Zürich - Das Schild am Ende der Schleuse warnt: "Achtung! 35 Grad! 85 Prozent Luftfeuchtigkeit!" Noch bevor die Information das Zentralhirn erreicht, öffnen sich die automatischen Schiebetüren. Im ersten Moment fühlt es sich an, als würde die warme Luft kleine Wasserbläschen in die Lunge spülen. Sind nicht draußen eben noch die Pinguine im Gänsemarsch durch den Schnee gewatschelt? Und haben sich die Affen auf der verschneiten Wiese nicht bibbernd ineinander verknäult? In der Masoala-Halle im Züricher Zoo zwischen Bambuspflanzen, Palmen, Orchideen und Bananenstauden herrschen plötzlich T-Shirt-Temperaturen. Winterjacke, Wollpulli und Schal wandern umgehend in die Umhängetasche.
Rundherum kreischt, zirpt und schnattert es. Der Blick nach oben zeigt: Es ist wie in den echten Tropen. Man hört die Affen zwar ständig brüllen, aber man bekommt sie praktisch nie zu Gesicht. Was man sieht: Auf dem Glasdach der Halle liegt Schnee. Gerade fliegen zwei Flughunde darunter hindurch. Eine der beiden Riesenfledermäuse mit einer Flügelspannweite von bis zu 1,70 Meter hängt sich kopfüber an einen hochliegenden Ast.
Die Regenwaldhalle ist mit 11.000 Quadratmetern Fläche eine der größten Ökosystemhallen der Welt. Mit ihr möchte der Züricher Zoo einen Beitrag dazu leisten, dass der bedrohte Masoala-Nationalpark auf Madagaskar erhalten werden kann. Ein Teil der Einnahmen aus dem angeschlossenen Regenwald-Panorama-Restaurant und die Spenden, die im Masoala-Informationszentrum des Zoos gesammelt werden, fließen in Naturschutzprojekte.
Vom Forschercamp zur Wetterstation
Mehrere hundert Tierarten leben in der Masoala-Halle. Vor allem kleine Tiere wie Tomatenfrösche, Tausendfüßler, Geckos und Vögel. Daneben kann man aber auch Riesenschildkröten, Flughunde und - mit etwas Glück - Chamäleons und Lemuren beobachten, die in den Baumwipfeln und an den Dachbalken der Halle herumturnen. Am Wegesrand der Dschungelpfade stoßen Besucher immer wieder auf Zeichen der Zivilisation: eine kleine Wohnhütte, ein Forschercamp mit Karten und Laptop oder eine Wetterstation vor einem künstlichen Wasserfall.
Heute zeigt das Thermometer dort nur 22 Grad - aber immerhin ungefähr 25 Grad mehr als draußen. Das registriert auch die mitgebrachte Kamera. Auf Gehäuse und Linse, die sich gerade an drei Grad minus gewöhnt hatten, bildet sich ein feuchter Belag. Aber an solchen kleinen Unannehmlichkeiten sollte man sich nicht stören. Erstens hätte man die Kamera auch unter den Brillen-Wärmeluft-Föhn am Eingang halten können und zweitens gibt es in Zürich keinen besseren Ort als die Masoala-Halle, wenn man sich in den kalten Wintermonaten sehnsüchtig den Sommer und die Tropen herbeisehnt.
Zürich ist eine der Lieblingsstädte für auswanderungswillige Deutsche. Der scheinbar unaufhaltsame Zustrom von zumeist gut qualifizierten Arbeitskräften aus dem Nachbarland hat bei manchen Eidgenossen, die um ihre kulturellen Eigenheiten fürchten, schon zu leichten Panikreaktionen geführt. Aber wundern müssen sich die Zürcher eigentlich nicht: Von 2002 bis 2008 wurde die 380.000-Einwohner-Stadt am See siebenmal hintereinander vom Beratungsunternehmen Mercer zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit gewählt. Derzeit rangiert Zürich zwar nur noch auf Platz zwei hinter Wien. Aber seiner Beliebtheit tut das keinen Abbruch.
Der größte Pluspunkt der Stadt ist der See, der trotz seiner Lage mitten in der City Trinkwasserqualität aufweist. Er macht Zürich zu einem wahren Wasserparadies. Das Tourismusamt zählt 1200 Brunnen und mehr als 40 Bäder, die "Badis" genannt werden. Damit hat die Stadt die höchste Bäderdichte der Welt. Kein Wunder, dass die Zürcher ihre Freizeit im Sommer am liebsten am See- und Flussufer verbringen - beim Baden und abends an Wasserbars bei Cocktails und Kulturprogramm.
Doch wohin soll man im Winter, wenn die See- und Flussbäder ihre Sonnenschirme, Liegestühle und Beachvolleyball-Netze in den Schuppen geräumt haben und die Schneeschaufeln vor die Tür stellen? Eislaufen am See? Das ist meist nicht möglich, denn der Zürichsee friert nur alle Jubeljahre zu. Die Chroniken erwähnen ein solches Ereignis 25 Mal, zuerst im Jahr 1223, zuletzt 1963.
Saunieren am See
Dadurch kann man aber auch im Winter zu einem Freibadvergnügen kommen. Denn die Badi Enge, eine der beliebtesten am Nordwestufer, öffnet im Winter ihre "Sauna am See". Von den verschiedenen Räumen mit Glasfenstern zur Seeseite eröffnet sich bei klarem Wetter über die dunkelblaue Wasseroberfläche hinweg ein unverstellter Blick auf die schneebedeckten Alpen. Wer nach dem Saunieren Abkühlung braucht und unerschrocken ist, kann auf den Holzplanken des Bades durch den Schnee stapfen und nackt einen Sprung ins eiskalte Wasser wagen.
Wellness hat in Zürich eine lange Tradition. Die Römer, die hier erst einen Stützpunkt und später eine Zollstation errichteten, brachten in die von ihnen Turicum genannte Siedlung ihre Badekultur mit. In einem unscheinbaren Durchgang in der Altstadt zwischen Schlüsselgasse und "Hotel zum Storchen" sind die archäologischen Reste einer römischen Therme zu besichtigen.
Auf den Ausstellungstafeln ist zu erfahren, dass es in den Badeanlagen der Römerzeit nicht gerade beschaulich zuging: In einem Brief beschwert sich der römische Philosoph Seneca über das laute Klatschen plumper Masseure, das schwerfällige Ächzen von Fitness-Treibenden und das gewaltige Geplätscher und Geschrei der Badenden.
Eine solche Geräuschkulisse muss man in den Züricher Dampfbädern nicht befürchten. Das orientalische Hamam in der Münstergasse und das Asia-Spa im Einkaufs- und Vergnügungszentrum Sihlcity versprechen Wärme, Ruhe und Erholung.
Ein Hotel wie im James-Bond-Film
Der spektakulärste Wellness-Tempel befindet sich im Hotel "Dolder Grand" am Zürichberg über den Dächern der Stadt. Das 5-Sterne-Luxus-Haus aus dem Jahr 1899 wurde 2008 nach vierjährigem Umbau durch den Star-Architekten Norman Foster wiedereröffnet. Der schlossähnliche Komplex würde mit seiner Lage am verschneiten Berghang eine gute Kulisse für einen James-Bond-Film abgeben.
Nicht ohne sind allerdings auch die Preise: Das günstigste Doppelzimmer kostet hier pro Nacht mehr als 600 Euro. Für die Suiten muss man sogar mehrere tausend Euro hinblättern. Normalsterbliche dürfen auch ohne Hotelübernachtung das Café mit Aussicht über die Stadt und den Zürichsee besuchen. Oder das Spa, das sich auf mehr als 4000 Quadratmetern erstreckt.
Neben Wellness bietet das verschneite Zürich auch verschiedene Möglichkeiten für Wintersport: Zur Anlage des "Dolder Grand" gehört die riesige Dolder Eisbahn unter freiem Himmel. Auf 6000 Quadratmeter Kunsteis treffen sich hier Eishockeyspieler, Eiskunstläufer und schlittschuhbegeisterte Familien. Im Gebäude nebenan gibt es eine Curling-Halle. Außerdem sind im Züricher Stadtgebiet 70 Wege und Wiesen zum Rodeln - auf Schweizerdeutsch Schlitteln - ausgeschildert. Die mit 3,1 Kilometern längste Rodelbahn führt von der Bergstation der Uetliberg-Bahn bis Triemli.
Wer sich im Winter am liebsten in beheizten Räumen aufhält, findet in Zürich ein breites kulturelles Angebot. In über 50 Museen und mehr als 100 Galerien sind interessante Dauerausstellungen und immer wieder hochkarätige Sonderausstellungen zu sehen. Kunstinteressierte sollten sich einen Besuch des Kunsthauses Zürich und des Museums Rietberg, das Kunst aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien zeigt, nicht entgehen lassen. Die Chagall-Fenster im Fraumünster kann man sogar kostenlos betrachten.
Gut funktionierende Heizungen haben auch die Zürcher Cafés wie das Jugendstil-Kaffeehaus Odeon, in dem schon James Joyce als Stammgast verkehrte, und die zahllosen Geschäfte in der Innenstadt. Die Bahnhofstraße ist als Luxus-Shopping-Paradies bekannt, und auch die Sihlcity lohnt schon allein wegen ihrer Architektur einen Besuch.
Verfrorene Wintermuffel sollten aber auf keinen Fall den Fehler machen, nur die Züricher Indoor-Angebote zu nutzen. Bei einer abendlichen Wanderung im Schnee am unverbauten Ufer des Zürichsees fühlt man sich wie im Wintermärchenland. Im See spiegelt sich der Mond, der Schnee auf den Ästen der Bäume und auf den Parkbänken glitzert. Nur der eigene Atem und das Knirschen der Schritte sind zu hören. Und auf einmal sehnt man sich gar nicht mehr so sehr nach kreischenden Affen in den Tropen.
Caroline Mayer, dpa
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