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Schwangerschaftsabbrüche - ein Kommentar

Die emanzipierte Frau hat Lust auf Sex und holt ihn sich. Ob allein, zu zweit, zu dritt oder mit einem Spielzeug: Weiblichkeit und eine erfüllte Sexualität sind heute sogar so stark miteinander verknüpft, dass als komisch gilt, wer keinen hat. Sex als Lustprinzip ist längst entkoppelt vom Sex als Fortpflanzung. Schwangerschaft? Nur mit akutem Kinderwunsch.

Doch die befreite weibliche Lust ist nur eine trügerische Selbstverständlichkeit. 


Wie es in Wahrheit um die Autonomie der Frau steht, sieht man daran, dass consent immer noch unterschiedlich verhandelt wird, je nachdem, ob es um Bock auf Sex oder um das Verlangen nach einem Kind geht. Nein heißt Nein? Darüber herrscht - zumindest theoretisch - beim Sex: consent. Was allerdings ihre Schwangerschaft angeht, haben Frauen in vielen Teilen der Welt bis heute keine Entscheidungshoheit über ihren Körper.


Wo Rechte wieder genommen werden

In Polen etwa wurde im vergangenen Jahr das Gesetz für Schwangerschaftsabbrüche verschärft. Es gilt seitdem als eines der striktesten der EU. Abbrüche dürfen dort nur noch vorgenommen werden, wenn das Leben der Schwangeren gefährdet ist oder sie Opfer einer Vergewaltigung wurde. Das Gesetz betrifft ganz akut etwa auch nach Polen geflohene Ukrainerinnen, die im Krieg von russischen Soldaten vergewaltigt wurden, dies aber nicht beweisen können. Wie sollten sie?


Auch in den USA werden die Frauenrechte gerade um 50 Jahre zurückgeworfen. Am Montagabend wurde ein Schriftstück geleakt, nach dem der US-amerikanische Supreme Court das verfassungsmäßige Recht, eine Schwangerschaft zu beenden, nach fast 50 Jahren aufheben will. Es läge dann an den Bundesstaaten selbst, über die Rechtmäßigkeit von Abbrüchen zu entscheiden. In rund der Hälfte von ihnen blieben sie erst einmal erlaubt. Doch 13 Bundesstaaten hatten sich auf die Supreme-Court-Entscheidung bereits vorbereitet. In ihnen würden die allermeisten Abbrüche augenblicklich illegal.


Selbst in Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch bis heute laut Paragraf 218 StGB grundsätzlich rechtswidrig. Er wird lediglich nicht geahndet, solange die Frau sich an die strengen Gesetzesvorgaben hält. Dazu zählt unter anderem eine Beratungspflicht. Dieses Gespräch soll zwar ergebnisoffen geführt werden, doch ist es gesetzliche Aufgabe der Konfliktberater, zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. Zudem ist ein Abbruch nach der zwölften Woche nur unter strengen Voraussetzungen möglich - ab einem Zeitpunkt also, in dem manche Frau sich erst über ihren Zustand klar geworden ist. Gerade wenn die Schwangerschaft unerwartet eingetreten ist, gerade wenn die Schwangere in einem Konflikt steckt, ist diese Frist knapp.


Lust als Privileg

Die bittere Wahrheit über die weibliche Eigenständigkeit ist: Überall, wo Schwangerschaftsabbrüche aufs Engste beschränkt oder sogar verboten sind, werden sich nur finanziell unabhängige und selbstbestimmte Frauen auch zukünftig einen sicheren Abbruch leisten können. Immer noch viele weniger privilegierte Frauen haben diese Möglichkeit nicht - oder eben nicht mehr. Doch wenn die Frage des Schwangerschaftsabbruchs wieder zur Klassenfrage wird, wird auch Sex ohne Lust auf Fortpflanzung wieder zu einem Privileg. Es zeigt, wie zerbrechlich die Frauenrechte sind, die in den vergangenen Jahrzehnten erkämpft wurden.

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