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So radikal hat sich der Alltag von Hebammen in der Corona-Krise verändert (plus Video)

Online-Sitzung statt persönlicher Kontakt: Hebamme Inge Buchleiter aus Schriesheim begrüßt „ihre Frauen“ jetzt per Videochat. Foto: Schmüser

Heidelberg/Schriesheim. Die Solidarität mit Gesundheitspersonal ist in Zeiten von Corona groß. Ein systemrelevanter Berufsstand findet aber oft keine Erwähnung: Hebammen. Dabei leiden auch sie in der Krise unter Existenzängsten, erhöhter Ansteckungsgefahr und fehlender Schutzkleidung.

Mittwoch, 14 Uhr. "Hallo!", ruft Hebamme Inge Buchleiter in das Mikrofon ihres Laptops. Sie begrüßt jede einzelne "ihrer Frauen", die sich nach und nach per Videochat ihrem Onlinekurs zuschalten. Normalerweise würden sich die Wöchnerinnen in ihrer Hebammenpraxis in Schriesheim einfinden, zur Rückbildungsgymnastik. Heute ist es hier leer. Nur eine der sonst zehn Frauen ist mit ihrem Neugeborenen erschienen und macht es sich auf einer der orangenen Yogamatten bequem. Dann geht's schon los. "Eigentlich wie immer", sagt Buchleiter. "Nur auf Skype."

Ärzte, Pfleger, Angestellte im Einzelhandel - in ganz Europa ist die Solidarität mit systemrelevanten Berufen groß. Klatschkonzerte sowie Musikständchen vom Balkon und, noch viel wichtiger, Forderungen nach einer angemessenen Bezahlung sollen ihren unermüdlichen Einsatz für die Gemeinschaft würdigen. "Wir finden das wunderbar und schließen uns dem auch vollen Herzens an. Unsere eigene Zunft aber vermissen wir bei all diesen Bekenntnissen. Und das schmerzt uns", schreibt die Erste Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg, Jutta Eichenauer, in einem Statement.

Als Hebamme hat Buchleiter einen vollen Terminkalender: Sie besucht die frischen Eltern zu Hause, gibt Kurse zur Geburtsvorbereitung und zur Rückbildung, organisiert Treffs für junge Mütter und ihre Kinder und begleitet als Beleghebamme immer wieder Geburten im St. Josefskrankenhaus in der Heidelberger Weststadt.

Im Zuge der Coronakrise hat sich ihr Arbeitsalltag radikal verändert. Geburtsvorbereitung, Rückbildungsgymnastik, Stilltreff - all das findet nun als Videokonferenz statt. Die Hausbesuche hat Buchleiter auf das Notwendigste beschränkt: "Da steht immer die Angst dahinter, selbst Überträgerin zu sein." Viel passiert nun telefonisch oder per SMS, die Mütter schicken Fotos, wenn sie Sorgen haben.

Zudem hat Buchleiter eine Sprechstunde eingerichtet. Auf der Terrasse ihrer Schriesheimer Praxis können die Frauen sich mit viel Abstand und an der frischen Luft Rat einholen. Buchleiter führt derweil die nötigsten Untersuchungen durch. Die finanzielle Lage? "Eine Katastrophe", sagt Buchleiter. Das findet auch Theresa Koester. Die 24-Jährige ist freiberufliche Hebamme in Heidelberg-Ziegelhausen, arbeitet zudem in einem Heidelberger Krankenhaus. Viele Nachsorgebetreuungen habe sie, wie Buchleiter, vorsorglich abgeschlossen. Das Problem: "Ich verdiene natürlich nur Geld, wenn ich arbeite." Das gilt auch für ihr Kursangebot: Die Fitness-Kurse für Mütter entfallen, nur die Geburtsvorbereitung und Rückbildungsgymnastik kann per Videochat stattfinden. Manche Frauen können wegen schlechter Internetverbindung oder fehlender Kinderbetreuung jedoch nicht teilnehmen.

"Von diesen Müttern kann ich natürlich kein Geld verlangen", so Koester. Die Miete für ihre Praxis und Versicherungskosten hingegen muss sie weiter zahlen. Ob sich die Online-Kurse finanziell rechnen? Koester bezweifelt das: "Eventuell muss ich meine Praxis schließen." Der Alltag in der Klinik sei derweil vor allem eins: anstrengend. Besucher sind in ihrer Klinik nicht mehr zugelassen, erzählt Koester am Telefon. Väter dürfen zwar mit in den Kreißsaal, aber erst, wenn es in Richtung Geburt geht. Im Kreißsaal bereitet der jungen Hebamme die Ansteckungsgefahr Sorgen: "Man ist unter der Geburt extrem nah dran an der Frau." Schnaufen, Schreien, Spucken - das Risiko einer Tröpfcheninfektion ist groß.

"Aber Kinder kommen eben immer, und wir können die Frauen nicht allein lassen", so Koester. Das geburtshilfliche Personal ist deshalb um intensive Hygiene bemüht und hält, wenn möglich, Abstand zu den Eltern. Dabei ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln - eine Gratwanderung.

Die Ansteckungsgefahr ist vor allem dann hoch, wenn Schutzbekleidung fehlt. Die freiberufliche Heidelberger Hebamme Svetlana Zarynskyi ist seit Tagen auf der Suche nach Mundschutz, Handschuhen und Desinfektionsmittel. "In den Apotheken war alles ausverkauft", erzählt sie der RNZ am Telefon. Die staatlichen Behörden hätten ihren Berufsstand "nicht auf dem Schirm".

Der Hebammenverband Baden-Württemberg weiß um die prekäre Lage seiner Mitglieder. "Weil die freiberuflichen Hebammen Kleinst-Unternehmerinnen sind, werden sie bei der Beschaffung von Schutzkleidung und Masken wie Kolleginnen und Kollegen der ambulanten Pflege alleine gelassen", heißt es auf der Webseite. Wann und ob die zuständigen Gesundheitsämter an Schutzausrüstung kommen, sei unklar. Für Zarynskyi und ihre Kolleginnen heißt es: Ausharren in ihrem Zustand zwischen "Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit".

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