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Krebsdiagnostik für die Hosentasche?

Die Bestimmung von zirkulierenden Tumorzellen im Blut ist bislang sehr aufwändig. Augsburger Wissenschaftler haben nun ein System entwickelt, das in jeder Arztpraxis angewendet werden und die Krebsdiagnostik verändern könnte.

Zirkulierende Tumorzellen sind Krebszellen, die vom Primärtumor abgeschieden werden und im Blutkreislauf durch den Körper wandern. Die Anzahl an zirkulierenden Tumorzellen im Blut (CTCs - circulating tumor cells) gibt einen Hinweis auf das Stadium einer Krebserkrankung und lässt (bedingt) Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf zu. Zudem kann der Erfolg einer Krebstherapie kontrolliert werden. Doch die Konzentration der CTCs im Blut ist so niedrig (ein bis zehn Zellen pro Milliliter Blut), dass eine Untersuchung schwierig und zeitaufwändig ist und nicht zur Standardanalyse gehört. Die Bestimmung der CTCs erfordert zudem große Expertise des durchführenden Experimentators. Das einzige kommerziell verfügbare und von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassene System für metastasierenden Brustkrebs, metastasierenden Darmkrebs und metastasierenden Prostatakrebs - allesamt also bereits fortgeschrittene Krebserkrankungen - ist CellSearch®. Die Tumorzellen in einer Blutprobe werden dabei durch eine Antikörper-Antigenwechselwirkung mit magnetischen Kügelchen markiert und anschließend durch Anlegen eines magnetischen Feldes aussortiert.

Trennung aufgrund mechanischer Eigenschaften

Nun haben Physiker an der Universität Augsburg ein System entwickelt, das nicht nur sehr geringe Zahlen an CTCs zuverlässig und spezifisch nachweisen kann, sondern das auch ohne viel Equipment, schnell und kostengünstig in jeder Arztpraxis angewendet werden könnte. Das „ Non-Inertial Lift Induced Cell Sorting", kurz NILICS, basiert auf einer physikalischen Trennung der Tumor- von den restlichen Blutzellen aufgrund ihrer unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften. „Der Vorteil dieses Systems ist, dass wir die Tumorzellen Label-free, also ohne Markierung (z.B. mit magnetischen Partikeln), aus verdünntem Vollblut isolieren können. Signalverstärkung oder eine Anreicherung der Zellen entfallen ebenfalls", erklärt Prof. Thomas Franke, Leiter der Arbeitsgruppe Soft Matter/Biological Physics am Lehrstuhl für Experimentalphysik der Universität Augsburg.

Tumorzellen werden durch die Lift-Kraft bewegt

Wenige Mikroliter Blut werden in einen sehr kleinen, mikrofluidischen Kanal mit einem Durchmesser zwischen zehn und 100 Mikrometer eingebracht und mit bestimmtem Druck durch den Kanal befördert. Dort herrscht auf Grund der geringen Größe des Kanals eine laminare Strömung, in der keine Turbulenzen auftreten und alle Teilchen und Zellen parallel fließen. Tumorzellen unterscheiden sich von anderen Zellen und von anderen Blutzellen in ihrer Elastizität und Deformierbarkeit. „Diese unterschiedlichen Eigenschaften werden in dem System ausgenutzt. „Starre" Zellen verbleiben an genau der Position, an der sie eingeleitet wurden, während elastische Zellen von der sogenannten Lift-Kraft (lift force), einer in diesem System entstehenden Kraft, von der Wand abgestoßen werden", erklärt Prof. Franke. Die Zellen bewegen sich folglich von der Wand des Kanals weg, bis sie auf Grund der abnehmenden Scherkräfte einen Gleichgewichtszustand erreichen. Nach einer bestimmten Wegstrecke teilt sich der Kanal, so dass die Zellen über verschiedene Auslässe aufgefangen werden. Unter dem Mikroskop können mit Hilfe einer Zählplatte die vorhandenen Tumorzellen ausgezählt werden.

Für jeden Krebstyp anwendbar

Der Wissenschaftler Thomas Geislinger aus der Arbeitsgruppe von Prof. Franke verwendete für die Versuche unter anderem die Hautkrebszelllinie MV3 und die Osteosarcoma-Zelllinie SAOS2. „Vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet ist die Methode universell für alle Krebszelltypen anwendbar. Einzige Voraussetzung ist der Unterschied in den physikalischen Eigenschaften, der für alle aktuell bekannten Tumorzelllinien gegeben ist", erklärt Geislinger.

Die Bedeutung von zirkulierenden Tumorzellen

Grundsätzlich können Zellen aller Tumortypen im Blut zirkulieren. Durch diese Zellen erfolgt die Metastasierung. Bei frühen Krebserkrankungen (Primärerkrankungen) finden sich zirkulierende Tumorzellen bei etwa zehn bis 20 Prozent aller Patienten. Liegen bereits Metastasen vor, können - je nach Untersuchungsmethode - bei 50 bis 90 Prozent CTCs nachgewiesen werden. In Studien wurde gezeigt, dass bei metastasierendem Brustkrebs mit einer Anzahl von ≥5 CTCs pro 7,5 ml Blut die Überlebensdauer (overall survival) signifikant kürzer ist als bei Patientinnen mit weniger als 5 CTCs pro 7,5 ml Blut. Auch für andere Krebsarten wurde ein solcher Zusammenhang gezeigt, wie Bao et al. kürzlich publizierten. Bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen lässt die Analyse der CTCs auch Rückschlüsse auf das Ansprechen oder Nichtansprechen auf Chemo- oder Hormontherapie zu.

Test auf CTCs beim Hausarzt denkbar

Auf Grund dieser Erkenntnisse könnte es sinnvoll sein, CTCs bereits frühzeitig und regelmäßig zu bestimmen. Herr Geislinger erklärt dazu: „Ein Test, der auf Grundlage der von uns vorgestellten Methode entwickelt werden könnte, wäre bereits in der Vorsorgeuntersuchung beim Hausarzt anwendbar, da keinerlei Vorkenntnisse über die Art oder Schwere einer eventuellen Erkrankung notwendig wären. Eine normale Blutprobe würde für einen ersten Test ausreichen." Für einen breiten Einsatz eines solchen Systems müsste jedoch auch die entsprechende Infrastruktur gegeben sein. Die Forscher stellen sich ein Testsystem in Form eines Einmal-Artikels vor: „Die benötigten Kanäle könnten kostengünstig hergestellt und vollautomatisiert betrieben werden, was die Anwendung vor Ort begünstigen würde. Dadurch, dass die Zellen nicht markiert werden müssen, wäre die Handhabung einfacher, als bei der bisher verfügbaren Methode." Einige Firmen haben bereits ihr Interesse an der Methode bekundet.

Diabetes, Bluthochdruck, Malaria: More to come

In früheren Versuchen wurde NILICS verwendet, um Erythrozyten von Thrombozyten zu trennen. Auch eine Trennung von Erythrozyten und Leukozyten ist möglich. „Weitere Krankheiten, in denen die physikalischen Eigenschaften der Zellen verändert werden und somit unsere Methode Anwendung finden könnte, sind zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck, Malaria oder Sichelzellanämie", erläutert Hr. Geislinger das Potenzial der Methode.

Weitere Trennmethoden für CTCs

Auch andere Forschergruppen versuchen sich an der Aufgabe, zirkulierende Krebszellen zu isolieren. So hat die Arbeitsgruppe Industrial Simulation um den Projektleiter Prof. Thomas Schrefl, seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dipl.-Ing. Markus Gusenbauer an der Fachhochschule St. Pölten in Österreich und weitere Projektpartner verschiedene Trenn- und Filtermethoden für CTCs am Computer simuliert. Grundsatz ist jeweils eine Kombination aus Größen- und Affinitätsfilterung im mikrofluidischen Maßstab. So beispielsweise bei der Simulation mit weichmagnetischen Teilchen, die mit einem Antikörper umhüllt sind, um dynamische Filterstrukturen zu erzeugen. Im Magnetfeld erzeugen die weichmagnetischen Teilchen Ketten, die folglich einen Kammfilter bilden. Die Abstände zwischen den Ketten können durch gezielte Steuerung der Magnetfelder eingestellt, und dadurch auf die unterschiedlichen Tumorzelltypen angepasst werden. Zwei weitere ähnliche Ansätze wurden ebenfalls simuliert und werden nun an einem Prototypen getestet. Bei diesen Methoden müssen für jeden zu filternden Zelltyp die passenden Antikörper vorhanden sein. Das ist bisher nicht der Fall. Diese Schwierigkeit umgehen die Augsburger Forscher geschickt.

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