1. Teil: Der Tatortreiniger
Tatortreiniger Patrick Hofmann reißt das blaue Polizeisiegel von der Eingangstür. Er schließt die Wohnung auf und geht hinein. Vor einer Woche wurde hier die Leiche von Hildegard F.* (*Name geändert) gefunden. Sie starb im Schlafzimmer. Im Obduktionsbericht steht: Organversagen. Hofmann ist 25 Jahre alt. Sein blondes, schütteres Haar lässt ihn aber älter wirken. Er trägt einen weißen Polyester-Overall, Füßlinge über den Turnschuhen und grüne Gummihandschuhe. „Einen Mundschutz trage ich nicht. Unter dem Anzug schwitze ich schon genug - sonst sterbe ich", scherzt er.
Seit drei Jahren arbeitet Patrick Hofmann für die Berliner Firma Heistermann. Über 100 Tatorte hat er schon gereinigt. Manchmal drei an einem Tag. Die meisten Einsätze sind Sterbefälle: „Alte Menschen, die wochenlang in ihrer verwahrlosten Wohnung liegen, in die keiner rein will", erzählt er, „Größtenteils rufen uns Privatpersonen, meistens Hausverwaltungen. Mit der Polizei haben wir seltener zu tun."
Doch es gibt auch Einsätze, die Hofmann nicht so schnell vergisst: „Mein schlimmster Tatort war eine Messerattacke in einem Mode-Discounter in Eberswalde. Ein Mann stach seine 23-jährige Freundin nieder. „In der ganzen Kinderabteilung war Blut", erzählt er.
Das Drama ereignete sich im Februar 2013. Das Motiv: verschmähte Liebe. Kurz vor Ladenschluss lauerte der 28-Jährige der Verkäuferin auf und tötete sie vor den Augen ihrer Kollegen. „Wir waren damals zu zweit vor Ort, einen ganzen Tag lang. Zu reinigen war das nichts mehr. Alles wurde rausgeschmissen und verbrannt", erinnert sich Hofmann.
Solche brutalen Morde oder Suizide mit Aderlass und Schusswaffen sind zwar selten, trotzdem hinterlassen sie Spuren: „Ich verarbeite die Erlebnisse, indem ich dusche. Selbstreinigung", erzählt der gelernte Glas- und Gebäudereiniger, „Ich denke nicht mehr viel über den Tod nach, eher an das Leben nach dem Tod", fügt er hinzu.
Gibt es Dinge, vor denen er sich noch ekelt? „Ja, Ungeziefer - Speckmaden, widerlich", antwortet der 25-Jährige.
„Fragen stelle ich schon lange nicht mehr"
Im Wohnzimmer hängen Bilder von der Verstorbenen. Sie zeigen eine Rentnerin mit goldener Brille. Mal fotografiert auf einem Kreuzfahrtschiff, mal mit ihrer Familie im Garten. Sie lächelt. In der Küche schwirren Fruchtfliegen. Das Thermometer am weißen Küchenschrank zeigt 30 Grad. Hofmann reißt das Fenster auf, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Der erste blaue Plastiksack ist fast voll: darin verdorbenes Obst und Gemüse. Auf dem Ceranherd steht eine unbenutzte Kassenrolle, in der Spüle ein schmutziger Teller mit einer Gabel. Die Arbeitsflächen sind vollgestellt: Fritteuse, zwei Kaffeemaschinen, leere Plastikflaschen und eine Packung Nürnberger Lebkuchen.
„Scheiße", flucht Hofmann. Der Tatortreiniger kniet auf dem beigen PVC-Boden, starrt in den offenen Kühlschrank. „Wie kann man nur so viel Kram haben." Zweite Plastiktüte voll. „Die Entsorgung von Lebensmitteln ist wichtig, damit sich keine Insekten oder Schädlinge bilden. Eigentlich ist es nicht mein Job, aber auf Wunsch der Angehörigen mache ich das", erklärt er. Letzter Kontrollblick in die Schränke. Dann ist der 25-Jährige mit der Küche fertig. Die Säcke stellt er in den Hausflur.
Der Umgang mit den Angehörigen ist am SchwierigstenDer Sohn von Hildegard F. ist gekommen. Er hockt mit gesenktem Kopf auf der Treppe. Ein Zwei-Meter-Riese, schlank, blondes, lichtes Haar. Vor einer Woche fand er seine Mutter leblos im Bett. Sie war bereits seit 14 Tagen tot. „Alles in Ordnung?", fragt der Tatortreiniger mit leiser Stimme. „Der Tod kam unverhofft", sagt der Mann. Seine Mutter sei erst 68 Jahre als gewesen. Bis zum Schluss hätte sie ihre Einkäufe in den sechsten Stock getragen. Hofmann hört zu, nickt verständnisvoll - auch das gehört zu seinem Job. Als er dem Sohn anbietet, kurz mit in die Wohnung zu kommen, lehnt der ab. Er wolle lieber warten, bis alles sauber sei.
Patrick Hofmann hatte auch schon Einsätze, wo Angehörige bei der Reinigung mit dabei sein wollten: „Das ist Selbstüberschätzung. Sobald Hinterbliebene Blutspritzer sehen, drehen sie durch. Die verkraften das psychisch einfach nicht. Mit meinem Job helfe ich den Leuten", sagt er und geht wieder in die Wohnung.
Der Geruch des TodesAus dem Schlafzimmer kommt ein beißender, süßlicher Gestank, der das Atmen erschwert. „Ein Kumpel hat mir mal gesagt, das riecht wie zwei Wochen alte Socken", sagt Hofmann, während er Kissen und Bettdecke entsorgt. Auf dem weißen Laken offenbart sich dann die Geruchsquelle. Zwei große, dunkelbraune Pfützen Körperflüssigkeiten: ein bisschen Blut, hauptsächlich aber Urin und Fäkalien. Runter damit. „Mein erster Tatort war ähnlich, auch Organversagen. Aber die Person war im Todeskampf noch aus dem Bett gestiegen. Die Leiche lag dann blutüberströmt im Bad", erzählt er und zieht einen XXL-Plastiksack über die Matratze.
Auch das Lattenrost ist mit einer gelben, breiigen Flüssigkeit überzogen. „Scheiße, durchgesifft", murmelt der 25-Jährige. Die Matratze und drei weitere volle Säcke stellt Hofmann vor die Wohnungstür. Nach und nach stapelt er den Müll in den Ein-mal-ein-Meter kleinen Fahrstuhl. Hofmann quetscht sich mit hinein, die Tür schließt knapp vor seiner Nasenspitze. In seinem Lieferwagen wird alles zwischengelagert. Später entsorgt er es im Müllverbrennungswerk.
Die Ausbildung zum Tatortreiniger boomtDie Firma Heistermann hat zurzeit fünf Tatortreiniger im Einsatz. „Anfang August kamen fünf neun Auszubildende dazu, darunter zwei Frauen", erzählt Hofmanns Chef Christian Heistermann. Seit 2007 bildet er seine Azubis auf diesem Gebiet aus. „Wir sind ein Unikum in Berlin. Über mangelnden Nachwuchs kann ich mich nicht beklagen", sagt der 45-Jährige. Für Außenstehende scheint die Arbeit des Tatortreinigers makaber, auch Patrick Hofmann musste sich erst mit seinem Beruf arrangieren.
„Reich werde ich nicht, aber ich kann gut davon leben. Viel wichtiger ist für mich, dass ich etwas Gutes tue. Ich löse den letzten Ort eines Menschen auf, chemisch und physikalisch", erzählt er. Mittlerweile arbeiten seine Freundin und ein Kumpel auf Mini-Job-Basis bei der gleichen Firma. Eine Tatortreinigung kostet je nach Aufwand und Arbeitsweg zwischen 125 Euro und 400 Euro.
Der „saubere Abgang"Der Fahrstuhl macht Bing. Patrick Hofmann steigt aus. Den weißen Ganzkörperanzug lässt er im Auto. In der rechten Hand trägt er einen Kanister mit Geruchsneutralisierer und in der Linken eine leere Sprühflasche. Im Bad von Hildegard F. mischt er die rosa Flüssigkeit mit Wasser. Er öffnet alle Fenster. Durchzug. Leichengeruch. „Es ist einfach ein penetranter Gestank, der sich vor allem in Kleidung und Nase festsetzt. Das löst einen extremen Waschzwang aus."
Hofmann besprüht jeden Raum viermal. Möbel, Gardinen, Teppiche, Wände, Türen - die farblose Flüssigkeit hinterlässt überall hässliche Schlieren. Dafür riecht es in der Wohnung jetzt nach frisch gewaschener Wäsche. Nach knapp zwei Stunden ist Patrick Hofmann mit der Reinigung fertig. „Die Rechnung schicke ich Ihnen zu", sagt er und übergibt den Schlüssel an den Sohn. Er wird die Wohnung in den nächsten Tagen entrümpeln und renovieren. Vor dem Haus zündet sich Hofmann eine Zigarette an und nimmt einige tiefe Züge. „Jetzt geht es noch schnell zur Müllverbrennungsanlage und dann ist für heute Feierabend."