Erst gab es die soziale, dann die digitale und nun steuern wir auf eine neuronale Zweiklassengesellschaft zu, sagt Miriam Meckel. Beim ihrem re:publica-Talk " Mein Köper gehört nicht mehr mir" erklärt sie, wie Mensch und Maschine verschmelzen und warum das nicht nur gut für uns ist.
von Franziska Hoppen und Christina Spitzmüller
"Statt zu telefonieren, werden wir in Zukunft telepathieren", so Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche. Schon heute sei es möglich, durch reine Konzentration und Unterstützung eines Computerprogramms Wörter auf einem Bildschirm zu schreiben. Aber nicht nur leichtere Kommunikation, auch Selbstoptimierung ist per Elektrode im Kopf möglich: In den USA ist gute Laune schon per Knopfdruck erhältlich. Für 300 US-Dollar verändert eine Elektrode mit dazugehöriger App den Gemütszustand.
In der Medizin bedeutet "Brainhacking": Am Körper angebrachte oder implantierte Elektroden ermöglichen körperlich eingeschränkten Menschen mehr Selbstbestimmung. Querschnittsgelähmte können mit ihren Gedanken Roboterarme so bewegen, dass sie ihnen etwas zu trinken reichen. Ein Tierexperiment skizziert ein eher gruseliges Szenario: Ratten konnten Lernprozesse durch Gehirnimplantate eingepflanzt werden. Es ist das erste bioneuronale Netzwerk. Beim Menschen ist solch eine Gedankenübertragung heute noch nicht möglich, Gehirnimplantate sind aber schon Realität.
Meckel stellt unangenehme Fragen: "Wenn unsere Gehirne zu einem Knotenpunkt im weltweiten Datennetz werden, wie autonom können wir dann noch denken?" "Woher wissen wir, welche Gedanken wirklich unsere eigenen sind und welche uns übertragen wurden?" "Gibt es ein Recht auf gedankliche Selbstbestimmung?" "Wer sind wir eigentlich noch, wenn unsere Gehirne von anderen beobachtet und Gedanken eingepflanzt werden können?"
Letztendlich geht es darum, wer davon profitieren wird, wenn die Elektrode im Kopf zur Massenware wird. Auf soziale und digitale Gefälle wird bald der neuronale Klassenunterschied folgen, resümiert Meckel: "Wir werden in einer Zeit des Neurokapitalismus leben." Das bedeutet, wer sich nicht leisten kann, sein Gehirn zu optimieren, hat schlechte Laune und keinen Job - und wird sich nicht an die neuen Anforderungen und den Wettbewerb in der selbstoptimierten Gesellschaft anpassen können. Miriam Meckel fordert zur Diskussion auf, bevor die Elektrode im Kopf Alltag wird. "Noch können wir denken und entscheiden, was wir wollen. Wir sind so frei!"