Toscolano-Maderno - Wie eine Fata Morgana erscheint hinter einer Biegung irgendwo auf der Bergstraße von Arco nach Torbole, zu einem einzigen Bild verdichtet, das Ziel aller winterlichen Sehnsüchte: der Süden. Über ziegelrote Dächer und bleistiftspitze Zypressen hinweg öffnet sich ein Panorama, das auch routinierte Italien-Urlauber kurzzeitig das Atmen vergessen lässt: der Blick auf den Gardasee.
Zur Rechten des Betrachters wachsen zerklüftete Felswände steil aus einem türkis bis dunkelgrünblau schimmernden Wasserbecken. Links zieht sich eine wild bewachsene Berg- und Hügelkette am glatten Wasserspiegel entlang. Auf der glänzenden Oberfläche des Sees wuseln - wie lässig ausgestreute Papierschnipsel - winzige dreieckige Surfsegel. Der Horizont ist nur schemenhaft zu erkennen. Denn 17 Kilometer liegen zwischen dem Aussichtsplateau und dem gegenüberliegenden Ufer des Lago di Garda, des mit einer Fläche von 370 Quadratkilometern größten Sees Italiens.
Seit Jahrhunderten zieht es Reisende aus nördlichen Gefilden hierher, die auf den Spuren des großen Italien-Verehrers Goethe dem "Land der Sonne" sehnsüchtig entgegenfiebern. Viele Orte konnten bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein nur über den See mit dem Schiff oder über verschlungene Bergpfade erreicht werden. Erst in den zwanziger Jahren begannen die Provinzregierungen damit, eine Straße am Ufer entlang in den schroffen Fels zu hauen und aus dem Kalkstein herauszusprengen. Die Strecke am Ostufer, die Gardesana Orientale, wurde 1926 fertig gestellt, die Gardesana Occidentale im Westen 1931. Diese westliche Uferstraße mit insgesamt 74 Tunneln, die auf der Höhe von Riva beginnt, kann als Meisterwerk der Ingenieurskunst bezeichnet werden.
Eine der ersten Abzweigungen auf der Gardesana Occidentale führt nach Limone, das in Reiseführern mit Beharrlichkeit als das schönste Fischerdorf am See gepriesen wird. Der Name des Ortes leitet sich vom lateinischen Wort für Grenze "limes" ab und nicht von den Zitronen, die hier - wie überall am Westufer - seit dem Spätmittelalter angebaut wurden und lange Zeit die Existenz der Dorfbewohner sicherten. Haupteinnahmequelle des Dörfchens mit dem romantischen Hafen ist jedoch seit jeher der Fremdenverkehr. Knapp 1000 Einwohner begrüßen in der Hochsaison jeden Tag bis zu 10.000 Touristen mit Deutschlandfähnchen und allerhand Kitsch und Fast Food zu Nepppreisen. Spätestens an der dritten Pizzeria, die als besondere Spezialität "Pizza con Wurstl" anbietet, packt den Romantiker das Grausen, und er flieht zurück auf die Gardesana.
Am Ende der Tunnelstrecke mit ihren dramatischen Licht- und Schatteneffekten liegt Gargnano, ein beschauliches Dorf, das seinen Charme trotz des zunehmenden Urlauberandrangs in den vergangenen Jahrzehnten gerettet hat. Verwinkelte Gassen führen vorbei an prächtigen Palazzi-Fassaden zu einem idyllischen Hafenbecken. Die Wellen schlagen sanft gegen die Mauern der weit ins Wasser hinein reichenden Fischlokale. Hier gibt es keinen Massentourismus, denn die für den Gardasee typischen Kiesstrände sind rar.
Historische Berühmtheit erlangte Gargnano in den Jahren 1943 bis 1945, als Benito Mussolini in der Villa des Verlegers Giangiacomo Feltrinelli von den Nazis als Führer einer faschistischen Marionettenregierung festgehalten wurde. Heute befindet sich in der ocker- und tonfarbenen Villa im neogotischen Stil ein Luxushotel.
Die nächste Station auf dem Weg nach Süden ist der Doppelort Toscolano-Maderno. Hier, am reißenden Toscolano-Bach, entwickelte sich seit dem 14. Jahrhundert eine bedeutende Papierindustrie, die in der Folgezeit die umliegenden Orte in ganz Europa berühmt machte. Auch das Büttenpapier, auf dem die erste Lutherbibel gedruckt wurde, stammt angeblich aus dieser Ecke des Gardasees. Heute gibt es in Toscolano nur noch eine einzige Papierfabrik - im 17. Jahrhundert waren es dagegen 50 Nasspressen.
Wanderer können im düsteren "Valle dei Cartieri", dem "Tal der Papiermühlen", noch ein paar verfallene und von Kletterpflanzen überwucherte Ruinen aus dem 19. und 20. Jahrhundert besichtigen. Einige der alten Gebäude in tiefen Schluchten zwischen Steineichen und Zypressen, umrahmt von reißenden Sturzbächen und plätschernden Nebenläufen, werden restauriert und sollen in Museen umgewandelt werden. Einen Vorgeschmack darauf bietet das kleine Papiermuseum, das in einem gut erhaltenen Portiershäuschen am Eingang des Tals untergebracht ist.
Zurück aus dem schattigen, verwunschenen Tal erscheint der Sonnenglanz am Ufer des Sees noch strahlender als zuvor. Dies ist die richtige Stimmung für Gardone Riviera, das klimatisch besonders begünstigte "Klein-Nizza" des Gardasees, das südlich von Toscolano-Maderno liegt. Der wärmste Ort im nördlichen Italien, durch hohe Berge im Rücken vor kühlem Wind geschützt, wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Winterkurort entdeckt. Um das Jahr 1900 entstanden an der Uferpromenade erste Luxushotels, und Gardone erwarb sich den Ruf der nobelsten Adresse am See - und diesen Ruf hat der Ort bis heute behalten. In den Sommermonaten residieren in den Villen des Ortes vor allem gut betuchte Mailänder und Münchner.
Auch der Wiener Künstler André Heller hat hier sein persönliches Paradies gefunden und es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: einen ungewöhnlichen Botanischen Garten, den der Prominentenzahnarzt Arturo Hruska im Jahr 1913 am Berghang anlegte. Zu dessen Patienten zählten der letzte russische Zar, Sigmund Freud und einige Päpste. In Gardones besonderem Klima konnte sich der Hobbybotaniker Hruska den Traum von einem "Weltgarten" erfüllen, in dem verschiedenste Pflanzen aus allen Winkeln der Erde in kunstvoll angelegten Berg- und Tropenlandschaften gedeihen. Orchideen wachsen nur wenige Meter entfernt von Alpenveilchen, Bambuswälder vereinen sich mit Seerosen, und Amazonaspflanzen lehnen sich an die Stämme europäischer Bäume.
André Heller hat die Tradition des Gartens in den vergangenen Jahren fortgeführt und noch einige Kunstwerke hinzugefügt - zum Beispiel zwei Wasserspeierfratzen an einer Brücke, die sich in unregelmäßigen Abständen gegenseitig anspucken und dabei gelegentlich auch vorbeikommende Besucher treffen. Die Figuren des Künstlers sind originelle Akzente, die den Charme der Anlage noch unterstützen. Ein "Vorbote des Glücks" sei Gardone für ihn, erklärt der Wahlitaliener Heller - der Traum vom Süden scheint am Westufer des Gardasees tatsächlich in Erfüllung zu gehen.
Von Caroline Mayer, gms
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