Potsdam - Elias (6) und Mohamed (4) wurden entführt, missbraucht, gequält und getötet. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat das Landgericht Potsdam am Dienstag das Urteil gegen Silvio S. gesprochen: Schuldig des Mordes an beiden Kindern!
Das Gericht um den Vorsitzenden Richter Theodor Horstkötter sieht es als erwiesen an, dass der Wachmann aus Kaltenborn (Brandenburg) vergangenes Jahr die beiden Kinder entführt und umgebracht hat, um seine Straftaten zu verdecken.
Das Gericht hat die besondere Schwere der Schuld festgestellt, eine anschließende Sicherungsverwahrung für S. - wie von der Anklage und Nebenklage verlangt - ist jedoch nicht vorgesehen.Das Urteil entspricht damit weitestgehend der Forderung der Staatsanwaltschaft („Bestie in Menschengestalt") und der Anwälte der Hinterbliebenen.
Mohameds Mutter stürmt auf Mörder ihres Kindes zu Die Familien der ermordeten Kinder waren am Dienstag im Saal. Für Mohameds Mutter Aldijana J. (29) übersetzte ein Dolmetscher.Neben der Freiheitsstrafe muss der 33-Jährige 20 000 Euro Schmerzensgeld an Mohameds Mutter zahlen, die als Nebenklägerin im Prozess auftrat.
Mitten in der Urteilsverkündung ist es zu einem Zwischenfall gekommen: Die Mutter des vierjährigen Opfers Mohamed, Aldijana J. (29) stand während der detaillierten Schilderung des Missbrauchs und der Todesumstände ihres Kindes plötzlich auf und begann, den Angeklagten zu beschimpfen. Sie schrie: „Was hast du mit meinem Kind gemacht? Du bist ein Arschloch, ich mache mit dir, was du mit meinem Kind gemacht hast!" Mehrere Justizbeamte gingen sofort in Stellung. Begleiter hielten Mohameds Mutter fest und führten sie behutsam aus dem Saal. Silvio S. wischt sich die Augen. Die Urteilsbegründung Silvio S. ist an diesem Morgen blass, aber ruhig, als der Richter spricht. Bei der Urteilsbegründung schüttelt er immer wieder mit dem Kopf, reibt sich die Augen. Richter Horstkötter dankt zunächst allen ermittelnden Kripo-Beamten aus Berlin und Brandenburg und den ehrenamtlichen Helfern aus Potsdam, die bei der Suche nach Elias halfen. Der Richter sagte: „Es macht keinen Sinn, einen, sogar zwei Menschen zu töten". Zur Begründung sagt er: „Sie haben zwei Kinder entführt, ihrer Freiheit beraubt, sexuell missbraucht und vorsätzlich in der Absicht getötet, die vorausgegangenen Straftaten zu verdecken".► Die besondere Schwere der Schuld begründet der Richter so: S. habe die Taten vorbereitet und rücksichtslos ausgeführt. Beiden Kindern sei im wahrsten Sinne ihre Unschuld geraubt worden. Die Jungen hätten Todesängste ausgestanden und seien sexuell - über Stunden hinweg - erniedrigt worden. Seine sexuelle Befriedigung stellte Silvio S. über alles, löschte dafür zwei Menschenleben aus.
► Der Richter zeichnet außerdem das Leben des Verurteilten nach, geht auf dessen Außenseiterposition ein: „Sie fühlten sich als Depp, dumm minderwertig". S. habe nie Akzeptanz erfahren, sei verschlossen gewesen und habe massive Kritik und Kontrolle durch den Vater erlebt, aber nie aufbegehrt. Sein Leben sei einsam und ohne Freude gewesen.
Warum keine Sicherungsverwahrung? Voraussetzung für eine anschließende Sicherungsverwahrung ist der Hang des Täters, schwerste Gewalttaten zu begehen und eine sogenannte Gefährlichkeitsprognose.► Laut Richter kam der Psycho-Gutachter Dr. Lammel im Prozess nicht zu dem Ergebnis, dass bei Silvio S. ein erforderlicher Hang besteht, dass er vergleichbare Straftaten in Zukunft wieder begehen wird - seine Ausführungen seien nachvollziehbar gewesen. Der Gesetzgeber verlange mindestens zwei schwerste Straftaten für eine Sicherungsverwahrung, die im Fall von Silvio S. vorliegen.
Aber: „Der Psychiater kommt bei wissenschaftlicher Herangehensweise nicht zu dem Ergebnis, dass man hier von einem Hang ausgehen kann." Es sei kein krankhafter Zustand feststellbar.
Weiter führte der Richter am Dienstag aus: „Wir müssen mit jetzigem Wissen eine Gefährlichkeitsprognose vornehmen". Jedoch sei beim Täter nicht feststellbar, dass er in Zukunft gefährlich für die Allgemeinheit sein könnte.
Es sei zwar möglich, dass zukünftig ähnliche Taten begangen werden, aber nicht hinreichend wahrscheinlich. Die bloße Möglichkeit reiche nach ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht aus.Außerdem sei die Persönlichkeitsstörung des Mörders unter Therapie im Strafvollzug „korrigierbar".
Aus diesen Gründen „haben wir von Sicherungsverwahrung Abstand genommen", so der Richter.
Elias' Mutter Anita S. (26) saß nach dem Verschwinden ihres Kindes vier Wochen lang im Rollstuhl, geht heute noch an Krücken - sie verließ den Gerichtssaal vor der Verkündung.► Zum Fall Elias sagt der Richter am Dienstag, S. sei „gezielt in das Wohngebiet nach Potsdam gefahren, um ein Kind in seine Gewalt zu bringen, sexuell zu missbrauchen und es zu töten, damit die Straftaten nicht entdeckt werden."
„Sie sprachen ihn an, lockten ihn mit einem Vorwand zum Auto. Er saß auf dem Rücksitz, Sie fuhren davon. Zu einem abgelegenen, unbekannten Ort, wo Sie sich unbeobachtet und ungestört fühlten. Elias erkannte, dass Sie nichts Gutes vorhatten. Er weinte. Schrie nach seiner Mutter, bettelte. All das ließ Sie unbeeindruckt. Sie setzten weiter ihren Plan um, sich sexuell zu befriedigen. Betäubten ihn mit Chloroform, fesselten ihn". Wieder werden die grausamen Details der gewaltsamen Taten an dem Sechsjährigen vorgetragen. Die letzten Worte von Silvio S.Der 33 Jahre alte Angeklagte hatte im Verfahren zu den Vorwürfen geschwiegen und sich erst ganz am Ende mit einer kurzen Erklärung an die Hinterbliebenen gewandt. „Es gibt kein Wort auf der Welt, das beschreiben könnte, wie leid es mir tut. Wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich es tun. Ich selbst aber kann mir das nicht verzeihen." Konkrete Angaben zu den Vorwürfen machte er nicht.
Voll schuldfähig, nicht pädophilDer Wachmann ist nach Angaben eines psychiatrischen Gutachters voll schuldfähig. Obwohl ein Handyvideo vom Telefon des 33-Jährigen den Missbrauch des vierjährigen Mohamed zeigt, ist der Mann nach Einschätzung des Psychiaters nicht pädophil. Für so eine Neigung gebe es keinen sicheren Hinweis. „Ich bin der Überzeugung, dass Kinder als Opfer ausgewählt wurden, weil sie leichter mitzunehmen und körperlich besser beherrschbar sind", sagte der Gutachter. Er stütze sich auf ein Gespräch mit dem Angeklagten und auf Schilderungen des Umfeldes.
Die Fälle Elias und Mohamed
► Silvio S. soll Elias am 8. Juli 2015 in sein Auto gelockt haben, als der Sechsjährige vor dem Wohnhaus seiner Familie spielte. Über seine letzten Stunden ist so gut wie nichts bekannt. Trotz mehrerer Aufforderungen des Gerichts verriet Silvio S. keine Details.
Elias starb nach Ansicht eines Gerichtsmediziners durch „gewaltsames Ersticken". Möglicherweise sei er erstickt, nachdem ihm eine Art Halskrause, ein Knebel und eine Latexmaske um den Kopf gelegt worden seien.Solches Zubehör war bei Silvio S. gefunden worden, daran waren DNA-Spuren von Elias. Das Erscheinungsbild des toten Kindes wies laut dem Sachverständigen eindeutig auf schweren Missbrauch hin. Die Leiche von Elias verscharrte er im Schrebergarten.
► Den vierjährigen Mohamed soll Silvio S. im Oktober am Landesamt für Gesundheit und Soziales mitgenommen, zu seiner Wohnung gefahren und missbraucht haben. Als das Kind dann nach Stunden gequengelt habe, soll der 33-Jährige den Jungen stranguliert haben. Laut seinen Schilderungen bei der Polizei geschah dies, weil Silvio S. Angst hatte, dass sein Vater von der Kindesentführung Wind bekommen könnte. Außerdem habe er zu seiner Arbeit fahren müssen und nicht gewusst, wohin mit dem Kind. Nach der Tat versteckte er die Leiche von Mohamed unter Katzenstreu in einer Plastikwanne.
Die Ermittler kamen S. auf die Spur, weil seine eigene Mutter ihn auf dem Fahndungsbild aus einer Überwachungskamera erkannte - Silvio S. ist darauf zu sehen, wie er Mohamed vom Gelände des LaGeSo führt. Schockierende Details
► Seit Prozessbeginn hatten Polizisten immer wieder schreckliche Details ausgesagt: Im Haus von Silvio S. wurden diverse Masken, Knebel und SM-Zubehör sowie Hunderte aus Zeitungen ausgeschnittene Kinderköpfe gefunden, daneben handschriftliche Notizen wie „Junge Mädchen Messer". Außerdem wurde Videomaterial sichergestellt, auf dem Silvio S. beim Sex mit einer Puppe zu sehen sein soll.
Insgesamt kaufte S. in zwei Jahren bei Ebay 113 Utensilien wie lebensgroße Puppen, Masken und Sex-Spielzeug. In den bisherigen Prozesstagen wurden die Folter-Werkzeuge und bizarren Puppen des 33-Jährigen, an denen er den Missbrauch übte, dem Gericht präsentiert. Auch die gelbe Plastikwanne, in der S. die Leiche von Mohamed aufbewahrt haben soll, stand im Saal. Allein 1546 DNA-Spuren haben Ermittler im Fall des Kindermörders ausgewertet.
Staatsanwaltschaft prüft weitere FälleBereits Anfang Juli war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam weitere Opfer befürchtet und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat - nach der Verurteilung von Silvio S. sollen weitere Fälle vermisster und getöteter Kinder geprüft werden. Dafür soll ein Bewegungsprofil von S. erstellt und mit Vermisstenfällen deutschlandweit abgeglichen werden.