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„Kultur auf dem Prüfstand“

Immer häufiger denken klamme Kommunen an den Verkauf von Kunstwerken. Ein Lagebericht in Zeiten Not leidender Haushalte am Beispiel der nordrhein-westfälischen Städte Bergisch Gladbach und Leverkusen.

18 Millionen Euro fehlen der Stadt Bergisch Gladbach in diesem Jahr und der Bürgermeister (CDU) redet Tacheles mit seiner Regierungsmannschaft. „Wir haben kaum mehr Spielraum für Kreativität. Wir brauchen Mut“, beschwor Lutz Urbach die Ratsmitglieder zu Beginn der Haushaltsberatungen für das Jahr 2015 und bat sie „in den Fraktionen auch Tabuthemen zu diskutieren“. „Wollen wir alle Einrichtungen erhalten? Können wir uns das leisten? Müssen wir Aufgabenkritik betreiben und uns von freiwilligen Leistungen verabschieden, auch wenn uns das langfristig einen ideellen Schaden zufügt?

CDU und SPD, die in Bergisch Gladbach gemeinsam regieren, haben einen Arbeitskreis gebildet, der am 24. Februar 2015 zum ersten Mal berät. „Wir wollen uns ein Bild von der Lage jeder einzelnen Einrichtung machen. Erst dann können wir sagen, in welche Richtung wir gehen wollen“, sagt Birgit Bischoff, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion in der Stadt.

Illusionen macht sich in Bergisch Gladbach keiner. „Es steht eine Umstrukturierung bevor“, stellt auch Bischoff nüchtern fest. „Alle Einrichtungen laufen auf der letzten Rille.“ Auch Ratsmitglied Gerhard Neu (SPD), der dem Ausschuss für Bildung, Kultur, Schule und Sport vorsitzt, glaubt, dass die Kulturinstitutionen nicht mehr in dieser Vielfalt auf Dauer erhalten werden können. „600.000 Euro fehlen uns jedes Jahr, um allein die Villa Zanders und den Bergischen Löwen zu erhalten. Das Geld haben wir noch nicht. Wir denken darüber nach, Geld für ein Gutachten auszugeben.“

Die bergische Kreisstadt unterhält eine Stadtbibliothek, eine Musikschule und neben dem Bürgerhaus Bergischer Löwe allein drei Museen: das Bergische Museum, das Schulmuseum und als Herzstück das Kunstmuseum Villa Zanders, die Nabelschnur, die Bergisch Gladbach mit seiner einstmals bedeutenden Papierindustrie verbindet. Hier ist nicht nur eine künstlerische Spezialsammlung rund um das Thema Papier zuhause, die weltweit zu den umfangreichsten zählt, sondern auch ein von der Fabrikantenfamilie Zanders begründeter Bestand an Malerei der Düsseldorfer Malerschule neben weiteren Sammlungskomplexen, die von kunstsinnigen Bürgern gestiftet wurden. Es ist das einzige Kunstmuseum im Rheinisch Bergischen und Oberbergischen Kreis.

Mehr als 14.000 Besucher registriert Petra Oelschlägel jährlich in dem von ihr geleiteten Museum Villa Zanders, das mit seinem ambitionierten Wechselausstellungs- und Veranstaltungsprogramm inzwischen auch überregional wahrgenommen wird. Dazu kommen noch einmal rund 6.000 Besucher, die außerhalb der Öffnungszeiten das noble, mit Malerei des 19. Jahrhunderts ausgestattete Erdgeschoss für Trauungen oder private Feiern aufsuchen. Doch nicht alle Bürger wissen das von einem engagierten Freundeskreis mit auf die Beine gestellte Angebot, das sich auch an die jüngsten Bürger der Stadt richtet, zu schätzen. Es gibt einzelne Stimmen, die fordern, aus der gründerzeitlichen Villa ein Hotel zu machen.

Ortswechsel. Ähnlich geartete Vorschläge wurden auch bereits in der benachbarten Stadt Leverkusen laut, und das nicht erst seit Kurzem, ist von der kulturpolitischen Sprecherin der SPD, Heike Bunde, zu erfahren. Bürgermeister Bernhard Marewski (CDU) spricht von „ausgesprochen populistischen Forderungen“. Im Kulturausschuss der Kommune, die mit einem Nothaushalt wirtschaften muss, wurde vor 14 Tagen sogar darüber diskutiert, ob die Stadt etwa im Falle einer Pleite auch ihre Kunst verkaufen müsste.

Den Anlass lieferte die Forderung, Gerhard Richters wertvolles „Tiger“-Gemälde aus der Museumssammlung, das wegen seiner hohen Versicherungskosten derzeit als Leihgabe in der Sparkasse hängt, zu verkaufen oder einem anderen Museum auszuleihen. Den Antrag hatte die „Bürgerliste Leverkusen“ im November 2014 gestellt, die mit vier Sitzen im Stadtrat vertreten ist. Rund zwei Monate später ließ Bunde „Zur Optimierung der Potenziale der KulturStadt Leverkusen und des Museum Schloss Morsbroich“ nach einem Inventarverzeichnis über sämtliche im Besitz der Stadt Leverkusen befindliche Kunstwerke, nach dem Versicherungswert, dem aktuellen Stand der Ausleihen und den zurzeit nicht öffentlich ausgestellten Werken fragen.

Auf Handelsblatt-Nachfrage wehrt sie ab:. „Um Gottes Willen. Wir sind verantwortlich für das Erbe der Stadt. Es gibt andere Möglichkeiten, den Haushalt zu sanieren“, erklärte Bunde mit Blick auf die SPD-Anfrage. Im Übrigen sei der Antrag der Bürgerliste im Kulturausschuss mit allen Stimmen bei einer Enthaltung (durch den Antragsteller) abgelehnt worden. Auch das Museum soll „auf keinen Fall“ abgewickelt werden. „Es ist ein Gesamtkunstwerk“. Mit ihm würden sich die Leverkusener identifizieren. Die Frage stelle sich aber – ähnlich wie in Bergisch Gladbach – „wie können wir Kunst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen?“

Auch Monika Ballin-Meyer-Ahrens, kulturpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, bekräftigt, dass es für einen Kunstverkauf keine Mehrheit gebe. „Das Tafelsilber kann man nur einmal verhökern, dann ist es weg.“ Museumsdirektor Markus Heinzelmann, der im Kulturausschuss die Politik seines Hauses erläuterte, warnt davor, als „unzuverlässiger Partner im Umgang mit öffentlichem Kunstbesitz“ eingestuft zu werden. Schenkungen würden ausfallen, Drittmittel, die in der Vergangenheit einen hohen Anteil an der Finanzierung von Ausstellungen eingenommen haben, könnten nicht mehr generiert werden.

Im Übrigen gibt es laut Heinzelmann zum Verkauf von Museumsgütern aus öffentlichem Besitz in Deutschland „keinen Präzedenzfall“. „Wir bewegen uns auf sehr weichem Gelände.“ Denn es existiere keine juristisch verbindliche Regelung, die einen Verkauf von Kunstwerken aus öffentlichem Besitz regeln oder verbieten würde – der internationalen ICOM-Konvention (International Council of Museums) zum Trotz. Ihr zufolge dürfen Museumssammlungen, die für die Öffentlichkeit treuhänderisch verwaltet werden, nicht als Aktivvermögen behandelt werden, erläuterte Heinzelmann vor den Kulturpolitikern Leverkusens. Gelder, die durch die Veräußerung von Werken aus Museen erlangt würden, seien ausschließlich zum Nutzen der Sammlungen – im Regelfall für Neuerwerbungen – zu verwenden.

Seit den Warhol-Verkäufen durch die landeseigene Casinogesellschaft Westspiel hat sich das politische Klima für die Kunst in Nordrhein-Westfalen erheblich verschlechtert. Auch zur Kunstsammlung der ehemaligen West LB kamen von der Landesregierung zunächst nur negative (Verkaufs)-Signale. Was sollen davon die vielen NRW-Kommunen halten, die unter überproportional gewachsenen Pflichtaufgaben ächzen? Bergisch Gladbach, das mit Haushaltssicherungskonzept regiert, und Leverkusen mit seinem Nothaushalt – sie sind nicht die einzigen Städte, die ihre freiwillige Kulturarbeit auf den Prüfstand stellen. Erinnert
sei auch an die mit mehr als drei Milliarden Euro verschuldete Stadt Essen, die bereits 2007 ihre bedeutende Kunstkollektion mit rund 250 Millionen Euro als Aktivvermögen in die städtische Bilanz aufgenommen hat.