Die Römerstadt Arles in der Provence entwickelt sich mit Hilfe einer Schweizer Milliardärin zum modernen Zentrum für Kunst und Kultur, wo sich nicht nur Intellektuelle aus der Hauptstadt gerne treffen. Das gefällt nicht allen.
20. Mai 2020 Text: CELINA PLAG Fotos: MARGAUX SENLIS
Bei klarem Wetter, wenn die Sonnenstrahlen von der gebrochenen Fassade zurückgeworfen werden, funkelt der Turm manchmal so hell, dass es in den Augen schmerzt: acht Stockwerke, 56 Meter Höhe, 16.000 Quadratmeter Fläche und rund 11.000 niemals gleiche Steine der Fassade aus Glas und rostfreiem Edelstahl - auch die alte Römerstadt Arles hat jetzt einen Frank Gehry. Der meteoritenhafte Tower des Stararchitekten, der bald als musealer Multifunktionsbau eröffnet wird, soll ein Leuchtturm alten und neuen Glanzes sein - der Bilbao-Effekt für die südfranzösische Provinz.
Arles war schon immer ein kulturelles Zentrum. Die Römer bauten in der Kunsthauptstadt des Südens eine Kolonie, Gehrys Tower verweist wahlweise auf die Berge der Region oder römische Ruinen; und die gigantische Rotunde am Fuß des Turms auf das 2000 Jahre alte Amphitheater, das für Konzerte und Stierkämpfe genutzt wird. Das besondere provenzalische Licht motivierte Künstler wie Vincent van Gogh, der in Arles den Zenit seiner Karriere verlebte, zu manischen Höhenflügen. Die Opernstadt Aix-en-Provence, die Theaterstadt Avignon und Arles, das unter anderem seit 1970 Freunde der Fotografie zum renommierten Festival Les Rencontres lockt, bilden das kreative Dreieck der Region.
Manch einer hier sieht in dem Bau eher eine gigantische eingedellte Cola-Dose, die wie ein Fremdkörper aus der pittoresken Landschaft des Unesco-Weltkulturerbe-Stadtkerns ragt. Für andere ist der Turm Teil des größten privaten Kulturprojektes Europas rund um die Schweizer Milliardärin, Sammlerin und Mäzenin Maja Hoffmann, die noch mehr Touristen und Kreative anlocken will.
Die Hoffmanns – vom Pharmakonzern Hoffmann-La Roche – sind hier schon länger aktiv. Der verstorbene Vater Hans Lukas „Luc“ Hoffmann, Zoologe, Philanthrop und Mitgründer des WWF, setzte sich zeitlebens für die Kunst und Natur der Region ein und sorgte dafür, dass die Camargue mit ihrem rauen Charme und wilden Tierleben zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Die von ihm mit 13 Millionen Dollar finanzierte Fondation Vincent van Gogh eröffnete 2014 ein zeitgenössisches Museum im umdesignten Stadtpalais. Tochter Maja, die in Arles aufgewachsen ist, zeigt jetzt, was man mit entsprechenden Ressourcen – und Geschmack – aus einer heruntergewirtschafteten Stadt machen und wie man eine ganze Region beleben kann.
Auf einem riesigen Gelände, das früher der französischen Bahn gehörte, deren verlassene Hallen zum Symbol industriellen Verfalls wurden, entsteht derzeit, flankiert von Gehrys Leuchtturm, der französische Ableger ihrer gemeinnützigen Kulturstiftung: Luma Arles, ein riesiger Kulturcampus für zeitgenössische Kunst, Forschung und Umwelt. Ausstellungen, Performances, Restaurants und sogar ein Labor gibt es bereits. Dort wird etwa aus heimischen Algen Bioplastik aus dem 3D-Drucker gefertigt und an neuen Werkstoffen geforscht.
Bis 2021 sollen Neugestaltung und Umbau der Hallen durch Architektin Annabelle Selldorf abgeschlossen sein, ebenso der von Bas Smets gestaltete Landschaftsgarten. Hoffmann hat dafür bisher rund 150 Millionen aus privaten Fonds generiert. So viel hätte Arles mit seiner Arbeitslosenquote von rund zwölf Prozent kaum aufbringen können.
Das künstlerische Programm läuft bereits an, gestaltet hat es eine extra von Hoffmann berufene „Core Group", darunter Kurator Hans Ulrich Obrist, Künstler Liam Gillick und Beatrix Ruf. Die Liste liest sich wie ein „Who's who" der Branche, wenig überraschend, aber hochkarätig, wie alles rund um das Projekt. Zu dem Imperium gehören auch hübsche Hotels - etwa: die Kunst-Boutique-Hotels Le Cloître und L'Arlatan sowie das Sternerestaurant La Chassagnette in der Camargue. Arles' kommunistischer Bürgermeister, Hervé Schiavetti, wird deshalb gerne mit den Worten zitiert, es sei gerade die beste Zeit seines Lebens, aber das Engagement der „Prinzessin von Arles" gefällt nicht jedem. Kritiker werfen ihr vor, die in Kultur und Tourismus sehnsüchtig erwarteten Jobs nur im Niedriglohnsektor zu schaffen, andere haben Angst vor Wandel. Die Werte des rechten Rassemblement National liegen in der Region über der Arbeitslosenquote. Vor den nächsten Wahlen fürchten sich einige.
In Marokko lernten sie 2015 eine Hotelbetreiberin aus Arles kennen, die sie überzeugte, eine Session in der Provence zu machen. Arles sollte nur ein Boxenstopp auf dem Weg nach Barcelona werden. Sie sind geblieben. „Wir haben gleich gespürt, dass eine ganz besondere kreative Energie in der Stadt liegt", sagt Mitton. Sie schätzt außerdem sowohl die überschaubare Größe der pittoresken Altstadt als auch die Nähe zum Meer. Und die im Vergleich zu Paris noch günstigen Mieten.
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