Frau Zaree, was bedeutet für Sie Authentizität?
—— Wahrhaftigkeit. Eine Übereinstimmung zwischen dem, was für einen wichtig ist, und dem folgenden Handeln. Wir erfüllen oft gesellschaftliche Erwartungen und wissen gar nicht mehr, was unsere Einzigartigkeit ausmacht.
Welche Rolle spielt dabei die Mode?
—— Als Teenager in Frankfurt trugen wir Mode, die über den Rap aus den USA und aus den Pariser Banlieues kam. Damals steckten wir etwa unsere Hosen in Strümpfe. Obwohl wir nicht alle unbedingt aus prekären Verhältnissen kamen, wie in den Pariser Vororten, haben wir uns über die Mode mit denen identifiziert.
Warum das?
—— Was uns mit ihnen verband, war die Erfahrung, nicht Teil der Mehrheitsge- sellschaft zu sein und als solche auch nicht anerkannt zu werden. Es ist heute noch so, dass mich Leute fragen, woher ich eigentlich komme, wenn ich sage, ich bin Deutsche. Dadurch identifiziert man sich mit der Kultur, in der eine Stimme für die »Anderen« gefunden wird. Damals war das die Rap-Musik mit ihren Stilcodes. Weil wir ganz selbstverständlich dazugehören konnten. Heute ist das anders: Der Rap ist sogar in der Luxuswelt angekommen.
Wie erklären Sie sich die Faszination für den Rap durch alle Gesellschaftsschichten?
—— Man kann polemisch von einer Aneignung sprechen. Die Popmusik in den USA ist Rap- dominiert. Der Zugang wurde ursprünglich von Menschen geschaffen, die eine andere kulturelle Identität oder Hautfarbe hatten und aus einer anderen Klasse kamen. Die Geschichte der Baggy Pants ist interessant: Ihre übergroßen Schnitte kommen von den Einheitsgrößen der Gefängnishosen. Die Gangster-Ästhetik hat damit dann gespielt. Später hat sich die Rap-Szene wiederum die High Fashion angeeig- net. Und mit H&M war Mode dann plötzlich erschwinglich und Klasse nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar.
Lässt sich Authentizität über Mode vermitteln?
—— Nein, die Mode kann das nicht mehr leisten. Heute zählt viel mehr, wie ich mich in der Welt bewege. Ein Beispiel: meine Doc-Mar- tens-Stiefel. In den Achtzigern stand der Schuh für Anarchismus, für Punk. Mittlerweile hat er sich aus seinem kulturellen Kontext gelöst. Wir leben in einer kommerzialisierten Welt. Wenn der Rapper Kanye West mit seiner Modemarke Yeezy einen neuen Schuh launcht — wo ist da der Protest? Das ist pervertierter Ultrakapitalismus in der Maske von angeblicher Teilhabe.
In Neukölln, wo auch Sie leben, tragen die harten Jungs Labels wie Gucci, die eigentlich aus einem ganz anderen Milieu kommen. Verlieren Statussymbole an Bedeutung?
—— Für die nicht, ansonsten würden die das nicht tragen. Wenn sich jemand einen Designerschuh kauft, hat der für die Person einen Wert. Aber ich denke, wir stehen kurz vor einem Zusammenbruch. Dieses Aufbäumen des Patriarchats mit Donald Trump und der Om- nipräsenz von Logos ... Wenn dann Cardi B als erfolgreichste Rapperin heutzutage singt: »All I Want Is Money«, wird klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Blase platzt.
Was kommt nach dem Zusammenbruch?
—— (rappt) Smoking Weed ... LSD, Surfen –
Aussteigen. Im Ernst: Ich denke, wir werden uns
mit der Sinnfrage auseinandersetzen, der Natur
zuwenden, der Philosophie oder Spiritualität.
Das kollektive Bewusstsein wird eine Sehnsucht
entwickeln nach mehr Inhalt, mehr Wahrhaftig-
keit — nach tiefgreifenden Erfahrungen und
Begegnungen. Das könnte ein nächster Schritt
sein, ansonsten sind wir fucked.
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