*Eine Sendung von Christian Erll*
Ein grauer Morgen in Enge-Sande in Nordfriesland, etwa 30 Kilometer von der dänischen Grenze entfernt. Am Rande eines ehemaligen Militärgeländes führt Stephan Sladek, technischer Leiter des Rechenzentrumsanbieters Windcloud, in das Herzstück seines Unternehmens.
In dem spärlich beleuchteten Raum stehen sich zwei Reihen Metallschränke gegenüber - zehn auf jeder Seite. Darin blinken übereinander angeordnete Server und pusten warme, trockene Luft in den schmalen Gang an ihrer Rückseite. Sladek bleibt hinter einem der Schränke stehen, in dem die Lüfter von fast zwei Dutzend Einheiten wirbeln:
Fünf bis sechs Tausend Watt – viel Strom, der da auf einer Fläche von nicht mal einem Quadratmeter in der Elektronik verbraucht wird. Teile der Hardware betreibt Sladeks Unternehmen selbst und bietet darauf so genannte Cloud-Dienstleistungen an. Beispielsweise mittelständische Unternehmen und Behörden aus der Region speichern und versenden hierüber ihre Daten.
In anderen Schränken steckt von Kunden mitgebrachte Technik, die darauf eigene Dienste bereitstellen oder ihre Daten sichern.
Alle Server zusammengenommen kommen auf eine Leistung von 30 Kilowatt, sagt Sladek. In nur einer Stunde verbraucht die Technik in diesem Raum damit so viel wie etwa zehn deutsche Durchschnittshaushalte im ganzen Jahr. Windcloud bezieht für den Betrieb regenerativen Strom von einem regionalen Anbieter, der ebenfalls auf dem alten Bunker-Areal in Enge-Sande sitzt, das jetzt GreenTec-Campus heißt und einige Unternehmen aus der Wind-, Solar- und Elektromobilitätsbranche beherbergt.
Völlig autark vom Stromnetz gehe es noch nicht. Aber die Energie in der Region sei ohnehin immer 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen, sagt Sladek – aus Wind und Biomasse. Stünden die Server hingegen in der Lausitz, käme der Strom zwangsläufig aus den Kohlekraftwerken dort.
„Für den Fall, dass tatsächlich mal längere Zeit Dunkelflaute herrscht, müssen wir ja den Strom aus dem Netz ziehen. Dann kriegen wir ihn gegebenenfalls aus einer Offshore-Windkraftanlage, die 20 km vor Sylt steht und nicht hier direkt vom Campus, aber wir kriegen trotzdem halt diesen grünen Strom, weil wir in einer Region sind, wo immer nur grüner Strom da ist.“
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als das doppelte an Strom will Windcloud in Zukunft noch beziehen.
Das Gebäude ist für eine Auslastung mit 80 bis 100 Kilowatt
dauerhafter Leistung geplant. Was jedoch für Endverbraucher nach
viel klingt, ist in Rechenzentrums-Dimensionen eine kleine Nummer.
Die meisten Datacenter in Deutschland sind deutlich größer. Und der
Markt wächst rasant.
Schon jetzt verbrauchen die Rechenzentren in Deutschland etwa drei Prozent des Stroms. Mehr als ganz Berlin, sagt Ralph Hintemann, der am Borderstep Institut zum Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit forscht. Allerdings fehlen auch ihm genaue Daten:
Es gibt keine offiziellen Zahlen, wie viele Rechenzentren an Energie verbrauchen.
Wir versuchen, über Serververkäufe, wo wir Zahlen erheben, irgendwo rauszurechnen: Wie hoch ist der Energieverbrauch und wie hoch sind die Treibhausgasemissionen der Rechenzentren? Aber wir wissen es nicht mal ganz genau und da können wir natürlich deutlich besser werden.“
Aus Befragungen von Rechenzentrumsbetreibern wissen die Forscher*innen um Hintemann, dass sie 2022 allein in Serverhardware sieben Milliarden Euro investieren wollten. Hauptaugenmerk: Die Cloud. Das Borderstep Institut prognostiziert deshalb, dass Cloud-IT spätestens 2025 mehr als die Hälfte der Rechenzentrums-Kapazitäten in Deutschland? ausmachen wird. Aktuell ist es noch ein Drittel.
Ob Online-Backup von Daten, Aktien-Handel oder Videokonferenzen und -Streaming. Immer mehr Daten werden online in der Cloud gespeichert – von Privatanwendern wie Unternehmen. Auch jede Anfrage an eine Suchmaschine wird auf irgendeinem Server in einem Rechenzentrum beantwortet. Und jedes online geteilte Dokument in einen virtuellen Ordner gespeichert, der irgendwo in einem Serverrack steckt. Sind Rechenzentren also Teil der Lösung oder Teil des Problems?
Das heißt, wo Cloud-Dienstleistungen da sind, wo sie leicht verfügbar sind, werden sie eben auch übermäßig in Anspruch genommen.“
Das sagt Jens Gröger. Er ist Wissenschaftler am Öko-Institut für nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnik. Er forscht zu Bewertungsmethoden, Umweltauswirkungen und dem CO2-Fußabdruck von Cloud-IT. Zwar könne ein einziger Cloud-Server mehrere ähnlich große Rechner ersetzen, die sonst in Unternehmen oder bei Behörden stehen und dort mehr Strom verbrauchen würden, weil sie häufiger im Leerlauf wären. Aber aktuell fresse die steigende Nutzung alle Effizienzgewinne auf:
„Und ich meine, gerade bei Videotelefonie sehen wir das ja, das stimmt zwar, dass da die Flugreise vielleicht eingespart wird, aber dafür rennen jetzt alle Leute draußen mit ihrem Handy vor dem Gesicht herum und machen Videotelefonie auf der Straße. Wo sie davor vielleicht eine WhatsApp-Nachricht oder sowas geschickt hätten. Das heißt, wenn so ein Dienst angeboten wird, Videotelefonie beliebig großes Datenvolumen auf dem Handy, dann wird sowas natürlich in Anspruch genommen und da wird überhaupt keine Flugreise damit eingespart, sondern wird eben eine WhatsApp-Nachricht eingespart.“
Ein so genannter Rebound-Effekt. Obwohl es einerseits Einsparungen gibt, erhöht sich der Gesamt-Stromverbrauch, weil an anderer Stelle mehr verbraucht wird. Gleichzeitig ist Strom der größte Hebel, mit dem Rechenzentren klimafreundlicher werden könnten, sagt Ralph Hintemann vom Borderstep Institut:
„Also wenn man sich anschaut, wie die Umweltwirkungen von Rechenzentren sind, dann ist die Hauptumweltwirkung halt durch den Stromverbrauch der Rechenzentren bedingt. Und da ist es schon sehr wichtig, wie dieser Strom produziert wird.“
Das heißt konkret: Der Strom sollte möglichst grün sein. Für Unternehmen wie Windcloud im Norden Deutschlands ist die Versorgung mit Öko-Strom einfach. Die Off- und Onshore-Windanlagen produzieren eher zu viel regenerative Energie und müssen gelegentlich sogar gedrosselt werden, weil die lokalen Netze sonst überlastet würden.
Und die Lage im hohen Norden hat noch einen weiteren positiven Effekt: Weil es hier kühler ist, als in anderen Regionen Deutschlands, verbraucht auch die Kühlung der Serverschränke weniger Energie.
Der
überwiegende Teil an Rechenzentren steht aber nicht dort, wo Wind
und Wetter viel Strom und kühle Luft produzieren. Sondern in der
Region Frankfurt. Dort befindet sich der so genannte De-Cix, der deutsche Knotenpunkt zu den weltweiten
Datenautobahnen. Doch auch die Rechenzentrumsbetreiber hier werden
vielleicht schon bald ihre Server klimafreundlicher betreiben müssen.
Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag dieses Ziel formuliert.
Neue Rechenzenren sollen ab 2027 sogar klimaneutral sein.
Ein erster Entwurf für ein Energieeffizienzgesetz aus dem Bundeswirtschaftsministerium gelangte vergangenen Herbst an die Öffentlichkeit. Die gesamte Branche reagierte ungehalten:
Günter Eggers ist Sprecher des Arbeitskreises Rechenzentren beim Digitalverband bitkom und Vorstand der Allianz für digitale Infrastrukturen, ein Zusammenschluss aus Rechenzentrumsbetreibern und weiteren Unternehmen aus IT und Internetwirtschaft. Ein zentraler Kritikpunkt von Eggers und seinen Mitstreiter*innen: Die im Energieeffizienzgesetz angedachten Vorschriften zur Abwärmenutzung:
Sie formulierten eine Nachweispflicht für Betreiber, dass sie 40 Prozent der Abwärme, die in Rechenzentren reichlich entsteht, weitergeben.
Bei Windcloud in Enge-Sande geschieht das schon. Hier sorgt die Abwärme aus dem Serverraum dafür, dass ein Stockwerk über dem Serverraum Algen wachsen können. Am wohlsten fühlen sie sich bei Temperaturen um 30 Grad. Genau die Temperatur, die hinter den Servern herrscht. Die Gebäudetechnik verteilt die Luft durch von der Decke hängende Schläuche gleichmäßig in den zweiten Stock, eine Art großes Gewächshaus. In der Mitte des Raumes ein etwa zehn mal fünf Meter großes Wasserbecken, durch das eine Art großer automatischer Rechen auf und ab fährt und Luft in das knöcheltiefe, grünblaue Wasser bläst.
Die Schlieren, die sich auf der Oberfläche bilden, sind Algenkolonien der Sorte Spirulina, die regelmäßig abgeschöpft werden sollen, sagt Sladek:
„Also, gedacht ist es so, dass die Ernte das ganze Jahr überläuft. Im Sommer soll man teilweise sogar zweimal die Woche ernten.
Und im Herbst und Winter einmal die Woche.“
Die Algen können als Nahrungsergänzung, Farbstofflieferant für Lebensmittel, Hundefutter und in der Kosmetik eingesetzt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie CO2 binden und sonst teilweise aus Südostasien importiert. Auch so trügen sie zur Klimaneutralität bei.
Momentan herrschen allerdings nur knapp unter 20 Grad. Ein echtes Business ist die Methode noch nicht.
„Letztendlich ist es ja eine Versuchsanlage, es ist ja jetzt kein industrieller Maßstab oder jetzt ein agrarwirtschaftlicher Maßstab. Wir wollten ja zeigen, dass das geht, dass man vielleicht auch an anderen Stellen, wo mehr Abwärme anfällt, dann gegebenenfalls diese Algen züchtet.“
Algenzüchtung in großem Maßstab dürfte wohl auch nicht das sein, was sich Bundeswirtschafts- und energieminister Robert Habeck mit dem Entwurf zum neuen Energieeffizienzgesetzes vorstellt.
Wozu also kann Abwärme
noch genutzt werden?
In anderen Rechenzentren wird sie teilweise schon recycelt, um Schwimmbäder oder auch Wohngebäude mit Fernwärme zu beheizen. In Frankfurt entsteht gerade ein ganzes Viertel, dessen 1300 Wohnungen zu mindestens 60 Prozent mit der Abwärme eines Rechenzentrums versorgt werden sollen.
Allerdings bedeuten die Vorgaben aus dem bisherigen Gesetzentwurf, dass im Winter nahezu die komplette Wärme eines Rechenzentrums abgegeben werden müsse, sagt Günter Eggers von der Allianz für digitale Infrastruktur. Im Sommer gebe es hingegen kaum Bedarf für die Wärme, die die Rechenzentrum auch dann produzieren. Auf große Rechenzentrumsanbieter seien Modelle wie bei Windcloud deshalb nicht übertragbar:
„Große Rechenzentren bieten einfach viel mehr Wärme an, als von solchen Verbrauchern sinnvoll genutzt werden kann. Das geht hier bis hin zu den Kommunen, die heute teilweise Rechenzentren in ihrer Region haben, die mehr Wärme anbieten könnten, als die Kommune selbst verbraucht.“
Grundsätzlich produzieren Rechenzentren also genug Abwärme, um damit ganze Nachbarschaften zu heizen. Doch selbst wo genügend Abnehmer sind, müssten Anschlussmöglichkeiten erst geschaffen werden, damit die Wärme von den Rechenzentren in die Wohnungen gelangen könne. Alte Fernwärme-Netze sind dafür schlecht geeignet, weil sie bei über hundert Grad arbeiten und die Serverluft höchstens 30 Grad erreicht. Hinzu kommen weitere Zielkonflikte, so Eggers:
„Die Wärmenetze gibt es da, wo Menschen wohnen, ja, in den großen Städten und eigentlich wollen wir nicht in den großen Städten Rechenzentren bauen – in der Mitte von Berlin, in der Mitte von Frankfurt, in der Mitte von München und Hamburg. Da gibt es sehr viel bessere Möglichkeiten, den Platz, der da vorhanden ist, zu nutzen. Aber das wäre die ideale Konstellation für Abwärmennutzung, wäre aber eine denkbar ungünstige Konstellation für Sicherheit, für den Betrieb von Kälteanlagen, für den Betrieb von Dieselgeneratoren und so weiter. Die will man schlicht auch nicht in der Nachbarschaft von Wohnbebauung haben.“
Bei einem Stromausfall in einem Rechenzentrum kommt der Notstrom von Diesel-Generatoren, die dann jederzeit anspringen können. Sicher kein beliebtes Geräusch in der Nachbarschaft.
Wärmerecyling sei, wo möglich, erstrebenswert. Werde es hingegen zur Voraussetzung, würde das viele neue Standorte für Rechenzentren ausschließen. Weil Rechenzentrumsbetreiber immer auch gleich die Abnehmer ihrer Wärme parat haben müssten.
Das Wirtschaftsministerium hat nach der scharfen Kritik einen Dialog mit den Betreibern versprochen. In einer Talk-Runde mit Politikern und Vertreter*innen der Allianz für digitale Infrastrukturen Anfang März schaltete sich jedoch Anna Christmann in die Diskussion ein. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen ist vom Wirtschaftsministerium zur Beauftragten für die Digitale Wirtschaft und Start-Ups ernannt worden. Christmann beschwichtigte, das Gesetz wolle keine neuen Rechenzentren verhindern. Gleichzeitig machte sie aber deutlich: Die Bundesregierung will am grundsätzlichen Ziel festhalten, Rechenzentrumsbetreiber zu Wärmerecycling zu verpflichten.
„Diese drei Prozent des verbrauchten Stroms sind ungefähr 0,5 bis 0,6% der gesamten Energie. Das heißt also ganz unabhängig davon, wie gut oder weniger gut wir die Rechenzentren machen, wir retten die Welt damit nicht.
Ich möchte gerne möglichst viel Abwärme nutzen aus den Rechenzentren.
Aber der Wärmebedarf ist so viel größer als das, was die Rechenzentren leisten können. Das heißt also, wir werden mit den Rechenzentren an sich nur eine Ergänzung sein zu anderen Konzepten, wie beispielsweise den Wärmepumpen, die Umweltwärme nutzen, Flusswasser, Geothermie oder auch aus Abwasserkanälen.“
Grün betriebene Rechenzentren allein werden also nicht reichen. Einer Sache ist sich Jens Gröger vom Öko-Institut allerdings sicher: Die Rechenzentren-Betreiber müssen sich in Zukunft darauf einstellen, deutlich stärker reguliert zu werden, beispielsweise mehr Informationen über Energieverbrauch und Effizienz preiszugeben, als bislang:
„Das andere ist, dass Rechenzentren in der Vergangenheit unterm Radar sozusagen geflogen sind. Das heißt, man hat die mit Regulierungen oder solchen Dingen völlig in Ruhe gelassen. Deshalb sind die natürlich auch etwas verwöhnt, was das angeht, Informationen Preis zu geben.“
Potenzial zum Energiesparen gibt es auch bei der Software selbst. Green Coding heißt die Art des Programmierens, bei der möglichst energieeffizient programmiert wird. Bislang würde darauf zu wenig Wert gelegt, dabei könne das für den Energieverbrauch einen enormen Unterschied machen:
„Also wir haben tatsächlich so ein Software Sustainable Software Development durchgeführt, wo wir verschiedene Software miteinander verglichen haben. Software, die genau die gleiche Aufgabe erfüllt hat, also meinetwegen Textverabildungsprogramm, den gleichen Text geschrieben, Bilder eingefügt, Inhaltsverzeichnis. Und dann haben wir festgestellt, dass die eine Software viermal so viel Strom braucht wie die andere.“
Effizienteres und damit klimafreundlicheres Programmieren berge auch in der Cloud-IT noch Einsparpotenzial, das zu wenig beachtet werde. Denn – da sind sich Expert*innen und Branchenvertreter*innen einig: Ein Sinken des Strombedarfs von Cloud-IT ist in den nächsten Jahren nicht in Sicht. Ralph Hintemann vom Borderstep Institut:
„Dass wir mehr Digitalisierung brauchen, ist relativ klar, und das ist auch gesellschaftlicher Konsens. Also keiner sagt, ich habe jetzt eine 100 Megabit Breitbandleitung, mir reichen auch zehn, also ich möchte lieber weniger, sondern dann geht es eher darum, wie kann ich vielleicht in drei, vier Jahren noch eine deutlich schnellere Leitung bekommen. Momentan gehe ich davon aus, dass der Strombedarf der Rechenzentren auch weiter ansteigen wird in Zukunft.“
Für die Branche der Rechenzentren werden die kommenden Jahre also so gut wie sicher ein boomendes Geschäft. Wie klimafreundlich dieses Geschäftsmodell sein wird, wird auch davon abhängen, ob dem Mehr an Digitalisierung auf der einen Seite auch Effizienzgewinne gegenüberstehen werden.
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