Wollen Sie Männer heilen, Franka Potente? / FAZ Magazin
Franka Potente hat einen Spielfilm gedreht, der alle ihre Leidenschaften verbindet: denken, schreiben, planen, spielen. Der Film, der in wenigen Tagen ins Kino kommt, heißt „Home“.
Frau Potente, über Ihre Wahlheimat schrieben Sie einmal: „Wann ist man wirklich Einheimischer in einer Stadt wie Los Angeles, in der Menschen aller erdenklichen Religionen, Hautfarben, Dialekte, Sprachen und Bräuche mit- und nebeneinander leben?“ Haben Sie auf die Frage mittlerweile eine Antwort gefunden?
Ich glaube, dass meine Beziehung mit der Stadt situativ ist. Es gibt Momente, in denen man denkt, man kennt hier schon alles. Und dann passiert etwas tolles Neues. Manch- mal verspüre ich ein Gefühl von Distanz. Meine beiden Töchter sind hier geboren. Das ist natürlich ein Anker, den man vorher nicht hatte. Es zurrt einen fester an einen Ort. In der Pandemie hatte ich totale Verbundenheitsgefühle. Ich habe angefangen, Brot zu backen, und überlegt, Hühner zu kaufen. Und drei Drehbücher geschrieben.
Los Angeles ist auch der Schauplatz Ihres Langspielfilmdebüts als Regisseurin. Das Drehbuch zu „Home“ haben Sie
ebenfalls geschrieben. Darin erzählen Sie die Geschichte von
Marvin, der nach einem langen Gefängnisaufenthalt
versucht, in der alten Heimat wieder Fuß zu fassen. Hätten
Sie „Home“ jetzt nach eineinhalb Jahren Pandemie gedreht,
wäre es ein anderer Film geworden?
Tatsächlich hat die Pandemie „Home“ bereits zu einem
anderen Film gemacht, weil sie der Lesart etwas hinzufügt.
Marvin hat seine Mutter 17 Jahre lang nicht gesehen. Dazu
hat man jetzt eine andere Verbindung: Meine Familie in
Deutschland konnte ich zuletzt 2019 besuchen. Da ist
außerdem die Losgerissenheit von seinem Bezugsort, das
Gefühl, in seiner Heimat isoliert zu sein. Marvin möchte
Kontakt, aber es ist schwierig. Er skatet im Film leere
Straßen entlang. Allein zu sein ist zentral.
Sie sind auch Schriftstellerin. Ihr letzter Roman „Allmählich wird es Tag“ (2014) handelt, wie „Home“, von einem Mann, der an einem Wendepunkt seines Lebens steht und dabei eine schwierige Zeit durchläuft. Für beide wendet sich einiges zum Guten. Wollen Sie Männer heilen?
Gute Frage. Ich würde eher sagen: Ich möchte Menschen heilen. Das Entscheidende dabei ist für mich, dass meine Charaktere eine zweite Chance bekommen. Man darf einer Rolle dabei zusehen, wie sie wächst. Das ist doch ein schöner Gedanke. Schließlich ist mir das auch bekannt.
Inwiefern?
Naja, erst Berlin, heute L.A. Schauspielerin, Regisseurin. Dass ich mich neu erfinden kann. So wie mir geht es vielen Leuten. Das ist auch eine zweite Chance.
Im Fall von Marvin geht es nicht nur um Neuerfindung: Er
hat einen Mord begangen. Ist Vergebung immer richtig?
Es gibt bestimmt Dinge, die man nicht vergeben kann.
Wahrscheinlich muss man das als einen Prozess ver-
stehen. Die Vergebung, die Marvin in „Home“ sucht, ist
ein lebenslanges Projekt. Das können Leute nicht sofort
verzeihen. Ich selbst bin total nachtragend, ich weiß auch
nicht, ob ich das könnte. On paper hat man natürlich den
Anspruch an sich. Nicht zu vergeben bedeutet Stillstand.
Vergebung ist eine Entwicklung, an der man wächst. Wer
nicht vergeben kann, ist aber kein schlechter Mensch. Als
Filmemacherin spiele ich sowieso keinen Moralapostel.
Ich mache lediglich ein Angebot.
Sie sind katholisch aufgewachsen. Besteht da eine Verbindung zu Ihrem Interesse am Thema Vergebung?
Ja klar, die Absolution! Meine Erziehung war aber in
dieser Hinsicht nicht hardcore. Wir waren Ostern und
Weihnachten in der Kirche. Ich wollte auch mal Messdienerin sein, wegen der Robe. Die Kirche kommt in
meinen Geschichten eigentlich immer vor. Wohlwollend
gesagt: Dass Leute freiwillig als Gemeinschaft zusam-
menkommen, finde ich schön und beneidenswert, weil
ich da keinen Zugang mehr dazu habe.
Warum?
Das hat auch seine Schattenseiten. Ich weiß noch, wie früher in der Kirche jeder saß, den man kannte. Der Junge, den man süß fand. Der Lehrer. Die doofe Ziege. Dann redete vorne jemand über etwas, das man nicht versteht. Ich fand das völlig abgefahren. Als Jugendliche hatte ich immer das Gefühl, ich müsste aufstehen und schreien. Das hatte auch damit zu tun, wie erst alle scheinheilig beteten – und später beim Kaffee über andere herzogen.
Man will Gemeinschaft, aber nicht jeden dabei haben.
Das gilt übrigens für alle, die irgendwie anders sind, das sieht man täglich am Umgang mit Migranten. Mir werden zu viele unsichtbare Abmachungen getroffen, bevor man in einen Club gelassen wird. Auch das ist der Absolutionsgedanke: Marvin glaubt, es nicht alleine schaffen zu können. Dass es nur mit Hilfe der Gemeinschaft, mit Vergebung geht.
Es ist schon krass, welche Macht Communitys haben.
Medikamentenabhängigkeit, Obdachlosigkeit, Teenager- Schwangerschaft, mangelhafte Krankenversorgung, white trash: Viele der Nebenschauplätze des Films zeichnen ein dystopisches Bild von amerikanischen Vororten. Nach 20 Jahren in Los Angeles: Blicken Sie noch von außen auf die Vereinigten Staaten?
Ich denke, das ist ein menschlicher Blick aufs Land. Viele der Probleme, die in „Home“ skizziert werden, existieren ja leider wirklich. Wer einen Roadtrip die Küste entlang macht, begegnet vielen auch jungen Menschen, die vom Medikamenten- oder Drogenmissbrauch schon so müde aussehen. Speed ist hier günstig.
In „Home“ spielt Ihr Ehemann, der Schauspieler Derek
Richardson, einen Drogenabhängigen. Wie würden Sie die
Zusammenarbeit beschreiben?
Mit dem Partner zu drehen habe ich schon früher in
meiner Arbeit mit Tom Tykwer als etwas Positives erlebt.
Und ich wusste, wenn ich ein heroinabhängiges Klapper-
gestell haben will, dann kann ich nicht irgendwen fragen.
Derek hat für die Rolle 20 Kilogramm abgenommen.
Wie geht denn das?
Das hab’ ich mich auch gefragt! Der hat noch nie im Leben eine Diät gemacht. Drei Monate aß er nur Fisch und Salat.
Ließ er sich noch aushalten?
War okay. Ich wollte ja auch unbedingt, dass er Teil davon ist.
Für die Rolle der Mutter konnten Sie die mehrfache
Oscar-Gewinnerin Kathy Bates gewinnen. Marvin wird
gespielt von Newcomer Jake McLaughlin.
Kathy hatte ich als erstes eine Rolle angeboten. Sie ist uns
über den gesamten Prozess hinweg treu geblieben. Jake
hat eine irre Geschichte. Er war – wie Marvin – Soldat im
Irak. Da war er 19. Drei Jahre lang, kam dann verletzt
zurück, hat früh geheiratet. Er hat als Bauarbeiter in der
Einfahrt von James Francos Assistent Zement gegossen.
Franco drehte damals einen Film, dessen kleinere Rollen
mit echten Soldaten besetzt werden sollten. So führte
eines zum anderen. Beim Vorsprechen für „Home“ kam
er null schauspielermäßig rüber, das fand ich natürlich
gut. Dann haben wir über „Game of Thrones“ gequatscht
und uns darüber besser kennengelernt.
Sie brauchen Sympathie am Set.
Das ist viel wichtiger, als Drehbücher laut zu lesen. Als gesamtes Team waren wir vor den Dreharbeiten zusammen in Escape Rooms, das ist eine meiner absoluten Lieblingsbeschäftigungen! Für Schauspieler ist das toll, die wollen spielen.
Tom Tykwer hat einmal gesagt: „Ich muss in meiner
kreativen Familie bleiben, sonst bin ich unbrauchbar.“
Als Regisseurin musst du ein Teamplayer sein. Das Tollste
entsteht, wenn du geballt als Gang auftauchst. Frank
Griebe, meinen Kameramann, kenne ich bereits seit den
Dreharbeiten zu „Lola rennt“. Er ist total schnell, das liebe
ich. Ich will immer, dass Zug auf der Angelegenheit ist.
Wir sind morgens auch zusammen zur Arbeit gefahren und
haben uns im Auto gefragt, was wohl heute wieder passiert.
Und was passierte so?
Das Land an dem Haus, in dem wir gedreht haben, gehörte einer Kirche. Die lasen das Drehbuch von „Home“. Leider hat es ihnen nicht gefallen, dass die Figur des Priesters „Fuck“ und ähnliches sagt. Also haben sie uns einen Tag vor Drehbeginn die Drehgenehmigung entzogen. Zum Glück finde ich extremen Stress super. Das ist wie Achterbahn fahren, ohne zu wissen, wann die nächste Kurve kommt. Am Set trug ich deshalb ausschließlich Trainingsanzüge. Ich hatte das Gefühl, ich muss alles sportlich nehmen können. Das ist das Gegenteil von Schauspielerei, bei der man wie ein rohes Ei behandelt wird.
Fehlt es Ihnen nicht, so behandelt zu werden?
Ich schauspiele ja auch noch. Ganz generell hat das rohe Ei aber seine Berechtigung. Ich habe meine Schauspieler auch so behandelt. Ich wollte, dass sie sich beschützt fühlen, nicht ausgenutzt. Man ist dankbar dafür, dass sie magic bringen. Und ich weiß ja auch: Das können sie nicht mal eben so aus der Tasche schütteln. Das Über- höhte, das damit einhergeht, das wird allerdings oft missbraucht. Persönlich hatte ich das Gefühl, dass ich, je älter ich werde, immer weniger mit dem Trara zu tun habe. Das sind natürlich champagne problems.
Schauspielerin, Schriftstellerin – war Regisseurin eigentlich
die logische Konsequenz?
Als Schauspielerin kann man immer nur einen Bereich
bespielen. Visuelles, Musik, Film, Schnitt: Ich wollte auch
zu den anderen Dingen meinen Senf dazu geben. Und ich
hatte das Gefühl, dazu auch etwas zu sagen zu haben.
Natürlich trifft man auf den einen oder anderen Regis-
seur, bei dem man denkt: Was ist das denn für einer? Und
dass man es besser kann. Das klingt so undankbar. Aber
ich will einfach schnell wieder drehen.
Als Schauspielerin sind Sie am Set früher häufig angeeckt, weil Sie es direkt ansprachen, wenn Sie etwas störte. In das klassische Bild des Hollywood Sweethearts haben Sie nie gepasst. Wer passt heute nicht in Ihre Filme?
Schauen Sie Kathy Bates an. Die meisten Schauspielerinnen ihres Kalibers haben ab einem gewissen Alter etwas machen lassen. Dieses Künstliche, etwa diese überweißen Zähne, da weiß ich sofort, wo das herkommt und was das kostet. In die Welten, die ich erzähle, passt das nicht rein.
Natürlichkeit und Altern haben sich noch nicht in Hollywood-Rollen eingeschrieben?
HBO zeigt derzeit eine Serie namens „Mare of Easttown“ mit Kate Winslet in der Hauptrolle. Da hat sie einen ganz realistischen Körper. Wie ich sie so sehe mit ihrer trockenen Haut, abgeschlafft, denke ich mir: Das bin ich nach der Geburt meiner Kinder. Hunched over, ich hab’ das richtig gefühlt. Die Serie ist sehr gut angekommen. Vielleicht hat die Pandemie das angewuppt. Man hatte ein menschliches Jahr.
Wird Kino menschlich?
Die Idee von Kino ist natürlich, dass alles überhöht ist, bigger than life. Bei manchen Rollen wünscht man sich, dass sie schöner oder perfekter sind als alle anderen. Aussehen ist auch für die Rollen, die ich schreibe, wichtig. Das heißt aber nicht, dass die schön sein müssen. Als es um die Besetzung der kleineren Rollen ging, habe ich meiner Casterin gesagt: imperfections welcome, acne, brown teeth, overweight.
Als Regisseurin können Sie helfen, diverse Körperbilder und Rollen fernab von Stereotypen zu prägen.
Genau. Als Regisseurin ist das allerdings nicht immer
einfach. In Deutschland bekommst du kulturelles
Fördergeld. Hier in den USA gibt es private Investoren,
die alle mitquatschen und hinterher ihr Geld wiederha-
ben wollen. Das sind oft Männer. Wenn die 60 Millionen
in einen Film investieren, dann wollen sie auch wissen,
dass jemand damit umgehen kann. Und die denken, dass
ein Mann das eher kann. Ich denke: Ich habe zwei
Kinder, während meiner zweiten Schwangerschaft habe
ich in Toronto gedreht, war praktisch single mom. Und
habe ein Buch geschrieben. Excuse me?! Als Frau musst du
so viele Sachen gleichzeitig können und machen.
Gibt es eigentlich eine weibliche Art, Filme zu machen?
Keine Ahnung. Ich kann ja als Frau auch was Männliches machen. Können Sie, wenn Sie einen Film gucken, sagen, ob der von einem Mann oder einer Frau gedreht wurde? Vielleicht merkt man es an den Frauenrollen. Ich glaube eher, dass die Art und Weise, wie man Filme macht, davon abhängt, wie man aufgewachsen ist. Oder wie man auf seine Beziehungen und Freundschaften blickt.
In diesem Jahr wurden Sie mit dem Margot-Hielscher-Preis
für Ihre vielfältigen Talente ausgezeichnet. Mit „Home“ sind
Sie in der Vorauswahl des deutschen Filmpreises.
Jetzt müssen wir erst mal nominiert werden, aber schön
ist das natürlich. Ich habe auch von Kollegen viel
positives Feedback bekommen. Nach all dem Pech, den
man durch die Pandemie damit hatte! Immerhin war
„Home“ schon letztes Jahr im Februar fertig. Der
Filmstart hat sich dann mehrmals verschoben. Gerade für
die kleinen Filme ist das blöd. Im Verleih herrscht Stau.
Natürlich hätte man sich einen anderen Rückenwind
gewünscht. Jetzt kommt man aus der Pandemie und hat
auf einmal Publikum. Wir starten mit 50 Kinos in
Deutschland. Endlich schickt man das Baby raus in die
Welt. Das ist, wie wenn man sein Kind zum ersten
Schultag fährt und dann im Auto sitzt und weint.
„Home“ ist auch ein Film über Hoffnung geworden. Was macht Ihnen Hoffnung?
Dass wir geimpft sind. Dass Trump weg ist. Wie umgegangen wird mit Black Lives Matter. Eine neue Nachhal-
tigkeit, die plötzlich da ist. Filme wie „Nomadland“.
Und natürlich meine Töchter.