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„Bei Lemonaid landen ganze Maracujas in den Flaschen"

Paul Bethke, Geschäftsführer von Lemonaid: „so absurd“. (Foto: PR)

Lemonaid enthält zu wenig Zucker, daher darf es sich nicht Limonade nennen – sagt eine Hamburger Gesundheitsbehörde. Ein Interview mit dem Gründer über Ur-Limo, Kopien von Lidl und den Kampf gegen Verluste.


Nein, eine Limonaden-Expertin bin ich nicht. Auch kein großer Fan, muss ich zugeben. Zu viel Kohlensäure, zu süß – und dann noch dieser Nachgeschmack, der stundenlang im Mund klebt! Aus Neugier greife ich heute trotzdem mal zur berüchtigten „Lemonaid Limette“ in der grünen Flasche. Mein erster Eindruck: leicht bitter, ziemlich prickelnd, ziemlich viel Limette. Süß ist sie, aber nicht zuckersüß, sondern eher fruchtig.


„Bei Lemonaid landen ganze Maracujas in den Flaschen“

Limo oder Nicht-Limo? Das ist hier die Frage. Laut der „Leitsätze für Erfrischungsgetränke“ (gibt’s wirklich) haben Limonaden „einen Gesamtzuckergehalt von mindestens 7 Gewichtsprozent“. Dem Bezirksamt Hamburger-Mitte fiel in der vergangenen Woche auf, dass in der Limetten-Limo von Lemonaid weniger drin ist, nämlich genau sechs Prozent. Daher teilte die Behörde dem Start-up mit, es solle entweder mehr Zucker in das Getränk mischen, oder doch bitte den Namen ändern.


„Beanstandungsschreiben“ vom Bezirksamt Hamburg-Mitte an Lemonaid: Der Gründer hielt es am Anfang für einen Scherz. (Foto: Lemonaid)


Das hätte bedeutet, alle Flaschen neu etikettieren zu müssen. Ein Riesenaufwand, da die Glasflaschen direkt bedruckt sind und im Schnitt zwanzig Mal wiederverwendet werden. Der Hersteller hätte alle Flaschen aus dem Verkauf nehmen und neu produzieren müssen. Für die Mitarbeiter ein No-Go, schließlich wollen sie laut Homepage „trinkend die Welt verbessern“.


Das Hamburger Unternehmen Lemonaid ist ein Social Start-up: Egal, ob am Ende des Jahres Gewinne übrig bleiben oder nicht, fließen pro verkaufte Flasche fünf Cent in Gebiete, aus denen die Früchte für die Limonaden kommen. In Sri Lanka etwa unterstützt Lemonaid eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung.


Lemonaid-Zuckergehalt: Sind weniger als 7 Prozent erlaubt?

Dass sie ihre Limonadensorte, die seit zehn Jahren auf dem Markt ist, jetzt ungesünder machen sollen, ist für die Gründer unverständlich. Paul Bethke und Felix Langguth wehrten sich gegen die Abmahnung und gingen damit an die Öffentlichkeit. Ein gewaltiges Medienecho folgte, eine Kundin startete sogar eine digitale Unterschriftenaktion.


Dann änderte das Amt am Donnerstagabend überraschend seine Meinung. Lemonaid müsse nichts an der Rezeptur ändern, der niedrige Zuckergehalt sei doch in Ordnung. Wir haben den Mitgründer Paul ans Telefon geholt, um uns diese Posse erklären zu lassen.


Die Gesundheitsbehörde sagt: Eine Limo, die zu wenig Zucker hat, ist keine Limo. Was meinst du, Paul, was macht eine Limonade aus?
Für mich ist Limonade ein Getränk, das aus Wasser und Früchten gemischt ist. Wenn ich eine Limetten-Limonade kaufe, erwarte ich Limettengeschmack und keinen hohen Zuckergehalt. Also ein verdünntes Fruchtsaftgetränk, das nicht schmeckt wie ein Saft, aber auch nicht wie Chemie.


Wie hast du reagiert, als du gelesen hast, dass Lemonaid Limette keine Limo sein soll?
Tatsächlich dachte ich am Anfang, das wäre ein Scherz. Mein Kollege Felix Langguth hat mir im Dezember erzählt, dass wir eine Abmahnung gekriegt haben und dass die Behörde erwartet, dass wir entweder mehr Zucker in die Limo mischen oder mehrere Millionen Flaschen entsorgen sollen. Das klang so absurd, ich konnte das am Anfang gar nicht ernst nehmen. Auf der einen Seite redet die Regierung von einer besseren Ernährung für die Bürger und dass weniger Zucker verwendet werden soll. Zeitgleich werden wir dazu aufgefordert, doch bitte mehr Zucker in die Limo zu mischen.


Aber es war kein Scherz.

Deshalb haben wir uns dann nach mehreren Gesprächen auch an die Öffentlichkeit gewandt. Das kann einfach nicht im Sinne des Verbrauchers sein – und dass ausgerechnet Verbraucherschützer uns dazu bringen wollten, mehr Zucker in unser Getränk zu mischen, war absurd. Da hatte ich gehofft, dass die Öffentlichkeit Druck ausüben würde. Da fasst sich ja jeder Konsument an den Kopf und fragt sich, aus welchem Jahr diese Leitsätze sind und welche Lobby dahinter steckt.


Was macht ihr jetzt mit der Limetten-Limo: mehr Zucker reinmischen oder den Namen ändern?
Beides nicht! Wir werden von unserem Pfad, den wir seit zehn Jahren gehen, nicht abweichen. Bei uns hat sich noch kein einziger Kunde darüber beschwert, dass zu wenig Zucker in der Limo ist. Ganz im Gegenteil: Wir kriegen regelmäßig Feedback, dass wir endlich mal eine Limonade machen, wie sie mal war, ohne Aroma, mit wenig Zucker. Ich glaube, dass der Verbraucherschutz das letztendlich einsehen muss. Natürlich können sie jetzt weiter juristisch gegen uns vorgehen, aber da sind wir durchaus bereit, in den Ring zu steigen.


Ist dieser Rechtsstreit nicht die beste Werbung, die euch passieren konnte?
Nicht direkt, aber es ist positive Öffentlichkeitsarbeit. Mehrere Kunden haben Petitionen für Lemonaid gestartet und die Presse hat ausführlich berichtet. Das erhöht den Druck enorm. Wenn alles gut ausgeht, schadet uns das natürlich nicht. Denn spätestens jetzt weiß jeder: Lemonaid hat weniger Zucker als andere.


Die Behörde hat jetzt eine Kehrtwende gemacht und gesagt, sie wird den Zuckergehalt in der Lemonaid-Limo nicht beanstanden. Dann ist doch alles gut, oder?
Naja, die Behörde schon, aber sie unterstehen den Leitsätzen und dem Bundesministerium für Ernährung. Und die haben sich der Stellungnahme der Behörde bisher nicht angeschlossen.


Was ist eigentlich das Besondere an eurer Limonade?
Es ist sozusagen die Ur-Limonade. Wir sagen bewusst, dass wir Limonade wie hausgemacht herstellen, weil wir zu Beginn in einer WG-Küche Limetten mit Mineralwasser gemischt und daraus Limo gemacht haben, wie man das vor 20 Jahren schon gemacht und dann am Straßenrand verkauft hat. Wir wollten zurück zu einem Limonaden-Produkt, das nicht ungesund ist, sondern wenig Zucker enthält und ohne Aromastoffe und all diese Sachen auskommt.


Im abgelaufenen Jahr habt ihr 14 Millionen Flaschen verkauft. Was ist euer Erfolgsrezept?
Dass wir kein Geheimrezept haben. Wir sagen ganz offen, was in unseren Produkten drin steckt, alle unsere Rezepturen kann man ganz einfach zu Hause nachstellen. Außerdem merken die Kunden, dass wir ernst meinen, was wir tun und wofür wir stehen. Wir sind nicht einfach auf die grüne Welle aufgesprungen, um die Nische zu bedienen.


Wenn eure Limo so leicht herzustellen ist – ruft das nicht Nachahmer auf den Plan?
Absolut. Das ist auch schon passiert. Sowohl der Discounter Lidl als auch Firmen wie Dietz haben uns dreist nachgeahmt, oder es versucht. Am Ende kam nicht das heraus, was wir machen. Ohne jeden nachhaltigen Ansatz eben – und ohne Frischsaft.


Bei Rewe kosten 0,33 Liter Lemonaid pro Flasche 1,74 Euro. Für nur 1,09 Euro bekomme ich einen ganzen Liter Fanta. Warum seid ihr so viel teurer?
Weil es wesentlich teurer ist, Lebensmittel mit biologischer Fairtrade-Qualität herzustellen, als Zuckersirup mit Wasser anzumischen. Die meisten Limonaden in Deutschland werden industriell mit einem bestimmten Sirup hergestellt, wo kaum Früchte drin sind. Der kostet so gut wie gar nichts. Bei uns landen ganze Maracujas in den Flaschen. Wenn man es hochrechnet, müssten wir achtmal so viel kosten wie die anderen.


Wer kauft eure Limos?
Das sind Schüler, Studenten, junge Menschen im Job bis hin zu der Generation meiner Eltern. Es ist tatsächlich breiter gefächert, als wir gedacht hätten. Wir hatten eine Zielgruppe zwischen 20 und 40 angepeilt, Menschen, die wissen wollen, was sie konsumieren, wo die Inhaltsstoffe herkommen und was dahintersteckt. Und die bereit sind, dafür ein bisschen mehr Geld auszugeben. Eine feste Grenze gibt es aber nicht. Lemonaid trinkt man im rockigen Laden in Sankt Pauli genauso wie im Bioladen auf dem Land.


Wie finanziert ihr euch?
Wir haben 2009 einen Kredit in Höhe von 500.000 Euro aufgenommen. Den haben wir auch nur bekommen, weil die Bürgschaftsgemeinschaft Hamburg unser Projekt so toll fand und für uns gebürgt hat. Deshalb war die Bank bereit, Verrückten wie uns Geld zu geben. Die haben dann gesagt: Ja gut, die sind zwar wahnsinnig, aber wenn wir im Notfall unser Geld zurück kriegen, dann sind wir das Problem wenigstens los.


Im Bundesanzeiger stammt euer aktuellster Geschäftsbericht aus dem Jahr 2016, da hat Lemonaid 1,2 Millionen Euro Verlust gemacht. Wie haben sich die Zahlen entwickelt?
Bis heute schaffen wir es nur, mit Ach und Krach unsere Kosten zu decken. Wir mussten immer wieder neue Kredite aufnehmen, um das Projekt langfristig stemmen zu können. Wenn man sich anguckt, dass wir Gründer mittlerweile für mehrere Millionen Euro bürgen, kann man schon einen Angstschauer kriegen.


Und wie lief es vergangenes Jahr?
Auch 2018 hatten wir immer noch ein negatives Ergebnis. Wir sind noch nicht über den Berg, obwohl wir das schon eine ganze Weile machen. Es ist nicht so, dass wir am Ende was übrig hätten. 2019 wollen wir aber die Kurve kriegen und endlich Gewinne machen.


Die ersten Limonaden und Eistees entstanden in der WG-Küche, mittlerweile beschäftigt ihr knapp 90 Mitarbeiter. Fühlt sich das noch an wie ein Start-up?
Auf jeden Fall, es ist immer noch sehr familiär. Die Leute gehen zusammen auf den Flohmarkt, fahren zusammen auf Projektreisen. Das ist mir als Gründer super wichtig. Ich will nicht zur Arbeit kommen und der Boss sein, sondern mit Freunden gemeinsam eine gute Sache voranbringen. Trotzdem muss man jetzt irgendwie Strukturen schaffen, vor allem was die Kommunikation angeht, man ist ja nicht mehr zu dritt oder zu viert und kann sich alles über den Schreibtisch zurufen.


„Trinken hilft“ steht auf euren Flaschen. Was bringt es der Welt, wenn ich eine Lemonaid Limette trinke?

Erstmal bringt es dir etwas: Du trinkst ein Getränk, das weniger Zucker hat, wie wir jetzt alle wissen, als eine „richtige“ Limonade und dazu noch ein Bioprodukt ist. Beim Anbau der Früchte werden keine Chemikalien in die Welt gesetzt. Vor allem ist es aber so, dass du mit jeder Flasche Kooperationen mit Kleinbauern unterstützt und automatisch einen Beitrag für weitere Projekte in den Anbaugebieten spendest. Mittlerweile fördern wir weltweit 32 Projekte etwa in Sri Lanka, Indien, Mexiko und Südafrika.


Ihr spendet fünf Cent pro Flasche. Wie viel Geld habt ihr insgesamt schon gespendet?

Insgesamt sind schon vier Millionen Euro in unsere Projekte geflossen.


Was sind eure Pläne für 2019?
Weitermachen wie bisher und mehr darüber reden. Viele Menschen, die uns im Regal sehen, wissen gar nicht, was wir alles tun und wofür Lemonaid eigentlich steht. Das müssen wir besser kommunizieren.


Danke für das Gespräch, Paul!

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