2 subscriptions and 9 subscribers
Article

Spionage-Skandal Pegasus: Abrechnung mit Europa

Nur wenige Minuten dauert die Rede von Sophie in ´t Veld, doch die Wucht ihrer Worte dürfte bis nach Spanien, Griechenland und Ungarn zu hören sein. In all diesen Staaten wurden die Handys und Computer von oppositionellen Politiker:innen, Journalist:innen oder deren Angehörigen mit Spionagesoftware ins Visier genommen. Aus der Ferne konnte man alles überwachen, was diese Menschen auf ihren Geräten tun, selbst verschlüsselte Nachrichten mitlesen. Dahinter stecken können wohl nur Regierungen, deren Geheimdienste oder Ermittlungsbehörden - denn nur an sie verkaufen die Hersteller offiziell ihre Software.

Seit März untersucht ein Ausschuss im EU-Parlament die Skandale, die über die Monate immer zahlreicher wurden. Eigentlich arbeitet der Ausschuss noch bis ins nächste Frühjahr. Doch die verantwortliche Abgeordnete, die niederländische Liberale Sophie in ´t Veld, hat gestern schon ihren vorläufigen Abschlussbericht auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Eine überraschende Aktion - auch für viele der Ausschussmitglieder, die den Bericht laut in ´t Veld erst am selben Morgen kurzfristig erhalten hatten.

Einerseits ist es als Berichterstatterin ihre Aufgabe, einen ersten Entwurf der Arbeitsergebnisse zur Diskussion vorzulegen. Ihn ohne Diskussion der Presse vorzustellen ist hingegen gewagt, das war auch den anwesenden Journalist:innen nicht entgangen. Auf die Frage nach ihren Gründen antwortete in ´t Veld auf der Pressekonferenz erst ausweichend, dann diplomatisch: Der Ausschuss sei sehr politisiert, gelegentlich könne man in den Debatten „die Anwesenheit der Regierungen fühlen". Sie sei zuversichtlich, dass man bei den Empfehlungen am Ende einen Konsens finde. Was aber die Abschnitte zu einzelnen Ländern angeht, werde es sicher Kritik geben.

Auf Nachfrage stellt sie am Telefon klar, dass die Veröffentlichung des Berichts vor einer Diskussion ganz normal sei. Schließlich müsse der Entwurf erst in mehrere Sprachen übersetzt werden, um im Ausschuss besprochen zu werden, sie müsse sich dafür an Fristen halten. Sie habe dazu eine Pressekonferenz einberufen, weil es ohnehin Nachfragen gegeben hätte.

Im Gespräch mit einer niederländischen Zeitung war sie vor ein paar Tagen schon deutlicher geworden. Zur Begründung, warum sie ohne die Schattenberichterstatter:innen der anderen Parteien alleine an ihrem Bericht schreibe, sagte sie: „Einer davon ist der ehemalige spanische Innenminister, der die Spähsoftware selbst gekauft hat. Soll ich den zu Rate ziehen?"

Gemeint ist Juan Antonio Zoido, bis 2018 Innenminister der konservativen Regierung von Mariano Rajoy. Spanien ist eines der Länder, aus dem großangelegte Spionage bekannt geworden ist, unter anderem gegen hochrangige katalanische Politiker:innen in der Zeit nach dem Unabhängigkeitsreferendum.

„Ein System, um Bürger:innen zu unterdrücken"

Liest man die fast 160 Seiten, beginnt man zu verstehen, warum in ´t Veld Sorge hatte, dass ihr Bericht in dieser Form nicht durchgeht. Es ist eine schonungslose Abrechnung vor allem mit den vier Ländern, aus denen die größten Skandale bekannt geworden sind. In Polen und Ungarn ist Spionagesoftware demnach ein „intergrales Element" eines Systems, um regierungskritische Journalist:innen und Politiker:innen zu kontrollieren und zu unterdrücken. Das sei sehr methodisch und kein Zufall, sagt in ´t Veld.

Über Griechenland sagt sie, es sei kein „offen autoritäres System". Hier sei die Überwachung eher ein Werkzeug für spontane politische und finanzielle Vorteilnahme. In Griechenland waren die Geräte von mehreren Oppositionspolitiker:innen abgehört worden, darunter der Vorsitzende der sozialistischen Partei PASOK. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ist unter Druck, er ist in Griechenland für die Geheimdienste verantwortlich. Eine Reise des Untersuchungsausschusses vergangene Woche, an der auch in ´t Veld teilnahm, blieb annähernd ohne Erkenntnisse, weil viele Verantwortliche die Zusammenarbeit verweigerten.

Damit steht Griechenland nicht alleine da. Die meisten Staaten verweigerten unter Verweis auf „nationale Sicherheitsinteressen" die Zusammenarbeit mit dem Ausschuss, sagt in ´t Veld. Aus Mangel an Auskünften musste sich der Ausschuss für seinen Bericht daher vor allem auf öffentlich verfügbare Informationen stützen, etwa von Sicherheitsforscher:innen oder aus der Presse.

„Was mich wütend macht, ist wie die Mitgliedsstaaten kollektiv die Verantwortung von sich weisen", sagt in ´t Veld. Der europäische Rat habe erst Monate gebraucht um überhaupt auf die Fragen aus dem Ausschuss zu antworten und dann lediglich darauf verwiesen, dass es sich um nationale Angelegenheiten handele. „Wir handeln kollektiv als EU, wir liefern Waffen in die Ukraine, bestellen Impfstoffe gemeinsam. Aber Demokratie soll dann eine nationale Angelegenheit sein?"

Spionagesoftware als Gefahr für die Demokratie von ganz Europa

Trotz des Fokus auf einzelne Staaten, macht in ´t Veld deutlich: Der Spionageskandal ist aus ihrer Sicht ein europäischer Skandal. „Der Missbrauch von Spionagesoftware untergräbt die Demokratie, bringt Opposition und Kritiker zum Schweigen, beseitigt die Kontrolle, wirkt abschreckend auf die Pressefreiheit und die Zivilgesellschaft und dient dazu, Wahlen zu manipulieren." Was in einzelnen EU-Staaten geschehen ist, sei damit eine Bedrohung für die Demokratie von ganz Europa.

Auch der Markt für diese Art von Industrie sei in der EU bestens aufgestellt, sagt sie. Aus der EU heraus wurde Spionagesoftware nach Libyen, Ägypten, Bangladesch und in weitere autoritäre Staaten exportiert, wo sie gegen Menschenrechtsaktivist:innen oder die Presse eingesetzt werde. Zypern bekommt aus diesem Grund ebenfalls ein ganzes Kapitel im Bericht gewidmet. Von dort aus exportieren viele der Herstellerfirmen ihre Produkte.

In ´t Velds Wut richtet sich auch auf die EU-Kommission, der sie Doppelmoral und Untätigkeit unterstellt. Wenn es um die Bedrohung der Demokratie in den USA geht, wie jüngst nach der Twitter-Übernahme durch Elon Musk, nehme die Kommission kein Blatt vor dem Mund, sagt sie mit Verweis auf die Äußerungen des Binnenkommissars Thierry Breton. Doch gehe es um Angriffe von innen, gelte die Verteidigung der Demokratie plötzlich als Angelegenheit der Staaten. „Der Kommissar zeigt Musk seine Muskeln, aber fasst Mitgliedstaaten mit Samthandschuhen an, die Spionagesoftware gegen ihre Bürger:innen einsetzen."

In ´t Veld fordert sofortiges Moratorium für Einsatz und Handel

In ´t Veld betont, es handele sich um einen vorläufigen Bericht, bis zum Ende des Mandates werde es sicher noch neue Erkenntnisse geben, die einfließen. Doch schon jetzt nennt sie die Ergebnisse der Untersuchung im Bericht schockierend. Die EU müsse jetzt auf diese Angriffe auf die Demokratie von innen schnell reagieren und Abwehrmechanismen entwickeln. Unter anderem müsse der Handel und der Einsatz von Spionagesoftware reguliert werden. Sie fordert ein sofortiges Moratorium, das erst dann für jedes Land einzeln aufgehoben wird, wenn alle Vorwürfe untersucht worden sind und auch die europäische Polizeibehörde Europol eingeladen wurde, um die Skandale zu untersuchen.

Der Ausschuss setzt derweil seine Arbeit fort, für kommende Woche steht unter anderem eine Anhörung zu Deutschland auf dem Programm. Seit 2021 ist bekannt: Auch das Bundeskriminalamt und der BND haben Pegasus in ihrem Portfolio. Es ist jedoch unklar, wie häufig das Werkzeug bisher eingesetzt wurde oder wer damit ausgespäht worden ist. Im Bericht des Untersuchungsausschusses bleibt Deutschland damit bislang eine Randnotiz.

Original