Fast revueartig präsentiert sich zu Beginn von Elfriede Jelineks Rechnitz (Der Würgeengel) das Ensemble als Gruselkabinett, versammelt rund um die zentrale Gestalt des Stücks - Sona MacDonald als Gräfin Batthyány. Sie gibt im grellen Abendkleid ein zeitgenössisches Chanson zum Besten, während das Ensemble als teils historisches, teils fiktives Figurenkabinett rund um sie Karussell fährt: ein Waffenmeister, ihr Gutsverwalter, der örtliche Gestapoführer, Bedienstete - allesamt der Gräfin Festgäste.
Historisch aufgearbeitet wird in dem Stück das „Massaker von Rechnitz", einem Endphaseverbrechen, bei dem während jener Nacht, in der die Gräfin ein Fest für die örtliche NS-Prominenz schmiss, 180 jüdisch-ungarische Zwangsarbeiter erschossen und in einem Massengrab begraben wurden. Über die Beteiligung der Gräfin und eines Teils ihrer Gäste an dem Verbrechen gibt es Überlieferungen. Das Massengrab der Erschossenen konnte jedoch - trotz intensiver Suche - bis heute nicht entdeckt werden, auch weil sich ortsansässige Zeitzeug*innen in Schweigen flüchten.
Genau dieser historischen Verdrängung widmet sich der Originaltext Jelineks, 2008 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, in dem in einem einzigen Textguss zahlreiche „Boten" zu Wort kommen. Sie haben zwar über das Geschehene viel zu sagen, aber wenig Konkretes zu berichten, gehört oder gesehen hätten sie schließlich nichts. In der Spielfassung von Anna Bergmann werden aus den Boten eindeutig zuordenbare Figuren: Gräfin und Gefolge, Schuldige, Dienstboten, Opfer, später Zeitzeugen, und ortsansässige Nachkommen der Täterschaft.
Vier Szenenbilder und ein Epilog werden je von einem Musikstück eingeleitet bzw. charakterisiert und unterfüttern den Text mit visuellen Codes, die befremden: das ganze Ensemble tritt durchgehend glatzköpfig auf und über dem Geschehen schwebt ein blutbespritzte Plastikplane. Besonders gelungen ist die Inszenierung aber da, wo dem Text durch schauspielerische Leistung besonders Rechnung getragen wird - etwa wenn Elfriede Schüsseleder sich über die „moralische Instanz der Nachwelt" erbost oder Tamin Fattal als Überlebender von dem Verbrechen erzählt.
Besonders die künstlich und befremdlich angelegte Figur der Gräfin bekommt ein Gegengewicht, wenn im Epilog des Stückes eine Videoeinspielung den vermuteten Tatort in Rechnitz zeigt, den noch im Krieg abgebrannten „Kreuzstadl". Sie verdeutlicht nahbar, was Schuld in diesem Land bedeuten kann: Nicht nur, das Mitwirken am Massaker von Rechnitz, sondern auch das Schweigen all jener, die das Auffinden des Massengrabes somit bis heute verhindert haben. Von der Relevanz des Jelinek-Stückes scheint auch das Publikum der Josefstadt überzeugt - es bejubelt die Inszenierung.
Original