1 subscription and 4 subscribers
Article

Die neue Macht der Verbraucher

Gewinnen die Kunden mit ihren Onlinebewertungen an Einfluss?

Früher mussten Händler nur eine besonders teure Kamera ins Regal stellen, um ihr Geschäft anzukurbeln. Das belegten Versuche von Verhaltensökonomen. In ihren Tests sollten sich die Probanden zwischen drei Kameramodellen mit unterschiedlichen Preisen entscheiden. Die Versuchspersonen wählten häufig die Kamera mit dem mittleren Preis. Der Trick: Das teure Modell lässt die mittlere Option billiger erscheinen. In der Vergleichsgruppe ohne teure Kamera griffen die Probanden dagegen zum günstigen Modell.

Itamar Simonson, Professor an der Stanford Graduate School of Business predigte Kaufhäusern über Jahre, dass sie mit solchen Tricks ihren Umsatz steigern könnten. Vor 20 Jahren setzte er selbst Versuchspersonen vor Preislisten und ließ sie zwischen Kameras wählen.

In seinem Buch Absolute Value rückt der Marketingexperte nun vom Bild des manipulierbaren Konsumenten ab. Denn der heutige Kunde steht nicht mehr alleingelassen im Laden vor drei Kameras. Er muss sich nicht mehr auf die Einschätzung von Fachhändlern oder Freunden verlassen. Nur ein paar Klicks entfernt finden sich im Internet die Bewertungen von Smartphones, Kosmetika, Autos, Ärzten, ja selbst von Arbeitgebern. In dieser neuen Informationswelt gälten viele der alten Marketingregeln nicht mehr, behauptet Simonson.

Noch einmal hat der Professor Versuchsteilnehmer in sein Labor geholt. Und wieder sollten sie sich zwischen drei Kameras entscheiden. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie sich Bewertungen und Preise im Internet anschauen durften. Plötzlich wählten die Probanden nicht mehr vor allem den mittleren Preis, die Verteilung war ausgeglichen - und der Verkaufstrick wirkungslos.

Das Experiment, glaubt Simonson, zeigt die neue Macht der Verbraucher. Durch Vergleichsportale im Internet können Kunden sehen, wie andere vor ihnen das Produkt fanden: Waren die Zimmer sauber? Macht das Smartphone gute Bilder? Hat die Pizza geschmeckt? Die Konsumenten sollen dadurch erkennen, welchen Wert ein Produkt wirklich hat, perfekte Information nennen Ökonomen das.

Als Beispiel dafür, dass klassisches Marketing nicht mehr funktioniert, zieht der Professor zusammen mit dem ehemaligen Manager Emanuel Rosen den Erfolg des Computerherstellers Asus heran. Das bis dato unbekannte Unternehmen aus Taiwan wollte seinen neuen kleinen Computer vor allem an Kinder und alte Menschen verkaufen. Für Werbung und Marketing hatte das Unternehmen kein großes Budget. Doch innerhalb kurzer Zeit sprach sich unter Bloggern und in Bewertungsportalen herum, dass das Gerät praktisch und günstig sei. Selbst Geschäftsleute kauften das Gerät. Damit begann die Erfolgsgeschichte der sogenannten Netbooks. Die Gesetze des Marketings, etwa eine genaue Zielgruppe anzuvisieren, hatten bei Asus nicht funktioniert. Stattdessen brachte die Mundpropaganda im Netz den Erfolg.

Aus anderen Branchen erzählen die Autoren ähnliche Geschichten, etwa die des Harvard-Professors Michael Luca, der die Umsätze von Restaurants in Seattle analysierte. Er verglich sie mit den Bewertungen auf einem Internetportal und stellte fest: Seit es dieses Portal gibt, konnten Restaurants mit guten Bewertungen ihren Umsatz steigern. Und es profitierten vor allem unbekannte Läden. Bei den großen Restaurantketten sanken die Einnahmen hingegen.

Allerdings blenden die Wissenschaftler ein Problem aus. Sie sprechen zwar von einem "Planet Absolut", einem Planeten, auf dem alle den absoluten, wahren Wert von Produkten erkennen, haben aber keine Idee, wie sich gefälschte Beiträge vermeiden lassen, in denen sich Unternehmen selber positiv bewerten. Die Marktforscher von Gartner gehen davon aus, dass inzwischen mehr als jede zehnte Onlinebewertung von einem Unternehmen gekauft wurde.

Simonson und Rosen greifen das zwar auf. Doch gleichzeitig heißt es, dass einige gefälschte Beiträge wenig anrichten könnten. Außerdem müsse jedes Portal sehr an seiner Glaubwürdigkeit interessiert sein, sonst verliere es seine Werbeeinnahmen. Die Autoren glauben daher an eine gute Zusammenarbeit von Unternehmen und Bewertungsplattformen - zugunsten des Verbrauchers.

Original