1 subscription and 0 subscribers
Article

Frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. (97) zu 2 Jahren auf Bewährung verurteilt

Irmgard Furchner bei der Verhandlung vor dem Landgericht Itzehoe

Itzehoe - Die hagere Dame mit dem schütteren Haar wollte sich ihrer Verantwortung nicht stellen. Sie hatte protestiert und dann geschwiegen wie ein Grab. Sie war sogar vor ihrem eigenen Prozess geflüchtet.

Doch das Landgericht Itzehoe blieb unbeeindruckt. Nach ihrer gescheiterten Flucht in einem Taxi und vier Tagen U-Haft in der JVA Lübeck nahm der Prozess gegen die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard Furchner (97) seinen Lauf. 21 Monate nach der Anklage wegen Beihilfe zum Mord fand er Dienstag sein Ende.

Kurz nach 10 Uhr wird die Angeklagte im Rollstuhl in den Saal geschoben, der Vorsitzende Richter Dominik Groß verkündet das Urteil: zwei Jahre Jugendstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, wegen der Beihilfe zum Massenmord an mindestens 10.505 Menschen im KZ Stutthof bei Danzig. Weil sie zur Tatzeit 18 bzw. 19 Jahre alt war, wird Furchner nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die Angeklagte zeigt keine Regung. Sie trägt, wie zu Beginn des Prozesses, einen weißen Mantel und eine weiße Mütze. Alle anderen Beteiligten tragen schwarz. Was will Furchner damit aussagen? Es bleibt ihr Geheimnis. Während der 41 Verhandlungstage machte sie nicht einmal Angaben zu ihrer Person. „Wir hätten uns eine sprechende Angeklagte gewünscht", stellt Richter Groß nüchtern fest.

Nur einmal brach Furchner ihr Schweigen, sagte vor wenigen Tagen: „Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen."

Für Richter Dominik Groß steht damit fest: „Das Verfahren hat auf sie gewirkt." Doch es sei kein Schuldeingeständnis.

Ebenso gewaltig wie das Verfahren (100 Seiten Anklageschrift, 1000 Seiten Akten) fällt die Urteilsbegründung aus. Mehr als eine Stunde lang trägt Richter Groß vor, weshalb er Furchner für schuldig hält.

Das Urteil stützt sich auf die Aussagen von Überlebenden. Asia Shindelman, Towa-Magda Rosenbaum, Risa Silbert, Josef Salomonovic und viele andere berichteten während der Verhandlung von Erschießungen, Vergasungen und Todesmärschen. Für das Gericht steht fest: Als Sekretärin von KZ-Kommandant Paul Werner Hoppe habe Furchner daran mitgewirkt.

Groß: „Die Angeklagte nahm die Inhalte des Schriftverkehrs wahr. Sie wusste durch den Kontext vom Zusammenhang mit den Morden." Und: „Sie hatte Zugang zu Geheimsachen."

Von ihrem Arbeitszimmer im 1. Stock der Kommandatur überblickte sie einen Großteil des Lagers und damit das tägliche Sterben, die Erschießungen, die Zwangsarbeit: „Unvorstellbar, dass sie davon nichts merkte." Auch hätte sie jederzeit kündigen können. Doch sie blieb im Lager bis zur Räumung 1945. Groß: „Stutthof brauchte willige Helfer."

Anwalt Onur Özata, der drei Überlebende aus Litauen und Israel als Nebenkläger vertritt, begrüßt das Urteil: „Das Gericht hat die Angeklagte zu Recht wegen ihrer Tätigkeit im Konzentrationslager Stutthof verurteilt. Sie war wissentlich und willentlich Teil einer monströsen Todesfabrik."

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem lobt: „Das heutige Urteil ist das Beste, was erreicht werden konnte, wenn man bedenkt, dass die Angeklagte nach Jugendstrafrecht angeklagt war."

Bewährungsauflage für die verurteilte NS-Täterin: Sie muss zwei Jahre lang strafffrei bleiben.
Original