Krankenkasse bezahlen konnte.
Momentan bin ich angestellt. Mein Bruder und ich wollen Ende des Jahres wieder in die Produktion gehen, ohne hohen Fixkostenapparat. Es wäre dämlich, die Fehler, die wir gemacht haben, zu wiederholen. Wir wollen von der Firma nicht mehr leben müssen. Mein glücklichster Moment seit der Diagnose war in diesem Sommer, als ich ein Skatecamp für Kinder in Mecklenburg-Vorpommern veranstaltet habe. Ich stand mittendrin und dachte: Ich nehme nicht nur, ich kann der Gesellschaft auch etwas zurückgeben.
Das Video habe ich nicht gelöscht. Ich könnte es mir aber auch nicht wieder ansehen."
Ronja Mayr (22) will Skiprofi werden. Sie schafft es ins Nationalteam, doch Verletzungen werfen sie immer wieder zurück. Nach einem schweren Sturz in Chile muss sie sich entscheiden: für ihren Traum oder das Leben nach dem Sport.
„Als mein rechter Ski bei Tempo 140 verkantete, wusste ich, dass ich gleich böse stürzen würde. Ich habe mich überschlagen, verlor die Stöcke und meinen linken Ski. Im Fallen habe ich aber nur meinen rechten Oberschenkel gesehen. Der sah unter dem Rennanzug aus wie eine verdrehte Mettwurst. Ich lag im Schnee und wusste im ersten Moment nicht, ob ich mir das eingebildet hatte. Dann kamen die Schmerzen. Mein erster Gedanke war: die Saison ist gelaufen, schon wieder.
Wenn die Träume plötzlich unerreichbar scheinenIch wollte immer Skifahrerin werden, Deutschland bei den Olympischen Spielen 2018 vertreten. Das war mein Traum. Darauf habe ich seit meiner Kindheit hingearbeitet. Ich komme aus einer sportbegeisterten Familie, habe vier Geschwister. Mein Bruder Bastian hat sich so schlimm am Sprunggelenk verletzt, dass er mit Anfang 20 mit dem Profifußball aufhören musste. Ich habe am selben Tag Geburtstag wie er. Es ist, als hätte uns dasselbe Schicksal getroffen.
Richtig professionell wurde es, als ich 16 geworden bin. Ab dem Zeitpunkt hatte ich noch mehr Fehltage am Gymnasium als ohnehin schon. Mit der Entscheidung gegen die Schule und für den Sport haben auch die Verletzungen angefangen. Jede Saison war irgendetwas. Ich hatte drei Gehirnerschütterungen, zwei Kreuzbandrisse, eine schwere Prellung am Schienbeinkopf. Nach meiner ersten schweren Verletzung hatte ich ein gutes Jahr, ich gewann viele Rennen.
Doch dann bin ich wieder gestürzt. Ich musste wochenlang Aufbautraining im Wasser machen, stand bei Rennen mit Krücken im Ziel. Nach mir drängten be- reits jüngere Fahrerinnen in die Nationalmannschaft. Ich stand unter Druck, doch ich habe mich zurückgekämpft.
Die Oberschenkelverletzung ist im vergangenen Herbst beim Kaderlehrgang in Chile passiert. An dem Tag war die Bodensicht schlecht, der Rückenwind extrem. Der Trainer hatte für das Abfahrtstraining weite Abstände zwischen den Toren gesteckt, mir war der Kurs zu schnell. Weil ich mich nicht wohl gefühlt habe, bin ich in aufrechter Position in die Kompression, den Übergang ins Flache, gefahren. Dabei wirken extreme Kräfte auf den Körper. Da habe ich die Kontrolle über den Ski verloren.
Ich bin mit dem Hubschrauber in eine Klinik geflogen worden. Als ich erfahren habe, dass mein rechter Oberschenkelknochen gebrochen ist, fand ich das nicht so schlimm. Denn da dauert die Reha nicht so lange. Bei einer Untersuchung in Deutschland kam heraus, dass auch beide Kreuzbänder gerissen waren. Das war eine richtige Watschn. Mein Arzt sagte, dass bei meinem rechten Knie nach drei Kreuzbandrissen nichts mehr passieren darf, sonst würde es mit der Heilung schwierig.
Für den Traum vom Skifahren die Gesundheit riskieren?Ich wollte erst unbedingt weitermachen. Die besten deutschen Skifahrerinnen der letzten Jahre, Katja Seizinger und Maria Riesch, haben mit Anfang 30 aufgehört. Und ich war doch erst 21. Ich dachte: Das darf es noch nicht gewesen sein. Dann hat mich mein Arbeitgeber, der Zoll, gefragt, ob ich in den gehobenen Dienst möchte. Ich habe die Aufnahmeprüfung absolviert und bestanden. Im März sollte ich mich entscheiden: für eine neue Saison mit Aufbautraining oder das Studium.
Meine Vorgesetzen sagten, sie könnten es nicht verantworten, wenn ich weiter Ski fahre. Meine Eltern waren auch dafür, dass ich aufhöre. Ich habe viel ge- weint in dieser Zeit. Wir Skifahrer sind extreme Charaktere. Ich habe meinem Körper jahrelang alles abverlangt. Wenn ich am Start stand, war ich zwar extrem nervös. Doch Angst hatte ich nie. In meiner jetzigen Situation wäre die Sorge um mein rechtes Knie immer mitgefahren. Ich habe begriffen: Wenn ich nicht mehr ins Risiko gehen kann, wenn meine Gesundheit auf dem Spiel steht, dann macht es keinen Sinn mehr.
Ich mache jetzt das duale Studium zur Diplom-Finanzwirtin in Münster. Loslassen fällt mir schwer, ich denke noch viel ans Skifahren. Manchmal schaue ich mir Videos von meinen Rennen an. Es sind aber viele nette Leute in Münster, die nichts mit Sport zu tun haben. Ich sehe keine Berge, es ist ein bisschen wie ein Entzug. In einem Jahr möchte ich wieder Sport machen, ohne Schmerzen zu haben. Vielleicht nehme ich dann an einem Triathlon teil. Ich will dieses Wettkampfgefühl irgendwann wieder haben, das hat mich am Skifahren so gereizt."