Vor einer Weile machte in den sozialen Medien eine Karikatur zweier Hoden die Runde. Nummer eins sah so aus, wie diese männlichen Geschlechtsorgane nun mal aussehen: Die Haut fahl und etwas schrumpelig, ein paar Haare hier und da, das Leben hing bereits an ihm herunter. Nummer zwei hingegen war eine straffe, prallrunde, leuchtend rosé-farbene Erscheinung. „Wenn Frauen Hoden hätten“, lautete der Titel der idealisierten Version.
Amüsanter — und zynischer — lässt sich die Botschaft kaum formulieren: Für Frauen gelten andere Schönheitsmaßstäbe als für Männer, egal an welcher Stelle des Körpers.
Dass der Optimierungswahn selbst vor den weiblichen Genitalien nicht halt macht, zeigt momentan eine Flut neuer Beautymarken, die von den USA und Asien aus weltweit die Region um die Vulva mit Feuchtigkeitsmas- ken, Anti-Aging-Seren und Pflegecremes perfektionieren und verjüngen wollen. Simple Wasch- und Pflegelotionen für den Intimbereich gab es schon immer, irgendwo zwischen Hornhautsalben und Inkontinenzeinlagen in den hinteren Regalfächern von Apotheken und Drogerien. Die neuen Marken mit so klingenden Namen wie „The Perfect V“ oder „Two L(i)ps“ finden sich hingegen in hippen Concept Stores oder in Nobelkaufhäusern wie dem Berliner KaDeWe. Sie kommen in edlem Designer- packaging daher und sind gefüllt mit wohlriechenden, ökologisch einwandfreien Tinkturen, mit denen sich das Selbstverständnis der weiblichen Großstadteliten mit gutem Gewissen balsamieren lässt.
Auf die viel besprochene koreanische K-Beauty folgt die sogenannte V-Beauty, welche sich fabelhaft einreiht in einen ganzen Kader neuer Lifestyle-Produkte rund um die Vulva, sodass man bereits von einer richtigen Vulva-Ökonomie sprechen kann. „Sexual Wellness“ heißt der Trend im Netz, mit „Between the Sheets“, also „zwischen den Laken“, wird dieses in Deutschland noch recht unbekannte Segment vielerorts betitelt, in welchem sich neben den neuen Pflegelinien neuartige Periodenprodukte und Beckenbodentrainer aus Edelsteinen genauso finden wie spezielle auf den Zyklus abgestimmte Kräutertees, vegane Gleitgels oder schicke Designervibratoren, die sich erstaunlich unphallisch in der Form und höchstens sündhaft teuer präsentieren.
Bei der Hamburger Online-Boutique Niche Beauty st „Between the Sheets“ eines der am schnellsten wachsenden Segmente. Der Trend erzähle auch von einem „neuen Verständnis von Weiblichkeit“, heißt es aus dem Unternehmen. Seien es die Auswirkungen von Metoo, diverser Body-Positivity- und Diversity-Kampagnen: Es hat sich tatsächlich etwas geändert an der gesellschaftlichen und medialen Wahrnehmung von Weiblichkeit und weiblicher Körperlichkeit. Frauen sprechen heute freier über Themen wie Sexualität oder den weiblichen Zyklus als noch vor ein paar Jahren.
„Noch vor fünf Jahren wäre so eine Marke kaum
denkbar gewesen“, sagt Avonda Urben, Gründerin von
„The Perfect V“. Langsam kämen Themen rund um
„das V“, so Urben, raus aus der Unsichtbarkeit. Die
New Yorker Unternehmerin hat das als eine der ersten
erkannt. Urben, die als Marketingberaterin jahrelang neue
Produkte für große Beautykonzerne erdachte, lebte mit
ihrer Familie einige Zeit in Dänemark. Das natürliche
Verhältnis der Skandinavierinnen zu ihrem Körper faszinierte sie so sehr, dass es sie zu „The Perfect V“ inspirierte.
Eine Amerikanerin, deren Antwort auf skandinavische
Natürlichkeit eine Luxus-Serie für die Vulva ist? Das
wohl glattrasierteste Missverständnis der Schönheitsin-
dustrie, das natürlich fabelhaft zur Bigotterie der USA
passt. Es zeigt auch: In dem Moment, wo der weibliche
Intimbereich langsam von gesellschaftlichen Tabus befreit
wird — wird er umgehend von Schönheitsidealen an-
nektiert. Kein Wunder, dass es gegenüber der V-Beauty
von Anfang an Kritik aus der feministischen Ecke gab.
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