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Mütter des Wassers

Frauen im Amazonas schließen sich zusammen, um für die Rechte ihrer Dörfer zu kämpfen. Das war nicht immer so. Ein Besuch bei den Wächterinnen des Waldes der Guajajara und Munduruku. 


Mit schnellen Schritten läuft Alessandra Korap Munduruku vom Steinhaus zu den Motorbooten, die unten am Flussufer liegen. Zusammen mit mehreren Frauen, Männern und Kindern steigt sie in die flachen Boote und verlädt Kisten mit Reis, Bohnen und Nudeln. Sie sind auf dem Weg zurück von der Provinzstadt Itaituba in das Dorf Sawré Muybu. An der Anlegestelle steht ein Häuschen und ein paar staubige Jeeps, dahinter verläuft die transamazonische Fernstraße, eine rote Erdstraße, die in den Siebzigerjahren von der Militärdiktatur gebaut wurde. Einen Steinwurf von den Booten entfernt liegt eine wuchtige Plattform von Goldsuchern im Tapajós, einem Nebenarm des Amazonas. Ein paar hastige Blicke, dann verlassen wir das Ufer. Der Fluss ist gut gefüllt in der Regenzeit, immer wieder lassen Stromschnellen die Boote schaukeln. „Seit Jair Bolsonaro an der Macht ist, sind hier wieder mehr Goldgräber unterwegs“, erzählt Alessandra Korap Munduruku, als wir an einem anderen Schwimmbagger vorbeiziehen.

 

Die Bagger befördern Sediment des Flusses nach oben und mischen Quecksilber in den Gesteinsschlamm, um das Gold herauszulösen. Im vergangenen Jahr hat der Präsident ein Gesetz vorgelegt, dass Indigenen selbst oder beauftragten Dritten erlauben soll, Gold in ausgewiesenen indigenen Gebieten zu schürfen. Auch wenn die Mehrheit der Munduruku gegen den Bergbau in ihren Gebieten ist, tauchen immer wieder Geschichten auf, in denen sich Indigene auf zwielichtige Geschäfte und Versprechen von Goldgräbern einlassen, um der Armut in ihren Dörfern zu entkommen. 

 

Ältere Frauen im Dorf als Mentorinnen 

 

Nach fünf Stunden Fahrt erreichen wir das Ufer des Dorfes Sawré Muybu. Etwa 130 Dörfer der Munduruku gibt es in der Gegend. Seit Jahrzehnten kämpfen sie gegen Wasserkraftwerke, Staudämme und Goldabbau am Tapajós. „Internationale Unternehmen, die Regierung – sie sind interessiert an unserem Land“, sagt Alessandra Munduruku. „Wenn wir uns nicht für den Wald und das Land einsetzen, existiert das bald nicht mehr hier.“ Alessandra Munduruku spricht laut und furchtlos. Obwohl ihr Ton ernst ist, bleiben ihre Bewegungen leicht und verspielt. „Wir Munduruku waren früher schon als Kämpfervolk bekannt, wie die rote Ameise.  Wenn du dich mit einer anlegst, legst du dich mit allen an.“ Lange waren es aber nur die Caciques, die männlichen Stammesführer, die zu wichtigen politischen Treffen und Demonstrationen in die Städte fuhren. „Am Anfang war ich ziemlich schüchtern und habe mich nicht getraut, meine Meinung laut auszusprechen. Frauen hatten sowieso keinen wirklichen Raum zu sprechen.“ Eine ältere Frau vom oberen Flusslauf des Tapajós, die sich schon viele Jahre gegen Staudammprojekte in der Region einsetzt, hat Alessandra den Anschub gegeben, den sie brauchte, um politisch aktiv zu werden. „Maria Leusa hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, für Dinge loszugehen, die das Überleben unserer Verwandten sichern. Wenn ich mich nicht getraut habe, zu sprechen, hat sie gesagt, los, sprich“, erzählt Alessandra. Im vergangenen Jahr hat Alessandra angefangen, Jura in Santarém zu studieren und ist zum ersten Mal nach Europa gereist, um auf der großen Klimakonferenz am Brandenburger Tor zu sprechen. Im April vergangenen Jahres wurde ein YouTube-Video von ihr bekannt, in der sie eine wütende Rede vor Politikern im National Kongress in Brasília hält. Sie schlägt mit Fäusten auf den Tisch, betretene Gesichter. An der politischen Schiene gegen Indigene hat sich trotzdem nichts geändert. 

 

So viel Abholzung wie seit zwölf Jahren nicht mehr

 

Im Amazonasgebiet ist innerhalb eines Jahres so viel Wald abgeholzt worden wie zuletzt vor zwölf Jahren. Das zeigen Daten der brasilianischen Weltraumbehörde Inpe. Demnach wurden in einem Jahr bis August 2019 11.088 Quadratkilometer Regenwald zerstört. Viehwirtschaft und Sojaanbau sind dabei die größten Katalysatoren der Abholzungen. Die Konfrontationen von Holzfällern und Indigenen waren in der Vergangenheit immer wieder tödlich. Um die Kahlschläge trotzdem zu dokumentieren und an staatliche Behörden weitergeben zu können, hat das Dorf Sawré Muybu seit vergangenem Jahr eine Drohe. Aldira Munduruku ist eine der Frauen, die das audiovisuelle Kollektiv der Gemeinschaft leitet. „Die Drohne ist schwer zu fliegen, aber sie hilft uns, Kahlschläge und Abholzungen zu zeigen. Sie fliegt an Orte, an die wir sonst nicht hingekommen wären, weil es viel zu gefährlich wäre“, sagt Aldira. Das audiovisuelle Kollektiv ist aus dem Wunsch gewachsen, die Männer im Dorf in ihrem Kampf für den Erhalt des Waldes und ihr Recht auf Land zu unterstützen. „Vor ein paar Jahren haben wir deshalb angefangen, Fotos und Videoaufnahmen von Holzeinschlag und Minen zu machen und unser Gebiet selbstständig zu markieren. Wir zeigen aber auch, was sonst im Dorf passiert und was uns beschäftigt.“ Die einzige Schwierigkeit sei, das Material mit den Anliegen des Dorfes zu verbreiten, weil es im Dorf noch kein Internet gebe, erzählt Aldira und ihre Ohrringe aus rot-schwarzen Samen wackeln hin und her. Ihr Gesicht und Körper ist mit geometrischen Mustern einer schwarzen Tinte verziert, die von der hohen Luftfeuchtigkeit schon ein bisschen verlaufen ist. Die Farbe wird aus der gelblich-runden Frucht Jenipapo angerührt.

 

  

Öffentlichkeitsarbeit als Ausdruck von Selbstbestimmung

 

„Unsere technische Ausrüstung hat uns unabhängiger von Journalisten gemacht. Wir zeigen selbst, was in unseren Dörfern passiert und was uns bedroht“, sagt sie, während sie Alessandra Munduruku bei einer Rede vor Vertreter*innen von elf Dörfern aus der Umgebung filmt. Drei Tage sprechen sie über Gesundheitsversorgung, Transportmöglichkeiten, Bildung und Prozesse der Landmarkierung ihrer Verwandten. Zwischendurch gibt es Wildschwein und selbstgemachtes farinha, das sind trockene, weiße Mehlkügelchen aus der Maniokwurzel. Während die Zusammentreffen von Goldsuchern und Indigenen am Tapajós noch weitestgehend gewaltfrei verlaufen, gilt im Nachbarstaat Maranhão zwischen Holzfällern und Indigenen schon längst das Gesetz des Stärkeren – die Großlandwirte und Landspekulanten mit privaten Schutztruppen sind oft schwer bewaffnet. Im vergangenen Jahr sind fünf Männer der Guajajajara bei Aufeinandertreffen ums Leben gekommen, der bekannteste Fall war der Mord an dem Umweltaktivisten Paulo Paulinho Guajajara. 

 

Bessere Ausrüstung für Streifzüge im Regenwald 

 

Das Dorf Maçarandubader Guajajara liegt direkt am Fluss Pindaré. Dahinter verläuft eine der wenigen Eisenbahnstrecken Brasiliens, die in den 80er Jahren von dem Großunternehmen Vale gebaut wurde, um Eisenerz zum Hafen nach São Luísund von da in die Welt zu transportieren. Vor ein paar Jahren haben Frauen in dem Dorf die guerreiras da floresta(„Wächterinnen des Waldes“) gegründet. Anfangs nannten sie sich noch Frauenrat, „conselho das mulheres“, erzählt Maisa Guajajara, eine ruhige, freundliche Frau aus dem Dorf. Mittlerweie sind über 30 Frauen in der Gruppe der guerreiras da floresta. Für 20 Tage laufen sie in regelmäßigen Abständen ihr Gebiet des Regenwaldes ab, dass gesetzlich als indigenes Gebiet ausgewiesen ist. Raimunda Guajajara, Mitte 40, ist eine der bekanntesten Gesichter der Truppe. „Ich glaube, sie kennt jede Ecke unseres 172.000 Hektar großen Gebiets. Sie ist auf fast allen Streifzügen mit dabei“, sagt Maisa. “Manchmal verbringen wir mehr als zwei Wochen im Regenwald, schlafen in Hängematten. Früher haben wir unser Essen noch auf dem Rücken getragen, heute haben wir Quads, die uns die Arbeit erleichtern”, erzählt Raimunda Guajajara. Ihr Blick ist durchdringend und aufmerksam. “Am Anfang waren wir nur acht oder neun Frauen zusammen mit den Männern, den Wächtern des Waldes, die nicht so wirklich an uns geglaubt haben. Aber mit der Zeit haben wir uns immer besser organisiert”, erzählt Maisa. Auch sie hatte eine Ältere im Dorf, die sie bestärkt hat, für die Rechte ihres Dorfes vorne zu stehen. “Damals habe ich noch nicht verstanden, warum ich sie begleitet habe, aber heute verstehe ich es. Sie hat mich auf das vorbereitet, was ich heute mache”, erzählt Maisa. Zu den Streifzügen im Wald kommt auch noch die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, die die Frauen übernehmen. Sie organisieren Workshops und Vorträge über ihre Kultur und darüber, welche Bedeutung der Wald und der Fluss Pindaré für sie hat. 

 

Auch untereinander tauschen sich viele Frauen der Munduruku und Guajajara aus. An den Treffen nehmen auch ein paar Frauen der Kumaruara teil, die gerade im Prozess der Landmarkierung sind. Ihre Kooperative heißt Mutter des Wassers, angelehnt an die Göttin Iara aus der indigenen Mythologie, eine kämperische Frau, die im Wasser wohnt. Vom Amazonas aus hat sie sich in alle Flüsse, Seen und Meeren aufgemacht. Der Wald, der durchzogen ist von Regenwasser und Flüssen, macht alle Frauen auf ihre Weise zu Müttern des Wassers. Wie viel Platz sie dem Widerstand in ihrem Leben geben, bleibt ihnen selbst überlassen, sagt Alessandra Korap Munduruku: “Nur das Lachen darfst du nicht verlieren, sonst taugst du auch nicht zum kämpfen.”

 

Information zur Autorin:

Der Austausch mit der indigenen Frauenkooperative im Norden Brasiliens war Teil des ASA-Programms 2019. Die Autorin hat mehrere Monate in der NGO Fórum da Amazônia Oriental in Belém gearbeitet. Von dort hat sie die beiden indigenen Dörfer der Munduruku und Guajajara besucht und über ihre Erlebnisse und Gespräche mit den Frauen geschrieben. Die Besuche haben vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie stattgefunden.